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Es ist ein nicht bloß leicht hingesagter Dank. Seit der Verständigung von der Preisverleihung habe ich viel nachgedacht. In der ersten Reihe der Gedanken stand die schon am Telephon gestellte Frage „Wieso? Womit verdiene ich das” Es ist eine Frage, auf die, wie Sie verstehen werden, nicht ich die Antwort geben kann. Wer von Ihnen etwas von meinen Arbeiten kennt, kann selbst beurteilen, ob die Theodor Kramer Gesellschaft richtig gehandelt hat. Und wenn unter Ihnen Personen sind, die von diesen Arbeiten kein Wort kennen, sich aber jetzt dafür interessieren, so würde ich das als wertvollen Gewinn ansehen. Ein anderer Gedanke, nicht neu, aber durch dieses Ereignis aktualisiert, gilt dem Zeitpunkt. Seit Jahren befaßt man sich — endlich! — mit einem Problem, das vorher unbeachtet war: mit dem Schicksal derer, die nach dem März 1938 Österreich verlassen mußten. Was die Emigranten oder, wie man später korrigierend sagte, Exilanten nach dem Verlust ihrer Heimat erlebt und getan haben, interessierte lange Zeit keinen Menschen. Wenn man aber doch einen Gedanken darauf verschwendete, so war er zumeist grundfalsch, so wie der Ausspruch eines sehr bedeutenden Regierungsmitgliedes in den fünfziger Jahren, daß die Emigranten es ja gut hatten, „die sind in ihrem bequemen Lehnstuhl gesessen, während wir hier Krieg hatten“. Darauf wäre so viel zu erwidern, daß man am besten schweigt. Das Nachkriegsverhalten der Politiker in der Heimat war für die Exilanten, besonders für jene, die in von ihnen selbst geschaffenen Auslandsorganisationen sehr viel für Österreich getan hatten, erstaunlich, bedrückend. Kein Wort einer Einladung, doch wieder in die alte Heimat zurückzukehren, kein Wort des Dankes, oder höchstens eine ganz formale lauwarme Anerkennung dessen, was die Emigranten in Überwindung ihrer sehr verständlichen Verbitterung und äußerer Schwierigkeiten für Österreich geleistet hatten — nichts! Bis dann Jahrzehnte später Interesse einsetzte, sowohl an ihrem menschlichen Schicksal als auch an ihrem Schaffen, am Schaffen derer, die einst in der Heimat einen Namen hatten, aber auch an den Werken des Nachwuchses. Exilliteratur! Es gab jetzt Exilliteratur. Die wurde zum Gegenstand von Aufmerksamkeit. Warum so spät? Diese Frage konnten eigentlich nur die schon vor 1938 Bekannten oder sogar Berühmten stellen, nicht der Nachwuchs, denn der hatte damal noch nichts aufzuweisen, existierte vielfach noch gar nicht. Ein Beispiel: mein MitPreisträger Alfredo Bauer kann auf ein reiches Schaffen hinweisen. Aber wann kam es zu diesem? Vor der Emigration gewiß nicht, denn 1938 war er noch ein halbwüchsiger Knabe. Erst die Emigration, der Krieg und die Jahre danach formten ihn zum Schriftsteller. Für ihn und alle in gleicher oder ähnlicher Lage waren die Jahre, die auf den ersten Blick verlorene zu sein scheinen, nichts dergleichen, sondern eine Zeit des Werdens und Wachsens. Dieses wiederum erfaßte auch Themen, die den Daheimgebliebenen nicht vertraut waren, es entstand eine Erweiterung des literarischen Schatzes Österreichs. Nicht unwichtig, darf man, auch ohne Verletzung der gebotenen Bescheidenheit, sagen. Die Theodor Kramer Gesellschaft hat dies erkannt und immer wieder beleuchtet. Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser haben gemeinsam mit Helfern das höchst wertvolle „Lexikon der österreichischen Exilliteratur“ geschaffen, eine literarhistorische Tat, deren Bedeutung meiner Überzeugung nach von Jahr zu Jahr noch steigen wird. Die Zeitschrift „Zwischenwelt‘“ taucht immer wieder in den See dieser Literatur und bringt Unbekanntes zu Tage, Werke und Menschen. Für all dies möchte ich, zu den so Begünstigten gehörend, mit allem Nachdruck danken und sicher nicht nur für mich allein. Den Dank an die seit 1984 bestehende Theodor Kramer Gesellschaft habe ich bereits ausgesprochen; nach all dem Gesagten wäre er hier bloß zu wiederholen, was ich hiemit gerne tue. Hinzufügen möchte ich aber einen ganz persönlichen Dank. Für mich hat die Gesellschaft, wenn auch absichtlos, etwas Besonderes getan: sie hat mich mit Theodor Kramer zusammengebracht. Ich habe von diesem Dichter, über dessen Bedeutung heute kein Zweifel mehr bestehen kann, fast gar nichts gewußt. Eine Schande? Gewiß, aber vielleicht gemildert durch die großen Schwierigkeiten, die sich dem Bemühen eines Emigranten, mit der literarischen Entwicklung Schritt zu halten, entgegengestellt haben. Nur kann man nicht einen Kramer-Preis entgegennehmen, ohne von Kramers Schaffen wenigstens ein Minimum zu kennen. Konstantin Kaiser verstand meine Situation und schickte mir eine Auswahl von Gedichten, Alfredo Bauer ebenfalls. Damit entstand nicht nur das erste Kennen, sondern auch das Verlangen nach mehr. Vor der Biographie, die ich bekam, steht ein Gedicht mit dem Titel „Wer läutet draußen an der Tür?“ Bloß zwanzig kurze Zeilen. Ich war tief beeindruckt. Die Zeit, die nie vergessen werden sollte, war wieder da. Und die Mittel des Dichters? Einfache Alltagssprache, Sparsamkeit des Ausdrucks und gerade dadurch eindringlich gemacht die seelische Atmosphäre von 1938, die mühsam überspielte Angst, der Schrecken, die Erwartung des Unabwendbaren, dessen Eintreten, die Wehmut des Abschieds - in zwanzig knappen Zeilen. Theodor Kramer! Ich sah ein Leben wie es so manchem Großen beschieden war, eines, das nicht gelebt, sondern erlitten wurde und mit Hinterlassung einer reichen Erbschaft endete. Am Schluß dieses Briefes kann ich nur wiederholen, was am Anfang steht: Dank! Dank für den Preis und Dank für das Geschenk eines Dichters! Montevideo, am 20. März 2002 47