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Auf S.55 von ZW Nr. 2/2003 ist ein Foto abgebildet, das den Arbeiterdichter Adolf Unger, seine Frau Sobel und ihre Tochter Hanna 1941 im französischen Internierungslager Rivesaltes zeigt. Adolf und Sobel Unger wurden am 5. September von Rivesaltes nach Drancy und von dort am 11. September nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie gleich nach der Ankunft mit Giftgas ermordet wurden. Die Tochter Hanna überlebte mit Hilfe der Quäker und des Ehepaars Elie und Suzanne Galtier, deren Fürsorge sie schon am 4. September übergeben worden war. Die Galtiers, wohnhaft in der Stadt Mazamet (Département Tarn), Protestanten, hatten sich 1942 bei ihrem Pastor in eine Liste von Freiwilligen eintragen lassen, die bereit waren, von den Deutschen verfolgte Juden bei sich aufzunehmen. Zuerst wurde ein vierjähriger polnischjüdischer Bub, Nathan Spilman, zu ihnen geschickt, dann die siebenjährige Hanna. Der heute 93jährige Unternehmer Elie Galtier erinnert sich: Zum Glück hatten die Eltern, die deportiert und vergast wurden, den Einfall, ihre Tochter als transportunfähig auszugeben. So entkam sie dem Todeslager. Als sie im Mazamet einlangte, befand die sich in einem bedauerns‚werten Zustand: in viel zu großer, zerfetzter Kleidung, die zerrissenen Schuhe mit Schnürsenkeln zusammengebunden, vollkommen verschreckt. Es gab damals nicht viele Freiwillige. Man konnte Erwachsene verstecken, aber mit Kindern war das schwieriger. Das kleine Mädchen war traurig über den Verlust seiner Eltern. Meine Frau, die Lehrerin war, nahm die beiden Kinder auf ihrem Fahrrad mit in die Schule. Um sie zu schützen, wurden ihre Vornamen auf Armand und Annie geändert. Ich wandte mich sogar an den seinerzeitigen Bürgermeister Charles Cazenave, er möge ihnen Identitätskarten ausstellen, damit sie keine Schwierigkeiten hätten, aber er weigerte sich. Trotz der ständigen Gefahr einer Denunziation ist schließlich alles gut gegangen. Der kleine Bub blieb bei uns, bis er nach der Befreiung von seiner Mutter, die in Toulouse überlebt hatte, abgeholt wurde. Hanna Unger, die 1947 zu den Großeltern nach Palästina fuhr, später nach Frankreich zurückkehrte, nach der Heirat mit einem Franzosen nun Planat heißt und in Vichy lebt, fand im Dezember 2001 mit Hilfe der „Direction des anciens combattants et victimes de la guerre“ die Menschen wieder, ohne die sie ihren achten Geburtstag nicht mehr erlebt hätte. Suzanne Galtier war mittlerweile verstorben. Im Juni 2002 besuchte sie Elie Galtier, und am 28. Oktober 2002 wurde Elie Galtier und posthum auch seiner Frau im Festsaal des Rathauses von Mazamet der Titel „Gerechter unter den Völkern“ verliehen. Diese Auszeichnung wird von der Erinnerungsstätte Yad Vashem in Jerusalem an Menschen vergeben, die in der Zeit der Shoah unter Gefahr ihres Lebens Juden gerettet haben. Hanna Planat, glücklich ihre Retter wiedergefunden zu haben, deren Namen ihr lange Zeit entschwunden waren, war bei der kleinen Zeremonie natürlich zugegen. „Sie haben mir“, sagte sie, „ein zweites Mal das Leben gegeben. Sie haben mir ermöglicht, heute unter Euch zu sein. Sie seien dafür bedankt.“ — K.K. 54 Rezensionen Zielland Österreich: Flüchtlingsporträts „Wenige Lebensgeschichten sind so spannend wie die von Flüchtlingen. Wer seine Heimat wegen politischer, rassistischer oder religiöser Verfolgung verlassen musste, dessen Erlebnisse sind oft aufregender als jeder Roman.“ Dies mag zynisch klingen, hat aber eine wahren Kern. Mit dramaturgischem Geschick läßt sich das „aufregende“ Leid anderer „spannend“ und somit unterhaltend darstellen. In einer Gesellschaft, die dem „Infotainment“ so verfallen ist wie die unsere, ist das vielleicht sogar der einzige Weg, um auf die traumatischen Erlebnisse oder Leidenserfahrungen von Mitmenschen aufmerksam zu machen. Die österreichischen Journalisten Robert Schlesinger, Melita H. Sunjic, Michael Mésendorfer und Benedikt Sauer hoffen, wie es scheint, auf eine solche Aufmerksamkeit fiir ihr kiirzlich erschienenes Buch „Flucht nach Österreich“, dessen Vorwort das obige Zitat entnommen ist. Für jedes Jahr zwischen 1945 und 2000 haben die Autoren ein bis zwei Flüchtlinge interviewt, die in diesen Jahren nach Österreich gekommen waren. Die so entstandenen Kurzporträts erzählen — um nur einige zu nennen — von Sudetendeutschen, die nach dem Krieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden, von Flüchtlingen aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks, von den Opfern der Kriege auf dem Balkan, von politisch Verfolgten aus den Ländern der Dritten Welt, oder von russischen Juden, die auf dem Weg nach Israel lieber im „Transitland‘“ Österreich ein neues Leben beginnen wollten... Das Buch, dem eine Serie von Beiträgen in der Tageszeitung „Der Standard“ als Basis diente, wurde um ein Nachwort erweitert, das einen Überblick über die Asylpolitik, die Flüchtlingsbetreuung und die Arbeit von NGO'’s in der Zweiten Republik bietet. Um es vorwegzunehmen: die Texte überzeugen weder durch sprachliche Brillanz, noch durch inhaltliche Präzision. Bedrückende Details von Verfolgung und Flucht, von Immigrantenalltag, Ausländerfeindlichkeit und Behördenwillkür in Österreich werden oft konzeptlos aneinandergereiht. Auf den Leser wirkt diese Aufzählung von Fakten im Telegrammstil ermüdend, insbesondere weil die Menschen, um die es geht, hinter diesen Fakten nicht immer greifbar (vor allem aber begreifbar) sind. Allzu deutlich merkt man diesen ursprünglich als Zeitungsartikel konzipierten Berichten an, daß sie für die Buchfassung nur unzureichend überarbeitet wurden (was angesichts des Materials, das den Autoren zur Verfügung stand, des originellen Konzeptes und des wichtigen Themas schade ist). Demzufolge sind die stärksten