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Renate Göllner Die Literatur zu Paul Celan ist heute kaum mehr überschaubar. Hierzu zählen auch die im Laufe der letzten 10 Jahre publizierten Briefbände; u.a. der Briefwechsel Celans mit seinem Czernowitzer Freund Erich Einhorn, mit Nelly Sachs, Peter Szondi und Franz Wurm. Nun, 30 Jahre nach dem Freitod des Lyrikers, ist im Suhrkamp-Verlag der Briefwechsel Paul Celan - Gisele Celan-Lestrange in deutscher Übersetzung erschienen. Dabei handelt es sich zweifellos um das privateste und intimste Zeugnis des Lyrikers, der, wie er einmal mitteilte, „kein Freund der Vergesellschaftung des Innenlebens“ sei. Ob er der Herausgabe zugestimmt hätte? Über 700 Briefe enthält der Band, nahezu die Hälfte stammen aus Celans Feder, einige wenige sind auch an seinen Sohn Eric gerichtet. Geschrieben wurden sie zwischen Dezember 1951 und März 1970, der wohl bedeutendsten Schaffensperiode Celans. Bemerkenswert und für eine Briefausgabe höchst ungewöhnlich ist die darin enthaltene Gedichtanthologie; Gedichte Celans an Gisele, die er seinen Schreiben immer wieder hinzufügte und die stets einen Bezug zu den Briefen aufweisen. Manchmal von Celan ins Französische übersetzt, um seiner Frau, die Französin war, die Lektüre zu erleichtern; deshalb sind einige Gedichte in deutscher und französischer Fassung abgedruckt. Bei keinem der Gedichte handelt es sich um die endgültige, definitive Fassung; das aber macht sie für Leser, vor allem aber auch für Philologen besonders interessant und wertvoll. Darüber hinaus bietet der umfangreiche und genaue Kommentar, ebenso wie die Zeittafel, die sich im zweiten Band der Ausgabe befinden, eine unverzichtbare Hilfe für den Kontext und das nähere Verständnis der Texte. 1948 war Celan von Wien nach Paris übersiedelt, das er zu seinem ständigen Exil wählte. Kurz danach lernt er auch seine spätere Frau, die Graphikerin und Malerin Gisele Lestrange, kennen. Und es ist insbesondere die Geschichte dieser schwierigen und komplizierten Beziehung zwischen der Malerin und dem Lyriker, die in dem Briefband dokumentiert ist; Briefe, wie Liebende sie einander schreiben, fiir Dritte nicht bestimmt und kaum von Belang. Dennoch gibt es abseits des Privaten, Passagen, die das Interesse wecken; etwa jene Gespräche, die von einer engen Zusammenarbeit zwischen Celan und seiner Frau zeugen: Gisele Lestranges’ abstrakte Radierungen sind immer wieder literarische Inspiration fiir Celan, zahlreiche Arbeiten hatte sie fiir seine Gedichtbande hergestellt. „In Ihren Kupfern“, schreibt er, ,,erkennen ich meine Gedichte wieder; sie gehen durch sie durch, um darin zu sein, immer wie56 der.‘” Insbesondere aber sind es die politischen Bedingungen jener Jahre, der Antisemitismus und die Situation in Deutschland, die in Briefen ihren Niederschlag finden. Viele der Briefe wären wohl kaum geschrieben worden, hätte es im Leben des Paares nicht immer wieder längeren Phasen der Trennung gegeben. Für Celan, der nach dem Krieg und der Ermordung seiner Eltern durch die Nazis Paris als ständiges Exil gewählt hatte, waren die Lese- und Besuchsreisen nach Deutschland, der Schweiz und Österreich existentieller Zwang: Der in Frankreich damals nahezu unbekannte Lyriker mußte sich immer wieder dort aufhalten, um literarische Beziehungen zu knüpfen, sich mit seinen Verlegern zu treffen und um mit seinem ausschließlich deutschsprachigen Publikum überhaupt in Kontakt treten zu können. Außerdem war Celans Alltagssprache seit seiner Übersiedlung nach Paris fast ausschließlich Französisch, die Sprache seiner Dichtung und Übersetzungen aber blieb ausschließlich das Deutsche. Nicht deutsch sprechen zu können aber hatte etwas Beunruhigendes für den Lyriker und auch das war möglicher Anlaß, nach Deutschland zu fahren. Anders als bei Beckett war für ihn französisch nie zur zweiten literarischen Sprache geworden. Mit mangelnder Begabung konnte dies gewiß nichts zu tun haben. Schließlich beherrschte Celan rumänisch, russisch, hebräisch, italienisch und englisch, auch Latein und griechisch „umbabeln‘“ seine