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zu verwaltenden Erbe erklärt“. Viele der in der Bundesrepublik rezipierten Autoren blieben von einer Rezeption in der DDR, zum Teil bis zu deren Untergang, unberührt. Zentrales Thema Loewys wurde es, die Exilliteratur und deren Rezeption einem Wandel der Perspektiven zu unterwerfen. Gemäß Loewys Prinzipien hatte sich der Blick auf die Literatur des Exils mit der Veränderung Deutschlands, der Bundesrepublik, zu entwickeln. Als noch mancher gescheite Intellektuelle nicht zu erkennen vermochte, daß sich ein Paradigmenwechsel in der (deutsch-deutschen) Exilforschung anbahnte, ja notwendig wurde, hatte Loewy dazu bereits sein ceterum censeo proklamiert. Stetig konstruktive Kritik und beständiges, schriftlich unterlegtes Engagement zeichnete Loewy auch hierbei aus. Wer über die geschilderten Lebenszeugnisse des Forschers hinaus etwas über den charismatischen Menschen Ernst Loewy erfahren möchte, muß seine Aufzeichnungen Zwischen den Stühlen. Essays und Autobiographisches aus 50 Jahren (1995) zur Hand nehmen, die Felix Schneider mit Anmerkungen und einem klugen Nachwort versehen hat. Der israelische Autor Yoram Kaniuk sagte: „Jeder Deutsche ist die Antwort auf die ungestellte Frage jedes Juden und umgekehrt. Zusammen bilden wir ein Rätsel, das in einem anderen Rätsel verborgen ist, das sich wiederum in einem dritten Rätsel verbirgt, und diese Haßliebe wird am Ende die Wunden heilen.“ Mit all seinem Widerspruchsgeist verkörperte Loewy beide Seiten dieser Medaille, was er beeindruckend in dem 1986 erstmals erschienenen Aufsatz mit dem programmatischen Titel „Jude, Israeli, Deutscher — Mit dem Widerspruch leben“ darlegte. Ernst Loewys Wirken hat vielfache Anerkennung gefunden, doch die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch den Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Osnabrück am 25. Januar 1989 war nicht nur Anerkennung, sondern Zustimmung für den unermüdlichen Grenzgänger und Brückenbauer. Der Tod von Ernst Loewy ist ein Verlust, der zu betrauern ist, auch in dem Bewußtsein, daß er nicht zu ersetzen ist. Was er schrieb oder redete war nie in eingenebelte Selbstbezogenheit gehüllt oder von Geschichtsklitterei verstellt. Er zeigte auf, was morastig war oder von mancher rechten Figur aus vergangener oder gegenwärtiger Ära kaltschnäuzig als „zeitbedingtes Gedankengut“ gedeutet wurde. Loewy war ein großer und ehrlicher Forscher, dem das Schreiben zur Befreiung wurde, obwohl er in manchen seiner Texte die schmerzvolle Hürde des ersten Satzes kaum überwinden konnte. Auswahlbibliographie Richard Errell und Ernst Loewy: Bilderbuch für Vergeßliche. Frankfurt/M.: Europäische Verlagsanstalt 1961. Lizenzausgabe Büchergilde Gutenberg 1984. Ernst Loewy: Literatur unterm Hakenkreuz. Das Dritte Reich und seine Dichtung. Eine Dokumentation. Frankfurt/M.: Europäische Verlagsanstalt 1966. Lizenzausgabe Athenäums Taschenbücher 1990. Thomas Mann: Ton- und Filmaufnahmen. Ein Verzeichnis. Supplementband von Ernst Loewy. Frankfurt/M.: S. Fischer 1974. Ernst Loewy unter Mitarbeit von Brigitte Grimm, Helga Nagel und Felix Schneider: Exil — Literarische und politische Texte aus dem deutschen Exil 1933-1945. Stuttgart: Metzler 1979. Lizenzausgabe S. Fischer TB, 3 Bde. 1981/1982. Cornrad Piitter: Rundfunk gegen das ,,Dritte Reich“. Von Ernst Loewy konzipiertes Handbuch. Miinchen: K.G. Saur 1986. Thomas Koebner und Erwin Rotermund (Hg.): Riickkehr aus dem Exil — Emigranten aus dem Dritten Reich in Deutschland 1945. Festschrift mit Essays anläßlich des 70. Geburtstages von Ernst Loewy. München: edition text + kritik 1990 Gesellschaft für Exilforschung: Nachrichtenbrief 1984-1993, Nr. 1-15 mit Gesamtregister. Hg. von Ernst Loewy (Reprint). München: K.G. Saur 1995. Ernst Loewy: Zwischen den Stühlen. Essays und Autobiographisches aus 50 Jahren. Mit einem Vorwort des Autors. Mit einem Nachwort und Anmerkungen von Felix Schneider. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1995. Ernst Loewy: Jugend in Palästina. Briefe an die Eltern 1935-1938. Hg. von Britta Eckert. Berlin: Metropol 1997. Berthold Viertel Zwei Gedichte Die Lehrer Als ich die Schule schwänzte, fand ich meine Lehrer: Der eine, der unbegrenzte Lebensverehrer. Der andre, der ungebeugte Phrasenverneiner. Seitdem überzeugte mich so leicht keiner. Da geht die Zeit, geht wie ein großer Schuh... Da geht die Zeit, geht wie ein großer Schuh. Und manchmal lausche ich nach ihrem Tritt und manchmal halt ich fest und schleife nach, doch immer muß ich mit. Ich weiß, was klein ist und vergehen muß. Ich weiß, was groß ist, weil ich darum litt. Ich seh mir zu — und mach die Augen zu und gehe mit. Was war, das bleibt. Es ist nicht ungeschehn. Ich gehe, doch die Schatten halten Schritt. Bald sind sie klein, bald sind sie riesengroß, doch immer gehn sie mit. Vor bald 50 Jahren, am 24. September 1953 ist Berthold Viertel in Wien gestorben. Die Gedichte sind entnommen dem Band „Das graue Tuch“, erschienen 1994 als dritter Band der Berthold Viertel-Studienausgabe in der Reihe „Antifaschistische Literatur und Exilliteratur — Studien und Texte“. Auf 497 Seiten wurde das lyrische Werk eines der bedeutendsten Exilschriftsteller vorgestellt. Das Buch erfuhr nach seinem Erscheinen in Österreich nur eine einzige Besprechung, was im Negativen wohl als positiver Befund anzusehen ist. (Es ist zum reduzierten Preis von Euro 16,80 über die Theodor Kramer Gesellschaft noch lieferbar.) Der Verein zur Förderung und Erforschung der antifaschistischen Literatur möchte zum 50. Todestag Viertels zumindest ein kleines Zeichen setzen. Er bittet alle Freunde Viertels, die diese Zeilen lesen, um Vorschläge, Anregungen, Mithilfe. Zuschriften bitte an die Redaktionsadresse von ZW. 15