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Deutschen immer geweigert haben die österreichischen Juden zu entschädigen — ganz im Gegensatz zu den jüdischen Holocaust-Opfern in Osteuropa und der restlichen Welt. Eine Entschädigung der österreichischen Juden stand für Deutschland nie zur Debatte. Aber weshalb nicht? Die lapidare Antwort lautete stets: „Wendet euch an Österreich!“ Für mich ist das bis heute ein Rätsel. Weshalb wurden damals in Bad Kreuznach die ungeheuer großen Summen, die ich Ihnen genannt habe und die nach Deutschland geflossen waren, nicht für die überlebenden österreichischen Juden zurückverlangt? Aber ich bin erleichtert, daß es vor zweieinhalb Jahren schließlich auch in Österreich, mit einer Verspätung von über einem halben Jahrhundert doch zu Verhandlungen gekommen ist — durch das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland und aufgrund des Drucks der USA, der Claims Conference und der Israelitischen Kultusgemeinde. Zu meiner Freude muß ich sagen, daß es auf allen Seiten letztendlich einen guten Willen gab. Es gelang mir hier in Österreich, mit den politisch Verantwortlichen beinahe aller Parteien eine Gesprächsbasis zu finden. Viele haben sich mit ihrem Herzen eingesetzt, um zu einem Verständnis und zu einer Verständigung zu kommen. Die Regierungsbeauftragten Botschafter Dr. Sucharipa und Dr. Winkler haben — nachdem sie mit den Opfern und mit den Vertretern der Opferorganisationen gesprochen hatten — ihr Äußerstes getan, die Regierung davon zu überzeugen, daß zumindest Zeichen gesetzt werden müssen. Diese Zeichen sind verhältnismäßig gering, sie halten sich sehr in Grenzen. Das sind auch die inneren Grenzen der österreichischen Regierung. Aber es war doch ein historischer Durchbruch. Ich möchte noch hinzufügen, daß ich mit verschiedenen Leuten, die direkt oder indirekt in diese Verhandlungen involviert gewesen sind, positive menschliche Erfahrungen gemacht habe. Es ist eine Tatsache, daß ich persönlich mit Bundeskanzler Schüssel ein sehr gutes Gesprächsklima hatte. Er hat in diesen Verhandlungen eine menschliche Einstellung und Zivilcourage bewiesen. Wir haben heute immerhin einen Nationalfonds; es gibt zudem 15 Millionen Euro im Entschädigungsfonds, der, sobald Rechtssicherheit in den USA gegeben ist, aktiviert werden kann. Es gibt einen Zwangsarbeiterfonds, für den Dr. Wotava, der sich heute zu meiner Freude auch hier unter den Zuhörern befindet, verantwortlich ist. Wir konnten zusätzlich, nach der Follow up-Veranstaltung der Claims Conference, ein Jahr nach Abschluß der offiziellen Restitutionsverhandlungen noch weitere soziale Rechte für die Überlebenden erwirken. All diese Dinge stehen natürlich in keinem Verhältnis zu den begangenen Verbrechen. Aber es war auch für Österreich und die Bewußtseinsentwicklung der österreichischen Bürger und Bürgerinnen wesentlich: Vielen Menschen wurden dadurch Taten, Tatsachen und geschichtliche Zusammenhänge bekannt, die vorher im Dunkeln gelegen sind. Es fanden wertvolle Auseinandersetzungen mit der eigenen Geschichte, mit der Familiengeschichte und mit der Geschichte Österreichs statt. Auch ich sah mich wieder konfrontiert mit der Geschichte. Ich bin hier geboren. Dieses Land war einmal meine Heimat. Und obwohl es das heute und schon lange nicht mehr so ist — meine Heimat ist Israel geworden — spüre ich die Nabelschnur, die hierher nach Österreich zurück geht und die mich mit dem Land verbindet, ob ich will oder nicht. Ich erkenne immer wieder das Gespenst des Holocaust, das hier herumspukt. Es spukt in den Medien. Es versteckt sich in Gestalt der Berichterstattung über den Nahostkonflikts. Ich versuche, mich nicht in innenpolitische österreichische Angelegenheiten einzumi20 schen. Aber ich kann bestimmte Dinge nicht übersehen: Manches, das Vertuschen, das Beschönigen, hat sich — noch — nicht geändert. 