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Erfahrungen. Erich Schmid, der nach einem Studium der Psychologie an der Kunstgewerbeschule 1930-34 Malerei studiert, nimmt von Künstlerkollegen ermutigt an Ausstellungen in der Wiener Sezession teil. Als 1938 die Nationalsozialisten die Macht ergreifen, flüchtet er als jüdisch Verfolgter nach Brüssel, wo er seinen Freund Amery wieder trifft. Den Krieg überlebt er, nachdem er aus dem französischen Internierungslager Gurs flieht, als Mitglied der Resistance in Frankreich. 1945 steht Schmid vor den Herausforderungen des Neuanfanges und der Bewältigung der Vergangenheit. Während Amery Brüssel als Exil wählt, möglicherweise in der Hoffnung eine Brücke zwischen Deutschland und Frankreich zu schlagen, für Schweizer Zeitungen schreibt und zahlreiche Essays für Radio und Zeitung veröffentlicht, bleibt Schmid in Paris und faßt seine Gefühle und Gedanken in Farben und Formen. Améry, der Schmids Bilder auch privat sammelt, schreibt über diese Bilder: „Pariser Stadtveduten, in denen das Gegenständliche wie bei Turner schon abstrakten Charakter annimmt“, mit „verlassenen Gassen, deren Romantik ebenso vorgestrig wie übermorgig sein kann“, gemalt in „dicken, eher schmutzigen Farben, in denen freilich manchmal ein aufregender roter Fleck oder ein geisterhaft gelbes Licht aufleuchtet“; er „malt schwarz den Himmel oder rot“, rot, daß „als magisches Symbol“ des „Feuers in die Rue sans joie, die Rue sans espoir, sans vouloir et sans temps schwach herüberleuchten“ könnte. Schmid ist kein moderner Maler, lebt zurückgezogen, entzieht sich der Vermarktung, wenngleich er Zeit seines Lebens von seiner Malerei leben kann und in zahlreichen Galerien in Frankreich ausstellt. Er malt Paris, den Quai d’Orsay, das Pantheon, Montmartre und immer wieder die Stadt, meist ohne seine Bewohner. Er malt „schmutziggrau die Rue de l’Estrapade, wo“ er „mit weißem Pinsel den Silberdistelwald der Drahtverhaue hätte hinzeichnen sollen, so klar und scharf, daß der Beschauer glaubt, den elektrischen Strom zu spüren“, schreibt Améry zu einem Bild. Die Romanfigur des Malers Lefeu in ,,Lefeu oder der Abbruch“ ist ein Stück Biographie, vielleicht von Améry, von Schmid, von beiden oder einer Generation von Schicksalsgenossen. Amery begeht 1978 auf einer Vortragsreise in Österreich Selbstmord. Schmid kehrt Zeit seines Lebens nicht mehr nach Österreich zurück. In ein Land, das einem vor die Tür gesetzt hat, kehrt man nicht zurück, sagt er. „Ich bin Herr Ohneland, ... und eine Heimat hat der Mensch, doch er wird nicht drin geboren, muß sie suchen, traumverloren, wenn das Heimweh ihn ergreift.“ Wenngleich Schmids Leben nur schwer greifbar, nur chiffriert erlebbar in Amerys Roman ist, und sich in großen Teilen der Nachwelt entzieht, seine Bilder tun es nicht. In ihnen lebt ein Stück Vergangenheit eines Wiener 52 Exilkünstlers weiter, die für den sensiblen Betrachter der Gegenwart erfahrbar wird. Der Kunsthandel Widder, der sich auf die Aufarbeitung und Ausstellung von österreichischen Exilkünstlern spezialisiert hat, versuchte durch eine Sonderausstellung von 1.-30.11. 2002 das Leben und Schaffen Schmids wieder in Erinnerung zu rufen. Im Rahmen der Ausstellung wurde eine umfangreiche Monographie über Erich Schmid mit Beiträgen von Mathias Boeckl und Claudia Widder sowie Abdrucken von Textbeiträgen Jean Amerys präsentiert. Sämtliche Zitate sind aus Jean Amerys Lefeu oder der Abbruch (Stuttgart 1974) entnommen. — Der Ausstellungskatalog Erich Schmid ist erhältlich bei: Kunsthandel Widder, Johannesgasse 9-13, 1010 Wien, Tel./Fax: +43 15124569. Jeanne Benay Österreichische Satire (1933-2000): Exil Remigration Assimilation Tagung an der Universität Metz, 24.-26.10. 