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N [O3 ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT TRUST In Wien arbeitete Georg Knepler zunächst — wenig erfolgreich — auf dem Gebiet der Kulturpolitik für die Kommunistische Partei. Weitere Möglichkeiten, im „neuen“ Österreich zu wirken, blieben ihm wie den meisten anderen, die aus dem Exil zurückkehren wollten, systematisch verschlossen. So folgte er 1949 einer Berufung nach Ostberlin: Er wurde Gründer und Leiter der dortigen Musikhochschule und lebte und wirkte seither — neben seiner Frau, die zunächst beim Rundfunk, dann bei einem englischsprachigen Verlag arbeitete - in der Hauptstadt der DDR. Schloß er sich zunächst jenen an, die ein „nationales Erbe“ gegen Brecht und Eisler glaubten verteidigen zu müssen, kam Knepler - indem er solche stalinistischen Vorstellungen abzuwerfen begann — bald selbst in verschiedene Konflikte mit der herrschenden Bürokratie. Indessen hatte, mit 53 Jahren, seine Laufbahn als Musikwissenschaftler begonnen: Seit 1959 war er Direktor, später Ordinarius des musikwissenschaftlichen Instituts der Humboldt-Universität. Unvergeßlich und einzigartig ist die Art, wie Georg Knepler sein ausgedehntes Wissen mitteilte. Sie selbst gehörte noch in den Bereich der Musik: bei Vorträgen, im Gespräch oder am Klavier — durch die eindringliche Artikulation einer bestimmten Wendung oder Passage, den präzisen Anschlag und die Phrasierung eines Motivs oder Themas wie die spezifische Färbung des Tons — wurden immer neue Erfahrungen vergegenwärtigt: Erfahrungen aus dem Wien von Arnold Schönberg und Karl Kraus oder aus dem politischen Widerstand der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik; aus dem Exil in England, konzentriert auf den Kampf gegen Hitler, oder aus der frühen DDR, der Eisler und Brecht revolutionäre Impulse zu geben suchten. Die Formulierungskunst seiner Bücher und Aufsätze hat darin ihren Ursprung: In ihr ist aufbewahrt, wovon der Begriff abstrahieren möchte. Es existiert hier eine charakteristische Spannung: Auf der einen Seite die Liebe zum Einzelnen, die überall in der Weise der Darstellung Ausdruck findet — in der Hervorhebung einer zarten Oboenstimme im Geflecht der Partitur, in der Aufmerksamkeit für das Vieldeutige einer Akkordfolge im harmonischen Verlauf; auf der anderen die Treue zu einem Allgemeinen, das — wie vermittelt auch immer - josephinisch geprägt war: Alle Hoffnung schien darin letztlich doch auf weise Staatslenker gesetzt, die den unerträglichen Zustand, die Erniedrigung und Ausbeutung der Menschen, beenden und die Voraussetzungen für die Mündigkeit jedes Einzelnen schaffen würden. Die freie Assoziation der Individuen, die Marx als Kommunismus verstand und ganz bewußt nicht näher ausführte, hatte bei Georg Knepler stets etwas vom Finale der Zauberflöte. In den letzten Jahren unternahm er den Versuch, jenes Allgemeine und seine Hoffnung unmittelbar darzustellen; Musik und Künste rückten in den Hintergrund: „Macht ohne Herrschaft — die Realisierung einer Möglichkeit“ lautet der Titel des großangelegten Versuchs über die Geschichte der Menschheit. Dessen entscheidende Kapitel konnte er noch fertig stellen, er verschickte sie an seine Freundinnen und Freunde und starb. Renate Göllner, Gerhard Scheit * Bei einer solchen Veranstaltung wurde Helene Weigel mitten im Vortrag eines der Lieder festgenommen. Knepler verständigte sofort Brecht, so daß durch dessen Intervention noch einmal das Schlimmste verhindert werden konnte. Das Exil begann 1933, als du von Berlin nach Wien gegangen bist. Gewissermaßen ja, wobei natürlich ich habe da im Haus der Eltern gewohnt. [...] Es war fiir mich auch eine Remigration in die Gonzagagasse, von der ich aufgebrochen war. Der 1. April “33 war der Tag des Judenboykotts. An dem Tag wurde es mir klar, daß ich mich in Berlin nicht werde halten können, und da fuhr ich dann. Auf dem Bahnhof entschloß ich mich, statt direkt nach Wien, zuerst nach Kiel zu fahren, weil Käte — meine spätere Frau — dort wohnte, und mit der habe ich besprochen, daß sie zu mir nach Wien kommt, und da bin ich also dann nach Wien abgedampft. Und der Entschluß, wie ist der zustande gekommen? Hast du den allein gefällt oder dich mit Freunden und Genossen verständigt? Das erstere. Es könnte schon sein, daß ich mit anderen darüber gesprochen habe — aber es war so offensichtlich. Andere sind ja schon vorher abgereist z.B. Brecht. Natürlich. Also Brecht ist ja buchstäblich über Nacht auf Grund einer Verhaftung der Helene Weigel abgefahren. Er hat mich noch ersucht, daß ich ihm zwei Ringe aus seiner 28 Wohnung besorge. Das war schon klar. Die ersten Wochen der Machtergreifung waren ja sehr merkwürdig durch NichtAktivität charakterisiert. Man wußte nicht, was passieren wird. Das Bewußtsein bei der Abreise: glaubte man, daß das nur vorübergehend ist oder... Es war für mich klar, daß das zu Ende ist. Innerhalb der Linken, der KPD hat es ja Illusionen gegeben, daß Hitler nur kurz bleiben wird, daß er sich nicht halten kann. Ja, das war diese berühmte Formulierung: Erst Hitler, 24 Stunden später wir. Nein, diese Illusion hatte ich nicht im geringsten. Es war mir klar: das ist das Ende eines Kapitels. Diese Differenz ist aber doch erstaunlich: viele in der KPD haben gedacht, Hitler währt nur kurz und andere wie du schon vorausgesehen, daß es nicht so sein wird — eine Differenz, die auf einer anderen Einschätzung des deutschen Faschismus beruht. Wahrscheinlich ja. Ich will das nicht überbewerten. Es beruhte nicht auf einer theoretischen Analyse — das kann man nicht sagen. Vielleicht war der Grund, daß du mit dem Antisemitismus direkt konfrontiert warst?