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sie Geld, heute habe ich leider noch nichts. Kaum hatte sie nachgegeben, kam ihr Mann plötzlich vom Urlaub heim, er war ein einfacher Korporal... Es ist mir nach stundenlangem Reden gelungen, seine Zustimmung zu bekommen. Das war kein Mut. Entweder man will leben oder man will umkommen. So wie bei vielen anderen, die weg sind aus Österreich, als Vertriebene, so war auch unser Leben, und nicht immer so, daß wir es ertragen konnten. Wir waren jemand in Österreich, beide waren wir jemand. Dann waren wir plötzlich niemand. Man kommt in eine Emigration, in ein fremdes Land, niemand wartet mit offenen Armen. Von da an waren wir über zehn Jahre dort. Wir hatten Glück, denn wir bekamen Studenten von der Universität, die London School of Economics war in Cambridge. Ich hatte gebeten, bitte schickt mir Mädeln... Das war wie eine kleine Pension. Natürlich hat es geheißen, Frühstück machen, Abendessen, Betten überziehen. In einem alten Haus mit gewundenen Stiegen. Nachher habe ich mir eine Hilfe genommen. Dazwischen schildert Walter Felsenburg seine achtmonatige Internierung auf der Isle of Man: Wir wurden alle zu einer Kommission in Cambridge gerufen, und die erklärten uns für ‚gute Emigranten’. Aber auf einmal hat die englische Regierung sich aufgeregt, als überall die ‚german parachutes’ herunterkamen. Dem Bürgermeister von Cambridge wurde gesagt, er soll die Leute aussuchen, die verdächtig sind. Und der Bürgermeister meinte, warum soll ich das machen, interniert sie alle und dann soll die Regierung sie aussuchen. Es dauerte Monate, bis man mich wieder nach Hause geschickt hat... Der Vertreter von den internierten Leuten war ein ehemaliger Unterseeboot-Kapitän namens Hildebrand. Das war interessant, es war schon Krieg, und Bomben fielen auf England, aber nicht auf die Isle of Man, weil dort auch deutsche Kriegsgefangene waren, und sie wollten nicht ihre eigenen Leute töten. Claire Felsenburg: Durch diese kleine Pension habe ich Studentinnen bekommen, die schon etwas älter waren. Eine war aus Schottland, eine aus Melbourne/Australien, eine war eine Mutter, die zur Matura ihrer Tochter nach Cambridge gekommen war. Die Stadt war überfüllt, nicht einmal einen Sessel hätten Sie haben können. Ich habe zufällig noch ein Zimmer gehabt für diese Frau. Sie ist nachher meine beste englische Freundin geworden. Sie hat mir das Leben gerettet, denn ich hatte solches Herzweh aus Angst um meine Familie. Sie hat mich geliebt, war so gut zu mir. Als sie wegging, hat sie sich bedankt und begann mir zu schreiben. Dadurch habe ich wunderbare englische Briefe bekommen. Dadurch lernte ich auch gut englisch zu schreiben und zu sprechen. Damals habe ich zu meinem Mann gesagt: Wir sind jetzt acht Jahre verheiratet. Wenn wir jetzt kein Baby kriegen, wird unser Kind sehr alte Eltern haben. Unser Kind kam auf die Welt, noch bevor der Krieg zu Ende war. Trotz dieser Lichtblicke war das Leben der Felsenburgs ständig überschattet: Das ganze Leben war zertrümmert. Es war gar nichts mehr. Da mußte man alles vergessen... Eines Tages hat mein Mann eine Grippe bekommen, die größte Epidemie in England. Dann hat er Mumps bekommen. Gerade wie ich schwanger war. Aber wie man sieht, wir sind da, und haben viele Hindernisse überwunden. Wenn ich heute die Jugend sehe, der eine will das nicht, ein anderer jenes, jeder will Manager sein, dann denke ich mir: Was würdet ihr sagen, wenn ihr am Abend nicht einmal ein Stück Brot zu essen hättet? 