2002 Der Ansatz war pruridisziplinär — 23 ReferentInnen aus Europa und Amerika, Germanisten, Komparatisten, Politologen, Musikwissenschaftler, Filmwissenschaftler, Kunsthistoriker, Niederlandisten, Kulturwissenschaftler. Es ging jeweils um eine Doppelproblematik: Satire unter den Bedingungen von Exil, Remigration, Assimilation. Die Veranstaltung war die vierte und letzte eines Zyklus von Forschungen zur österreichischen Satire mit Blick auf das Generische, Funktionelle, Institutionelle und Synchronisch-Diachronische als ideengeschichtliche Identität einer Epoche und einer längeren Entwicklung, je nach dem Forschungsblickpunkt. Die drei Voretappen — in Zusammenarbeit mit der Universität Rouen und der Sorbonne-Nouvelle (Paris III) — hatten schon ergeben, daß, kurz gefaßt, jede Zeit, jede Gesellschaftsform die Frage der Satire neu stellt. Ganz vereinfacht gesagt, war die Satire 1848-1914 eine „geknebelte“, 19141938 eine größtenteils „befreite“, aber im Spätstadium wieder „bedrohte“, und 19452000 eine „totale“.” Der vierte Teil war schon von Anfang an geplant. Er erwies sich als ein ungeheures Forschungsfeld. Zwar hatte man schon 1965 mit den Recherchen begonnen, die ExilZeitspanne wurde aber noch lange streng auf 1938-1945 oder 1933-45 reduziert. Aber die Standardwerke fehlten lange noch. In der Erforschung und Edition von Exilliteratur hielt man sich oft nur an die „GröBen“ und an Archivbestände in der Nähe (Österreich, Schweiz, Frankreich, England). Bei unserer Tagung wurden die „Unbekannteren“ nun ein wenig bevorzugt. So war dann die Rede von Fritz Kalmar (A. SaintSauveur), Hermann Leopoldi und Karl Farkas (M.G. Patka), Hermynia Zur Mühlen (B. Rabitsch), Charles von Ripper (M. Neuwirth), Benno Geiger (Gabriella Rovagnati), Fritz Kortner (M. Bobinac), Ulrich Becher und Peter Preses (H. Haider-Pregler). Subund Hochliteratur liefen hier parallel wie in der österreichischen Tradition überhaupt. Die Recherchen über das Exil wurden lange durch Voreingenommenheiten blockiert man setzte diesen Schreibdiskurs oft mit einer einfachen „Literatur des Ichs“ gleich. Die politische Tabuisierung rührte von dem her, was die Beschäftigung mit Exilliteratur unvermeidlich aufrührte: Antisemitismus, Judentum, Shoah, Nationalsozialismus, Verantwortung und Schuld. Die Zerstreuung der Dokumente, die Vielfalt der Archive, das Fehlen an Ubersetzungen von fremdsprachigen Werken der Exilanten waren weitere Verzögerungsfaktoren. Auch in Österreich beschäftigen sich einige Institutionen kontinuierlich mit dem — „ungeheuren“ — Thema; aber eine Österreichische Gesellschaft für Exilforschung ist erst 2002 von Konstantin Kaiser, Wolfgang Neugebauer und Erika Weinzierl initiiert worden. Bei unserer Tagung wurde das Untersuchungsspektrum sehr breit angelegt, auch weil man so die intellektuellen und infrastrukturellen Vernetzungen besser überschaut. Die österreichischen Centres und Centers, die Cabarets, die Zeitschriften der Exilanten spielten da eine maßgebliche Rolle: Am Beispiel des „Laterndl‘“ in London (Richard Dove) sieht man, daß ein Stammpublikum angesprochen wurde, nämlich diejenigen Exilanten, die eine Art Kolonie bildeten — wie im 19. Jahrhundert die Migranten in Boston oder Chicago. Vielleicht läßt sich im Exil zwischen 1933-45 dieses Verhalten durch die Hoffnung auf eine Rückkehr erklären. Jetzt aber, wo der Holocaust allgemeiner debattiert wird und man weiß, daß die Schuldfrage bei den Überlebenden oft zum Trauma geworden ist, daß zwei bis drei Generationen von Autoren und Intellektuellen als Remigranten oder Assimilanten dieses Paradigma Shoah-Problematik weiter behandeln, darf dieses (auch ethische, literarische) Phänomen nicht übergangen werden. Man hätte annehmen können, daß das Forschungsobjekt im Laufe der Zeit einem gewissen Verschleiß zum Opfer gefallen wäre. Trotz des Ausbleibens einiger „ExilZivilisationisten“ und -Historiker, die durch das Literarische des Begriffs „Satire“ abgeschreckt wurden, war dem nicht so; und diesmal haben wir sogar Beitragsangebote zurückweisen müssen. Was in unserem Panorama noch fehlte, war eben fast das