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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT ORPHEUS Georg Knepler starb am 14. Jänner 2003, im Alter von 96 Jahren in Berlin. Er war einer der bedeutendsten Musikwissenschaftler.des 20. Jahrhunderts. Mit seinem ersten großen Buch über die Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, das 1961 erschien, hatte er ein grundlegendes Werk zur Musikgeschichte geschaffen, das heute wie damals in differenzierten musikalischen Analysen besticht. Es folgten 1977 umfangreiche Reflexionen über die Bedingungen der Möglichkeit, Musik zu machen und Musikgeschichte zu schreiben — unter dem wie absichtlich etwas umständlichen Titel: Geschichte als Weg zum Musikverständnis. 1980 erschien seine Aufsatzsammlung Gedanken über Musik; 1984 das Buch Karl Kraus liest Offenbach; und schließlich 1991: Wolfgang Amade Mozart — jenes Buch Kneplers, das vermutlich die größte Aufmerksamkeit fand, es wurde mehrfach als die wichtigste Erscheinung des Mozartjahres bezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. Aber Georg Knepler war auch ein ganz ungewöhnlicher Musiker. Das betrifft nicht nur seine eigentliche musikalische Begabung, die bei Musikologen selten in dieser Nähe zur Praxis hervortritt, sondern auch die vielfältigen Beziehungen, die er mit ihr knüpfen konnte. Seine Laufbahn entspricht nicht ganz den Vorstellungen, die man sich üblicherweise von einer Musiker-Karriere macht — zumal in Wien, der Geburtsstadt Kneplers. Und das hat seine politischen und ästhetischen Gründe. Geboren am 21.12. 1906 als Sohn des Verlegers und Operetten-Librettisten Paul Knepler, der einerseits mit Gustav Mahler, andererseits mit Franz Lehär zusammenarbeitete, wuchs Georg in einem relativ wohlhabenden Elternhaus auf. Im Unterschied zu den vorangegangenen Generationen kam der jüdischen Religion kaum noch eine bedeutende Stellung im Alltagsleben der Familie zu. Mit Musik von früh auf konfrontiert, studierte der junge Georg Knepler Klavier bei Eduard Steuermann — dem wichtigsten Pianisten des SchönbergKreises -, Komposition und Dirigieren bei Hans Gal, Musikwissenschaft bei Guido Adler und Egon Wellesz. Er schrieb seine Dissertation iiber Brahms. Von 1928 bis 1931 begleitete er Karl Kraus am Klavier bei dessen OffenbachLesungen (das Buch Karl Kraus liest Offenbach nimmt diese Arbeit zum Ausgangspunkt der Gedanken zu Offenbach und Kraus); die Fackel jedoch hatte er schon als Gymnasiast gelesen, und nicht zuletzt unter dem Eindruck dieser Lektiire war seine Hinwendung zur Linken erfolgt. Ab 1932 erhielt Knepler dann Engagements als Kapellmeister an verschiedenen Häusern in Mannheim, Wiesbaden und Wien, vor allem aber eröffnete sich ihm auch die Möglichkeit, in Berlin als politischer Musiker tätig zu werden und mit Hanns Eisler, Bertolt Brecht und Helene Weigel zusammenzuarbeiten. So wirkte er etwa bei der Einstudierung der Maßnahme als Chordirigent an der Seite von Karl Rankl und begleitete die Weigel am Klavier bei den „Wiegenliedern“ von Brecht und Eisler. Unmittelbar nach dem 1. April 1933 — dem Tag des „Judenboykotts‘“ — flüchtete Georg Knepler nach Wien. Hier wurde er 1934 — kurz vor dem Februar-Aufstand der österreichischen Arbeiterbewegung — verhaftet, da man Exemplare der verbotenen Roten Fahne in seiner Tasche fand. Nachdem das Verfahren mittels eines prominenten Anwalts, den die Eltern engagierten, niedergeschlagen werden konnte, emigrierte er nach Großbritannien. Seine Freundin Käte Förster, Musikstudentin aus Kiel, kam nach, sie heirateten und lebten in London. Neben vielen anderen Aktivitäten im Rundfunk (u.a. bereits für das Fernsehen) und im Konzertleben des Exillandes gründete er gemeinsam mit Ernst Schoen, dem engen Freund Walter Benjamins, die „opera group“, die sich der Aufführung wenig bekannter, nicht zuletzt moderner Werke widmete. Als nach dem März 1938 die vielen, vom NS-Staat Verfolgten aus Österreich eintrafen, beteiligte sich Georg Knepler, dessen Eltern ebenfalls die Flucht gelang, an der Arbeit des Austrian Centre. Er übernahm die Programmpgestaltung für die Kulturveranstaltungen, Konzerte und Theateraufführungen, die meist im „Laterndl“, der Bühne des Austrian Centre, stattfanden und bei denen er selbst (manchmal unterstützt von Käte Förster oder Ernst Hermann Meyer) als Pianist und auch Komponist hervortrat. Im Exil lernte Georg Knepler seine zweite Frau, die Engländerin Florence Wiles kennen. Sie gingen 1946 nach Österreich, wo ihr Sohn John geboren wurde, der heute als Architekt in London lebt. 27