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Im befreiten Paris sucht Ionesco die Annäherung an die sich abzeichnende rumänische „Volksrepublik“, die nichts Eiligeres zu tun haben wird, als die ehemaligen „Grünhemden“ für ihre Zwecke einzuspannen. Das entgeht ihm naiverweise. Seine Angriffe auf Justiz, Polizei und die nazistisch verseuchte Armee, von der Bukarester Viata Romäneascä im März 1946 veröffentlicht, tragen „‚Herrn Ionesco, vom Antonescu-Regime als Kulturberater nach Vichy geschickt’“ (398), eine Verurteilung in Abwesenheit zu elf Jahren Haft und ein Auslieferungsbegehren an Frankreich ein, dem dieses nicht nachkommt. Ihm, Ionesco, gilt solches, und nicht etwa den Kollaborateuren Eliade und Cioran! Wir wissen nicht, ob diese Affaire am Anfang einer Annäherung stand, die das 1977 auf der place Fürstenberg in Paris aufgenommene Foto der drei einvernehmlich Lächelnden suggeriert. Es ist jenes Foto, das das Deckblatt des Buches von Laignel-Lavastine ziert. Anders als Ionesco war Eliade ein Meister der Vertuschung. Auf erste Enthüllungen der Jerusalemer Zeitschrift Toladot (im Jahre 1972), die ihn schließlich zur persona non grata in Israel werden lassen, reagiert der dem dortigen Kollegen Gershom Scholem gegenüber mit einer Lügenlawine, die die Autorin präzise widerlegt. (Vgl. 194, 195, 201, 208, 310.) Lügen sitzt im Todesjahr Eliades 1986 noch der Pariser Nouvel Observateur auf: „Die Gefahr war da“, erinnert sich der „demokratische“ Professor an die dreißiger Jahre, „und ich fragte mich, was ich tun konnte.‘“ Er tat das seine... Und Cioran? Cioran schwankt, wo Eliade schweigt. Verschweigt. In den Cahiers, in denen manche Passagen mit dem Zusatz „a detruire‘“ (zu vernichten) versehen sind, heißt es zweideutig unter dem Jahr 1963: „Ich denke an meine ‚Irrtümer’ der Vergangenheit, und es gelingt mir nicht, sie zu bedauern. Das hieße, meine Jugend mit Füßen zu treten, was ich auf keinen Fall will. Mein früheres Sichgehenlassen entsprang meiner Vitalität, meiner Freude an Skandal und Provokation, einem Willen zur Wirkung, trotz meines damaligen Nihilismus. Das beste, was wir tun können, ist, unsere Vergangenheit zu akzeptieren; oder aber nicht mehr daran zu denken, sie für tot, ganz und gar für tot zu erachten.‘“” Einer, der das nicht so sehen wird, ist Paul Celan, Ciorans Übersetzer des Precis de decomposition ins Deutsche‘, und dessen projektive Figur nachträglicher Selbstlegitimation: Ich war nicht der, der ich war — Je est un autre (Rimbaud). Cioran wird es Celan zeitlebens nachtragen, den Kontakt zu ihm abgebrochen zu haben. Mircea Eliade, Emile M. Cioran, Eugéne Ionesco: die ersten beiden schwiegen zum System Ceaugescus (aus Angst? aus Einverständnis?), der letztgenannte tat das nicht. Für Alexandra Laignel-Lavastine stehen die drei für unterschiedliche Paradigmen der Ausblendung von Lebensgeschichte: Dissimulation bei Eliade, Oszillation bei Cioran und Substitution bei Ionesco, weil dieser den antifaschistischen Reflex durch den antikommunistischen ersetzt habe. Das ist insofern richtig, als spätestens mit dem Sechstagekrieg und der Reaktion der (alten und neuen) Linken darauf die „antitotalitäre Konstante“ Ionescos, von der Laignel-Lavastine