OCR
Gertraud Hödl Vom Leben und Überleben Widerstands- und Exilliteratur im Promedia Verlag Der nun bereits seit beinahe 20 Jahren bestehende Wiener Promedia Verlag hat sich von Anfang an zur Aufgabe gemacht, österreichische Widerstands- und Exilliteratur zu dokumentieren. 1985 kam in der „Edition Spuren“ das heute — zumindest für HistorikerInnen — zu den Klassikern zählende Buch Der Himmel ist blau. Kann sein von Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbeth N. Trallori heraus. Die Autorinnen haben darin neunzehn Frauen zu Wort kommen lassen, die von weiblichen Widerstandsformen gegen das NS-Regime berichten, unterteilt in die Kategorien helfen — organisieren - kämpfen — zersetzen — überleben. Im Vorwort wird auf die Schwierigkeiten, die sich im Prozess der Interviewführung mit den zum Teil lange verdrängten Inhalten auftaten, hingewiesen, das Nachwort geht zusammenfassend auf die verschiedenen Erfahrungsebenen des Erzählten ein. Das 1987 von den selben Autorinnen herausgegebene Buch Ich geb Dir einen Mantel, dass Du ihn noch in Freiheit tragen kannst berichtet vom Widerstehen der Frauen im Konzentrationslager. Selbst noch in der Situation extremster Repression und völligen Ausgeliefertseins dokumentieren diese Zeugnisse Akte der Hilfeleistung, der Solidarität, des spontanen und organisierten Zuwiderhandelns. In diesen Bereich, der Aufzeichnung von Lebensgeschichten weiblicher Widerstandskämpferinnen, gehören auch die Autobiographien von Muriel Gardiner (Deckname Mary), Ruth von Mayenburg (Blaues Blut und rote Fahnen) und der wohl bekanntesten österreichischen Architektin, Margarete Schütte-Lihotzky. Letztere beschreibt in ihren erstmals 1994 herausgegebenen (und im Herbst 2002 in dritter Auflage erscheinenden) Erinnerungen ihre Widerstandstätigkeit unter kommunistischen Vorzeichen und die darauf folgenden vier Jahre Haft in verschiedenen nationalsozialistischen Gefangenenhäusern. Auch ihr Buch ist ein Zeugnis heldenhaften Muts und Widerstandsgeistes, wie Peter Huemer im Vorwort anmerkt. Neueren Erscheinungsdatums — nämlich 2001 - ist das zweibändige Werk Vom Leben und Überleben - Wege nach Ravensbrück. Das Frauenkonzentrationslager in der Erinnerung von Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr, womit erstmals eine umfassende Dokumentation österreichischer Überlebender des KZ Ravensbrück vorliegt. Im Mittelpunkt des ersten Bands steht eine vergleichende Analyse der Unterschiede in der Sozialisation, in der Verfolgungsgeschichte und in den persönlichen Verarbeitungsstrategien der weiblichen KZ-Opfer — jeweils eingebettet in den historischen, gesellschaftspolitischen und sozioökonomischen Kontext. Der zweite Band enthält 42 Lebensgeschichten, angereichert mit Bildund Dokumentationsmaterial. Die Zeit des nationalsozialistischen Terrors spielt dabei eine zentrale Rolle, aber auch die Geschichte der Frauen davor und danach kommt zur Sprache, vor allem die persönlichen Strategien zur Bewältigung der zugefügten Traumata. Neben der „Edition Spuren“ ist in unserem Zusammenhang die Herausgabe von Exilliteratur zu nennen, repräsentiert durch die aus altösterreichischem Adel stammende Hermynia Zur Mühlen, 1883 in Wien als Hermine Isabella Gräfin Folliot de Crenneville-Potet geboren. Die russische Revolution beeinflusste sie stark und löste Sympathien für die Arbeiterbewegung bei ihr aus. 1924, bei einem Aufenthalt in der Schweiz, wohin sie zur Ausheilung einer Tuberkulose gereist war, lernte sie den gebürtigen Wiener Juden Stefan Isidor Klein, einen Übersetzer, kennen und ging mit ihm nach der Scheidung von ihrem Mann nach Deutschland, wo sie sich in den 1920er Jahren als Kolumnistin, Übersetzerin und Kinderbuchautorin einen Namen machte. Zwei Monate nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 verließen Hermynia zur