1943 kam es zur Moskauer Deklaration der Alliierten, die besagt, daß Österreich wiederhergestellt werden solle, da es im März 1938 von Deutschland erobert und als eigener Staat annulliert wurde. Der letzte Satz dieser Deklaration — „Austria is reminded, however, that she has a responsibility which she cannot evade for participation in the war on the side of Hitlerite Germany, and that in the final settlement account will inevitably be taken of her own contribution to her liberation“ — wurde von österreichischer Seite nie erwähnt und immer unter den Teppich gekehrt. Ich erlaube mir, Ihnen am Ende dieses Vortrags zwei kurze Ausschnitte aus einer erschütternden Video-Dokumentation zu zeigen. Es sind Ausschnitte aus talkshows, die vom ägyptischen Fernsehen ausgestrahlt wurden.” Derartige Sendungen werden im Mittleren Osten fast täglich ausgestrahlt. Und nachdem Sie diese gesehen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie trotzdem glauben, daß es eine Möglichkeit gibt für den Frieden zwischen Israel und Palästina? Daß eine Brücke gebaut werden kann? Ich habe noch einige Fragen, die ich auch mir selbst stelle: Würde die Welt und beispielsweise auch Österreich — die Heimat, in der ich ursprünglich geboren wurde - zur Ruhe kommen, wenn fünf Millionen Israelis getötet würden? Würde das den Antisemitismus verstummen lassen? Würde dann der Spuk des Holocaust verschwinden? Ich habe in meiner Einführung behauptet, daß der Holocaust nicht zu einem Ende gekommen ist, weil die Idee, das jüdische Volk zu vernichten, Bestand zu haben scheint. Die Tatsache, daß seit dem Golfkrieg fünf Millionen Israelis tagtäglich und jede Nacht mit Gasmasken leben müssen, ist angesichts des Holocaust ein grauenhaftes Symbol! Gibt es in Europa keinen modernen Emile Zola? Kann Israel weiter existieren, wenn dieses informelle ‚Zunicken’ zwischen den extremistischen Moslems und Europa weiter bestehen bleibt? Wird unter solchen Bedingungen Israel existent bleiben? Ich schließe meine sehr persönlichen Ausführungen mit dem Gedicht meiner Landsmännin Hanna Blitzer aus der wunderbaren Zeitschrift Zwischenwelt. Dieses Gedicht, mit dem ich mich sehr identifiziere, hat sie „Wüste“ genannt: Ich bin in der Wüstengeneration, die in der Wüste der Gewalttaten geht. Vierzig Jahre wären genug gewesen, um das Land zu erreichen, in dem jeder unter dem Schatten seines Feigenbaumes sitzt in Frieden. Aber ich gehe und gehe Und habe dieses Land Noch nicht erreicht.’ Anmerkungen 1 Vgl. Michael Ley: Abschied von Kakanien. Antisemitismus und Nationalismus im Wiener Fin de Sitcle. Wien: Sonderzahl 2001. 2 „The moslem woman magazine“. Moderation Doaa ‘Amer, gesendet im ägyptischen Fernsehen am 7.5. 2002, und Interview mit ‘Adel Sadeq, Institutsvorstand der Psychiatrischen Fakultät der ‘Ein Shams Universität Kairo, gesendet am 25.4. 2002. VideoDokumentation des Middle East Media Research Institute. 3 Hanna Blitzer: Wüste. In: ZW Nr. 1/2002, S. 25.