selbst spricht (452f.), sich nicht mehr auf die Rechte beschränkt. Aber es genügt nicht, derart ein Triumvirat unter dem Diktum des heimlichen Einverständnisses mit dem Faschismus zu konstruieren. (Cioran hat Vichy frei gewählt, für Ionesco war es — zumindest subjektiv — lebensrettend.) Antikommunismus heißt noch nicht Faschismus! Das ist der Haupteinwand gegen ein Buch, das — einige Ungenauigkeiten beiseitegelassen’ — dennoch das immense Verdienst hat, in die unselige rumänische Debatte um 10 die Priorität stalinistischer oder nationalistisch-nationalsozialistischer Verbrechen einzugreifen und den dortigen Negationisten das Handwerk zu legen. Anmerkungen 1 Zit. nach Z(igu) Ornea: Anii treizeci. Extrema dreaptä romäneascä. Bukarest 1995, 184. (Dieses wie alle folgenden rumänischen und französischen Zitate in der Übersetzung des Verfassers.) 2 Alexandra Laignel-Lavastine: Cioran, Eliade, Ionesco: L’oubli du fascisme. Trois intellectuels roumains dans la tourmente du siecle. Paris 2002. 553 S. (Seitenangaben von nun an nach den Zitaten.) 3 Vgl. Mircea Eliade: Salazar si Revolutia in Portugalia. Bukarest, 1942. 4 Vgl. Emil Cioran: Schimbarea la fatä a Romäniei. Bukarest 1936. Die Neuauflage (Bukarest 1990) ist wegen der vom Autor vorgenommenen Eingriffe für die Forschung unbrauchbar. 5 Vgl. Eugen Ionescu (d.i. Eugene Ionesco): Nu (1934). Bukarest 1991, 115-138. 6 Vgl. „Mircea Eliade, le dernier des alchimistes“, entretien avec M. Olender. In : Le Nouvel Observateur (Paris), 2-8 mai 1986. 7 E. Cioran: Cahiers (1957 — 1972). Avec un avant-propos de Simone Boué. Paris 1997, 208. 8 Vgl. E. Cioran: Lehre vom Zerfall. Essays. Hamburg 1953. Das französische Original erschien 1949. 9 Sie seien hier nur in der Anmerkung genannt: Der Autor von Une passion roumaine. Histoire de l’Institut Francais de Hautes Etudes en Roumanie (1924 — 1948), Paris-Montréal 1998, heißt Andre Godin und nicht A. Gaudin (93, Anm. 3); der Okonom und Politiker Virgil Magdearu schreibt sich richtig Madgearu (117); die Hamburger Zeit ist keine Tages-, sondern eine Wochenzeitung (125); der jiidische Schiiler David Fallik (nicht: Falik) wurde nicht 1936, sondern 1926 in Czernowitz ermordet als Folge seines Protestes gegen das rumänische Baccalaureatsgesetz (189f.); schließlich saß der junge Paul AntschelCelan im Arbeitslager Täbärästi (nicht: Täbäresti) ein. (480) Die Armin-T.-Wegner-Gesellschaft wurde im September 2002 in Wuppertal (BRD) gegründet; Vorsitzender ist Christoph Haacker. Wegner (wir berichteten schon einmal) machte sich einen Namen als Reiseschriftsteller, der die Augen nicht vor der Realität verschloß. So war er einer der ersten, der den von den Jungtürken betriebenen Völkermord an den Armeniern aufdeckte. In erster Ehe mit Lola Landau (vgl. ZW Nr. 1/2002) verheiratet und überzeugter Pazifist, ging er nach KZ-Haft 1936 ins Exil nach Italien. Die Wegner-Gesellschaft möchte in seinem Sinn tätig werden, plant bereits für 2003 eine Reihe von Veranstaltungen in Wuppertal, Köln und Berlin und will einen Almanach herausgeben. Die Gesellschaft wirbt um Mitglieder. Kontakt: Armin-T.Wegner Gesellschaft, D-42107 Wuppertal, Else-Lasker-Schüler-Str.45, Tel. +49 202 305725, E-mail: mediadea@aol.com.