Mühlen und ihr Lebensgefährte Deutschland und kehrten nach Österreich zurück, wo sie bis zur neuerlichen Flucht im Jahr 1938 in der Nähe von Bratislava/Pressburg lebten. In dieser Zeit, nämlich 1935, erschien der Roman Unsere Töchter, die Nazinen, der die antifaschistische Gesinnung der Autorin zum Ausdruck bringt. Ort der Handlung ist eine deutsche Kleinstadt am Bodensee, wo die drei Protagonistinnen — die Arbeiterin Kati Gruber, die Arztfrau Martha Feldhüter und die Adelige Agnes Saldern — leben und als Ich-Erzählerinnen die und die Machtübernahme durch die Nazis in Deutschland indirekt darstellen. Hermynia zur Mühlen steht dabei deutlich auf Seiten der Adeligen und der Arbeiterin, während die Bürgerliche eher schlecht wegkommt. Streng genommen handelt es sich bei Unsere Töchter, die Nazinen nicht um einen Exilroman, da dieses Werk noch zur Zeit des österreichischen Ständestaats verfasst wurde; die beiden anderen, ebenfalls im Promedia Verlag erschienenen Bücher Ewiges Schattenspiel (1943; 1996 bei Promedia) und Als der Fremde kam (1947; 1994 bei Promedia) werden hingegen klar zur Exilliteratur gerechnet, da sie bereits im englischen Exil geschrieben wurden. Ewiges Schattenspiel, das in London unter dem Titel We Poor Shadows herausgekommen ist, stellt zudem das Exilthema deutlich heraus — historische Analogien, zum Beispiel die Schilderung persönlicher Emigrantenschicksale sowie des Flüchtlingselends im allgemeinen, sind zahlreich vorhanden. Während die Erzählzeit in Ewiges Schattenspiel vom Wiener Kongress 1814/15 bis zur Revolution von 1848/49 reicht — sie wird anhand des Werdegangs der Mitglieder der gräflichen Familie Herdegen über vier Generationen ausgebreitet —, umfasst Als der Fremde kam einen weit kürzeren Zeitraum; er setzt nämlich erst 1937, im Vorfeld des „Anschlusses“ Österreichs an Nazi-Deutschland ein. Die zeitliche Lücke, so wird angenommen, sollte ein Roman füllen, der in Hermynia zur Mühlens englischer Korrespondenz mit dem Titel Because we are Patchwork (Denn wir sind Flickwerk) aufscheint, dessen Text allerdings als verschollen gilt. Das hat zur Annahme geführt, dass die drei Werke eine Art „Österreich-Trilogie“ ergeben sollten, deren Mittelteil nun leider fehlt. In Als der Fremde kam beschreibt Hermynia Zur Mühlen ein multikulturelles Kleinstadtmilieu in der Nähe von Bratislava am Vorabend des nationalsozialistischen Vormarsches. Als „der Fremde“ in Gestalt des deutschen Agenten von Brachleben in die Stadt kommt, hat sich die faschistische Gesinnung längst in dieser Region festgesetzt. Die Autorin versteht es dabei glänzend, die psychische Befindlichkeit der BewohnerInnen dieses Landstriches kurz vor dem endgültigen politischen Zusammenbruch einzufangen und ihren LeserInnen nahe zu bringen. Bibliographie: Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr: Vom Leben und Überleben — Wege nach Ravensbrück. Das Frauenkonzentrationslager in der Erinnerung. Band 1: Dokumentation und Analyse, Band 2: Lebensgeschichten. 2001 Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori (Hg.): Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand. Österreich 1938-1945. 1985 K. Berger, E. Holzinger, L. Podgornik. und L.N. Trallori (Hg.): Ich geb Dir einen Mantel, dass Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen. 1987 Muriel Gardiner: Deckname Mary. Erinnerungen einer Amerikanerin im österreichischen Untergrund. 1989 Ruth von Mayenburg: Blaues Blut und rote Fahnen. Revolutionäres Frauenleben zwischen Wien, Berlin und Moskau. 1993 Margarete Schütte-Lihotzky: Erinnerungen aus dem Widerstand. Das kämpferische Leben einer Architektin von 1938-1945. 1994 Hermynia Zur Mühlen: Als der Fremde kam. Exilroman. 1994 H. Zur Mühlen: Ewiges Schattenspiel. Emigrantenroman. 1996 H. Zur Mühlen: Unsere Töchter, die Nazinen. Roman. 2000 49