12 Ich war in jener Zeit sehr ans Haus gebunden. Es fehlten mir Kontakte. Bei einer Highschool meldete ich mich für eine höhere Klasse mit Zeichen- und Malstunden an. Ich sagte, ich bin eine verheiratete Frau und paß nicht zu den Jugendlichen, aber ich möchte so gern den Kurs mitmachen. Man nahm mich in die Anfänger-Kunstklasse auf. Das hat mir später geholfen, als ich nach Amerika gekommen bin. Ich suchte eine Stelle. Ein Mann hatte ein Studio in Kalifornien, da wurden Krawatten bemalt. Ich habe ein paar Monate mitgemacht, um Weihnachten herum. Dann habe ich gemerkt, daß ich das gut auch selber kann. Also habe ich mir ein Permit von der Polizei geholt und bin einkaufen gegangen: Papiere für Schablonen, eine Maschine, mit der man Schatten druckt, Nähmaschine, Zeichnungen. Es war am Anfang ein ganz kleines Studio, aber mit einem typischen Namen für Amerika: Hollywood-Studio. Ich habe mich bei Bekannten vorgestellt: Hier sind meine Muster, du brauchst ein bißchen weniger zu zahlen als bei den anderen, denn das waren lauter Halsabschneider. Tatsächlich habe ich Kunden bekommen. Ich war sehr stolz damals. Zum Vatertag haben wir eine spezielle Krawatte gemacht, so ganz kleine Zeichnungen... Aber leider lief das nur im Winter, im Sommer tragen die Leute in Kalifornien keine Krawatten. 1967 reiste Claire Felsenburg zum ersten Mal wieder nach Wien. Meine Schwester lebt dort, sonst wäre ich nicht gegangen. Ich hatte eine große Abscheu und ein schreckliches Gefühl, aber das habe ich nicht gezeigt. Ich bin in der Lage, Sachen zu übertauchen und so zu tun, als ob es in Ordnung wäre, auch wenn es nicht so ist. Das Bedürfnis, ihre Kindheit zu verarbeiten, mündete für Claire Felsenburg in das nun vorliegende Buch: Ich fing an zu schreiben, mehr aus Sehnsucht nach dem ganzen Leben, das verloren war. Ich spreche in meinen Erinnerungen sehr wenig über mich, sondern hauptsächlich über meine Mutter, die das ganze Leben von uns sehr beeinflußt hat. Aber sie dürfen etwas nicht vergessen: Ich bin keine Schriftstellerin, sondern eine Amateurin, meine früheren Arbeiten liegen Jahre zurück. An diesen Aufzeichnungen habe ich hundert Jahre gearbeitet. Ich war ja berufstätig. Aber ich schreibe sehr sehr gern und habe auch eine unerhörte Korrespondenz mit cirka fünfzig Leuten in der ganzen Welt. Nach der Ankunft in Amerika habe ich ihnen berichtet, wie meine Fahrt gewesen ist und was mich beeindruckt hat, die Reise von New York nach California, der Unterschied in Landschaft und Pflanzen, die Orangengärten usw. Die Leute waren begeistert. Jetzt lebe ich zurückgezogen, muß mich mit dem täglichen Leben befassen und habe weniger Zeit und Energie. Claire Felsenburgs sehnlichster Wunsch ist nun in Erfüllung gegangen, auch wenn sie ihr Buch nicht mehr selbst in Empfang nehmen konnte. Vor zwei Jahren war sie voller Hoffnung: Für mein Manuskript hat sich nun eine sehr bekannte Persönlichkeit angeboten, etwas zu tun. Wenn etwas draus wird, das wäre das höchste Glück meines Lebens. Claire Felsenburg: Flüchtlingskinder. Erinnerungen. Vorwort von Elfriede Jelinek. Hg. und bearbeitet von Rosemarie Schulak und Konstantin Kaiser. Wien: Theodor Kramer Gesellschaft gemeinsam mit Aktionsradius Augarten 2002. 193 S. Euro 18,-/ SFr 27,