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Außerdem fuhr beinahe alle zwei Wochen ein illegales Schiff nach Palästina und das kostete selbstverständlich Geld. Ich weiß, daß mein Vater nicht genug Geld auftreiben konnte für drei Karten. Aber mit dieser Fluchtmöglichkeit verbinde ich noch etwas anderes, das mich lange belastete. Eines dieser Schiffe, die in Haifa angekommen waren, ist gesunken. Einer meiner Freunde aus dem Kinderheim wurde von der Leiterin gerufen; er solle nach Haifa fahren, seine Mutter sei bei dem Unglück ums Leben gekommen. Er mußte nun die Leiche seiner Mutter identifizieren und ihren Sarg entgegennehmen. Damals habe ich meinen Eltern geschrieben (man konnte noch schreiben; der Krieg war noch nicht ausgebrochen): „Bitte, Kommt mit keinem illegalen Schiff, ich habe große Angst davor!“ Manchmal mache ich mir heute noch Gedanken darüber, ob ich damit damals vielleicht das Schicksal meiner Eltern und meiner Schwester besiegelt habe. Ich weiß es nicht. Ich habe keine Antwort darauf. 1939 — es war kurze Zeit, nachdem ich in Palästina angekommen war, kam das sogenannte „White Book“ der Engländer heraus. Darin wurde festgelegt, daß während der kommenden zehn Jahren nicht mehr als 75.000 Juden nach Palästina einwandern dürften. Das war ein Versuch, die arabische Bevölkerung, die sich gegen die ‚Balfour Declaration’ auflehnte, zu beruhigen. Heute wissen wir, daß infolge dieses „White Book“ viele Menschen, die eigentlich nach Palästina kommen hätten können, nicht gerettet wurden. Es gab dann die illegalen Schiffe; es gab Kämpfe zwischen der englischen Navy und den Schiffen. Ben Gurion hat damals gesagt: „Wir kämpfen mit England gegen die Nazis, als ob es es kein ‚White Book’, und wir kämpfen gegen das ‚White Book’, als ob es keinen Krieg mit Hitler gäbe.“ Ich kam nach dem Kinderheim in Jerusalem in den Kibbutz Ein Gev. Dort habe ich einige der jüdischen Fallschirmjäger kennengelernt, die zum britischen Militär gegangen und hinter der Front abgesprungen sind. Sie haben immer zwei Aufgaben gehabt: Sie sollten Informationen über britische Gefangene sammeln und sollten versuchen, den Juden illegal fliehen zu helfen. Darunter war auch Teddy Kollek, den ich sehr bewunderte. Er erzählte mir, wie er von der Jewish Agency in die Türkei gesandt wurde und von Istanbul aus ein Büro leitete. Von diesem Büro aus war er in Verbindung mit den Präsidenten der Jüdischen Gemeinden in den von Nazis eroberten Gebieten; ebenso mit dem Präsidenten der jüdischen Gemeinde in Wien. So erfuhr ich durch ihn, daß meine Eltern noch am Leben waren. Damals wurde die „Hagana“, die Verteidigungsarmee, die illegal im Untergrund operierte, von Tag zu Tag stärker. Für mich persönlich war das ein Trost: Die Juden hatten gelernt, sich zu verteidigen. Sie hatten die Möglichkeit zurückzuschlagen, wenn man sie ermorden wollte. Der UNO-Beschluß vom 29. November 1947 brachte als sofortige Reaktion die Ablehnung durch die Araber. Am 14. Mai 1948 rief Ben Gurion den israelischen Staat aus. Ich war damals als junger Offizier in der israelischen Armee bei einem Einsatz, um einen Ring arabischer Kämpfer zu sprengen, die sich um den Kibbutz Yehiam formiert hatten. Einen Tag danach, am 15. Juli, fielen fünf Heere in Israel ein, um mit größter Gewalt den jüdischen Staat zu verhindern. Ich wurde in einem Gefecht am ersten Tag des Waffenstillstands am 11. Juni 1948 verwundet, setzte aber danach meine Karriere in der Armee fort. Und damit beende ich eine kurze Vorgeschichte. 