Poesie; und was das Französische betrifft, so hatte er dazu stets eine besonders innige Beziehung, seine Übersetzungen - u.a. Apollinaire, Mallarmé, Rimbaud — legen davon beredtes Zeugnis ab. Vielmehr war Celan der deutschen Sprache auf höchst zwiespältige, zerissene Weise, in einer Art Haßliebe, verpflichtet: Der Sprache, die nicht nur seine Mutter ihn beigebracht hatte, sondern auch die, die ihre Mörder sprachen; insofern war seine Flucht von Wien nach Paris auch eine Flucht vor den Deutschsprechenden. ,,... meine Riickkehr aus Frankfurt“ schreibt er Giséle „das war gewissermaßen die Rückkehr des Krieger — des jüdischen Kriegers“.* Deutlich war damit seine Beziehung zu den Deutschen charakterisiert: er befand sich mit ihnen in einem permanenten Krieg. Und es ist insbesondere dieses quälende Verhältnis zu den Deutschen und ihrem Land - „.... ich mag es überhaupt nicht. Ich finde die Leute erbärmlich ...“5 —, das Celan in seinen Briefen immer wieder zur Sprache bringt; Passagen, die zu den interessantesten und aufschluBreichsten des Briefwechsels zählen. „Ich schlafe schlecht hier: die menschliche Landschaft in diesem unglücklichen Land (das sich seines Unglücks nicht bewußt ist) ist höchst beklagenswert ... Heute abend werde ich ihnen Gedichte vorlesen, über ihre Köpfe hinweg, und es wird ein wenig so sein, als wollte ich meinen Hörern jenseits ihrer selbst begegnen, in einer zweiten Wirklichkeit, die mein Geschenk an sie sein wird.‘“ Dadurch daß Celan dem, was ihn von seinem vorwiegend nicht-jüdischen Lesern trennte, der Shoah, sprachlichen Ausdruck verlieh, war jede gemeinsame Realität von vorne herein ausgeschlossen. Distanz ließ sich nur durch Verstörung herstellen, Inkomensurabilität war die Voraussetzung um Verständigung überhaupt erst zu ermöglichen. Weil der Massenmord durch die Zerstörung und Befreiung Deutschlands durch die Alliierten und die Verfolgung einiger weniger Täter bald zum Verbrechen der Vergangenheit geworden war, das eine neue Art heimlicher, verschworener Gemeinschaft von Mördern und Mitwissern stiftete, hatte diese neu entstandene „Volksgemeinschaft“ auch für den, der es wagte, die Ungeheurlichkeiten der Vernichtung zu thematisieren, oft nur Häme, Spott und Verachtung über. Als Celan im Mai 1952 zum ersten Mal nach dem Krieg nach Niendorf fährt, um einer Einladung der Gruppe 47 Folge zu leisten, schlug ihm selbst von jenen, denen der Nimbus des Antifaschismus anhafte, blanker antisemitischer Haß und Hohn entgegen; Deutschland wird für den Überlebenden fortan zur „Angstlandschaft“. Und auch hier verwendet Celan eine Metapher des Krieges, um Giséle die Atmosphäre der Lesung zu charakterisieren: „Erster Waffengang“, „... Ich habe laut gelesen, ich hatte den Eindruck über diese Köpfe hinaus — die selten wohlmeinend waren - einen Raum zu erreichen, in dem die Stimmen der Stille noch vernommen wurden ... Die Wirkung war eindeutig. Aber Hans Werner Richter, der Chef der Gruppe, Initiator eines Realismus, der nicht einmal erste Wahl ist, lehnte sich auf. Diese Stimme, im vorliegenden Fall die meine, die nicht wie die anderen durch die Wörter hindurchglitt, sondern oft in einer Meditation bei ihnen verweilte, an der ich gar nicht anders konnte als voll und von ganzem Herzen daran teilzunehmen — diese Stimme mußte angefochten werden, damit die Ohren der Zeitungsleser keine Erinnerung an sie behielten.“’ Celan las damals die Todesfuge, für die Mitglieder der Gruppe offenkundig eine unerträgliche Provokation: „Als Celan zum ersten Mal auftrat, da sagte man: ‚Das kann doch kaum jemand hören!‘ er las sehr pathetisch. Wir haben darüber gelacht, ‚Der liest ja wie Goebbels!‘ sagte einer. Er wurde ausgelacht, so daß dann später ein Sprecher der Gruppe der Gruppe 47, Walter Hilsbecher aus Frankfurt, die Gedichte noch einmal vorlesen mußte. Die Todesfuge war ein Reinfall in der Gruppe“, erinnert sich Walter Jens.® Doch nicht nur als Goebbels wurde der Überlebende verhöhnt, Hans Werner Richter spottete über den Vortrag, er sei ein „Singsang wie in einer Synagoge“ und Celan ein „Gestörter“.” Nie wieder hat Celan