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Und doch hat sich Bauer, der Atheist, nicht nur in seiner Familiensaga mit dem Judentum auseinandergesetzt, hat eine kritische Geschichte der Juden geschrieben, die demnächst auch auf deutsch erscheinen wird. Ihm ist der jahrhundertelange Kampf um die Gleichberechtigung der Juden ein Schlüssel zu zentralen geschichtlichen Zusammenhängen. Bauer, der sich ungern auf sein Judentum als etwas ausschließendes zurückgeworfen sieht, will sich doch das Recht nicht nehmen lassen, in seinem eigenen Schicksal und dem seiner Vorfahren die Widerspiegelung des ganzen Weltzustandes aufzuspüren. Was mich immer wieder an Alfredo Bauer erstaunt, ist seine gewaltige Lebensarbeit: Arzt war und ist er, Gynäkologe und Geburtshelfer Tausender Kinder, Übersetzer Jura Soyfers, Felix Mitterers, José Hernandez und vieler anderer spanischund deutschsprachiger Autoren, kultureller Vermittler, aufklarerischer Sexologe, in Geschichte, Philosophie, Literatur gleichermaßen bewandert. In den letzten Jahren, sagt er, schreibt er zunehmend wieder in deutscher Sprache, verfolgt mit kritischer Anteilnahme die Entwicklung in Österreich. Die Rastlosigkeit seiner Tätigkeit resultiert, wie mir scheint, aus dem Wissen, daß der Mensch lange nicht als ein in jeder Hinsicht fertiges Wesen in der Welt hockt, daß vielmehr aus ihm noch etwas werden soll und muß. Und daß die Richtung künftigen Werdens uns gegenwärtig in die Hand gegeben ist. Alfredo Bauer kommt, die Hand voller Geschenke zu uns. Wir ehren seine Produktivität, Weltoffenheit und Intelligenz. Daß ich am Ende meines Lebend noch einen österreichischen Literaturpreis erhalte, der unter dem Patronat unseres großen lyrischen Dichters Theodor Kramer steht, bedeutet für mich vie] mehr als die Krönung meiner bescheidenen literarischen Verdienste. Ihnen, verehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, die Sie sich zumal mit Widerstands- und Exilliteratur beschäftigen, ist es zweifellos bewußt, daß Sie damit eine demokratische und eine patriotische Tätigkeit von höchster Bedeutung entfalten. Von um so höherer Bedeutung, als ja das „offizielle Österreich“, besonders in den ersten Jahrzehnten nach der Befreiung, sich mit uns Vertriebenen kaum befaßte; und beinahe darauf vergaß, daß vor allem wir es waren, die in den dunkelsten Stunden Österreichs die Eigenständigkeit der österreichischen Nation aufrechterhielten und uns darum bemühten, daß die Weltöffentlichkeit sie zur Kenntnis nahm. Ich weiß nur zu gut, was Theodor Kramer selbst zu leiden hatte, weil er sich dem von der Führung der Sozialisten gegen das Austrian Centre in England verhängten Boykott nicht unterordnen wollte und darauf bestand, auch dort seine Lesungen zu halten. Das hat, wenn auch nicht ausschließlich, so doch weitgehend mit dem österreichischen Charakter seiner Dichtung zu tun. Man mußte sich damals auf der Linken oft genug den Vorwurf gefallen lassen, man sei nicht internationalistisch, nicht humanitär-universalistisch gesinnt, wenn man patriotisch-österreichisch empfand. Dabei war damals die Frage der „Österreichischen Nation“ auch theoretisch von Alfred Klahr und Ernst Fischer schon längst klargestellt. Theodor Kramer war den Anfeindungen der Gruppe um Oskar Pollak ausgesetzt. In Argentinien gab es solche Tendenzen nur in abgeschwächter Form, da die von Ernst Lackenbacher geführte Gruppe der „orthodoxen Sozialisten“ im Vergleich zu den 2.000 Mitglieder unserer demokratischpatriotischen Einheitsorganisation „Austria Libre“, nur wenige Mitglieder umfaßte. Die Jugendgruppe, deren Leitung ich damals angehörte, hatte hundert aktive Mitglieder. Wir lernten und verbreiteten öster42 reichische Kultur, indem wir Autoren wie Nestroy, Anzengruber, Wildgans, Schnitzler und Soyfer spielten. Den Namen Theodor Kramer hörte ich damals zum ersten Mal von meinem verehrten Lehrer Adolf Walter Freund. Er erzählte von ihm und las uns etliche seiner schönen Gedichte vor. Alfred Walter Freund war mit Ernst Waldinger gut befreundet gewesen. Ich darf vermuten, daß er Kramer auch persönlich kannte. Damals, im Oktober 1944, kam mein erstes Theaterstück, „Die Antwort“, auf der Freilichtbühne des Sportklubs Villa Ballester vor tausend Zuschauern zur Aufführung. Vor fast sechzig Jahren also. Das Stück, sehr unreif noch, hatte eindeutig demokratischen und patriotischen Inhalt. Als ich später (was keineswegs leicht war) in Argentinien Wurzeln geschlagen hatte, blieb mein literarisches Schaffen, sowohl dem Stil als auch dem Inhalt nach, doch Österreich und seiner Nationalkultur verhaftet. Das kam wohl in meinen historischen Romanen zum Ausdruck. Und sicher in der Tätigkeit des literarischen Übersetzens: deutsch-spanisch und spanisch-deutsch. Für mich war die Kulturvermittlung immer ein Instrument allgemein-menschlicher Verbrüderung. Das demokratische und wohl auch das sozialistische Bewußtsein brachten viele von uns aus der Heimat mit. Das patriotische Bewußtsein aber gewannen wir erst in der Fremde. Wie ja überhaupt — sprechen wir es nur aus — die Worte „patriotisch“ und „national“ in Österreich einen schlechten Klang hatten, und man sogar einen Widerspruch sah zwischen der demokratischen und patriotischen Idee. Vom Vaterland sprach man in den Kreisen der „klassischen Linken“ verächtlich. Was in Frankreich oder Italien, in der Schweiz oder Skandinavien, in Jugoslawien, Bulgarien oder Griechenland undenkbar gewesen wäre. Und natürlich bei uns in Lateinamerika söwie in andern unabhängigen Ländern erst recht! Freilich hatte dieser nationale Nihilismus seine historischen Ursachen: Zu sehr war „das Vaterländische‘“ von den Reaktionären mißbraucht worden. Doch überließ man so gerade den Reaktionären die patriotische Idee, die ihnen doch wahrhaftig nicht gehört. Auf das „Rote Wien“ war man begreiflicherweise stolz. Dieses „Rote Wien‘ war wahrhaftig mehr als Gemeindebauten