18 Eine Nabelschnur des jüdischen Staates geht zurück nach Wien. Theodor Herzl war Journalist in Paris, als dort die Wellen der ‚Dreyfus-Affaire’ hochgingen: Ein jüdischer Offizier war unter falschen Beschuldigungen verurteilt worden. Die Verzweiflung über den Antisemitismus, der überall wütete, brachte Herzl zur Überzeugung, daß es einen jüdischen Staat geben müßte. Der Grundgedanke dieses zionistischen jüdischen Staates sollte auf einer Unterstützung durch die Christen basieren und von gegenseitigem Respekt und christlich-jüdischer Akzeptanz getragen sein. Wieder zurück in Wien formulierte Herzl: „In Basel gründete ich den Judenstaat und dieser Judenstaat wird im Zeitraum zwischen fünf und fünfzig Jahren realisiert werden.“ Mit den fünfzig Jahren hat er recht gehabt. In Wien hat es damals unter den Zionisten große Diskussionen gegeben. Einer der berühmten Widersacher der Realisierung des zionistischen Gedankenguts war ein Rabbiner aus Floridsdorf, Josef Samuel Bloch. In Michael Leys Buch „Abschied von Kakanien“ heißt es dazu: „Josef Bloch befürwortete zwar eine jüdische Kolonisation in Palästina, aber nur in einem begrenzten Umfang für besonders von Antisemitismus bedrohte Juden. Er sprach sich jedoch gegen die Errichtung eines Judenstaates aus, da er das Land für zu klein hielt, um alle Juden aufnehmen zu können. Da das Land besiedelt war, sah er deshalb auch Konflikte mit den Arabern voraus.‘ Der Mann, der schon vor mehr als 100 Jahren den Konflikt mit den Arabern vorausgesagt hat, besuchte 1921 Palästina. Als er zurückkam äußerte er: „Ich bin voll überzeugt davon, daß die Araber, die dort leben, den Judenstaat niemals akzeptieren werden.“ Ich selbst stelle mir heute die Frage: Ist es möglich, daß alle genialen jüdischen Denker diesen arabischen nationalen Aspekt nicht in Betracht gezogen haben? Erst später, beim Zionistischen Kongreß in Karlsbad 1921, nach dem Ersten Weltkrieg, lautete der erste Beschluß: „To live in relations of harmony and mutual respect with the Arab people the executive of the Zionist movement is called to achieve a sincere understanding with the arab people.“ Ein Ansatz, der leider bis heute nicht gelungen ist. Ich glaube, daß Israel auch viele Fehler begangen hat. Ich persönlich bin, mit meiner Familie, immer ein Anhänger des Friedenscamps von Jitzhak Rabin gewesen. Ich habe immer geglaubt, daß Israel bereit sein soll, ebenso Opfer zu bringen, um in Frieden zu leben. Leider wurden im israelischen Unabhängigkeitskrieg 6.373 Israelis getötet. Leider wurden viele arabische Bürger des Landes Palästina-Flüchtlinge. Das Problem der Flüchtlinge ist bis heute nicht gelöst. Aber leider gibt es eine palästinensische National-Charta, die bis heute Gültigkeit hat. Arafat gehört zu deren Hauptinitiatoren. Die Araber haben ihre eigenen Probleme. Sie betonen immer wieder: „Wir waren nicht schuld am Holocaust. Das war nicht unser Problem. Das war das Problem von Europa. Und die Europäer sollen diese Juden, die nach Palästina gekommen sind, wieder zurücknehmen. Wir sind nicht schuld daran.“ Diese Haltung hat leider bis heute auf beiden Seiten sehr viel Blut gekostet. Die PLO-Charta vom 17. Juli 1968 sagt ganz klar: „The Palestinian Arab people possess the legal right to their homeland and have the right to determine their destiny after achieving the liberation of their country in accordance with their wishes and entirely of their own accord and will.“ (Article 3) Es geht leider weiter: „The Jews who had normally resided in Palestine until the beginning of the Zionist invasion will be considered Palestinians.“ (Article 6) Die ,,Zionist Invasion“ begann nach dieser Auslegung 1917 -.d.h. alle, die