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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT Vielleicht das. Ich erinnere mich an bestimmte Eindrücke heute noch. An hiesige Demonstrationszüge von Braunhemden, Losungen brüllend. Und das hat natürlich unauslöschliche Eindrücke hinterlassen, und es war mehr instinktiv als theoretisch begründet. Ich habe damals gerade begonnen, Theoretisches zu lesen. Aber diese Illusion, das geht schnell vorbei, hatte ich jr 2. bestimmt nicht. [...] ML Ich fuhr also nach Wien und wohnte bei | den Eltern - und bekam dann auch ganz schnell ein Engagement, zufälligerweise, im Stadttheater in der Skodagasse, Ball im Savoy mußte ich da dirigieren von Paul Abraham. Das habe ich ein paar Mal gemacht [...] so mit der linken Hand [...] mir De schien das alles ganz lächerlich, aber ich 4 habe es natiirlich gern gemacht, ich war nur nicht sehr erregt, es war mir klar, daß ich das schon schaffen würde — aber mein Vater war sehr erregt und dachte, gerade weil ich das so gelassen nehme, ich wüßte gar nicht worauf ich mich da einlasse. [...] Also das habe ich ein paar Mal dirigiert, vielleicht 20 Mal - und dann war das zu Ende. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon in die kommunistische Partei eingetreten... Schon in Berlin? Nein, da wollt ich schon eintreten, aber da war die Aufnahme gesperrt. In Berlin war ich nur Mitglied der Internationalen Arbeiter Hilfe und der Roten Hilfe. Diesen beiden Organisationen gehörte ich an. Und in Wien trat ich dann in die KPÖ ein, im März muß das gewesen sein, nein im April; und verteilte also dann Zeitungen, auf denen stand: Hitler bedeutet Krieg, was also nicht ganz falsch war. Ich war völlig unerfahren und unerzogen in illegaler Arbeit, hatte ein paar Rote Fahnen in der Aktentasche und statt sie direkt abzuliefern, wo ich sie hätte abliefern sollen, ging ich vorher noch in die Zentralbibliothek, hieß das, glaube ich, eine Leihbibliothek untergebracht im Alten Rathaus. Das Alte Rathaus war aber schon bewacht und ein Heimwehrmann sagt: „Wos homs denn do in der Toschn?“ — und da war es also geschehen. Ich wurde zunächst in Polizeihaft und dann ins Wiener Landesgericht gebracht. Das war vor dem Februar ‘34. Ja, denn während des Februaraufstandes saß ich im Gefängnis. Also ich trat in die Partei ein im April ‘33, arbeitete ein paar Monate im Widerstand und vor dem Februar ‘34 wurde ich festgenommen — die Bewachung hing schon zusammen mit dem vorauszusehenden Aufstand. Alle haben das vorausgesehen, bloß ich nicht, ich ging mit der Tasche mit den Roten Fahnen spazieren. Ende Januar oder Anfang Februar muß es gewesen sein. Das dauerte ein paar Wochen. Meine Eltern haben dann einen Rechtsanwalt, [Jacob] Ahrer hieß er, der war früher einmal Justizminister gewesen, ein korrupter Anwalt, der gegen ungeheure Summen solche Aufgaben übernommen hat. Er hat das niedergeschlagen dieses Verfahren, so daß ich herauskam. Und da lebte ich also wieder bei den Eltern — ohne Einkommen und ohne große Aussicht, irgendetwas an meinem Zustand verändern zu können. Ein Engagement war aussichtslos. ORPHEUS TRUST a c GEBR‘ hi ri, Yen he. N. rn Warum war das aussichtslos? Weil mein Beruf mit Deutschland zusammenhing. Was ich wollte, Kapellmeister werden, freischaffender Musiker, konnte man damals nur in Deutschland. Vor allem, wenn man das werden wollte, was ich wollte: Operndirigent — da kam nur Deutschland in Frage. In Österreich gab es damals zwei Opernhäuser: die Volksoper und die Staatsoper. Schon in Graz, glaube ich, gab es keine ständige Oper. Österreich kam nicht in Frage. Aber in Deutschland gab es schon damals Dutzende von Operntheatern. Aber daß ich dort kein Engagement bekommen würde, war sogar schon vor Hitler klar, weil schon vor Hitler die Intendanten die Frage gestellt hatten: „Sind sie Jude?“ Meistens mit dem Zusatz: „Es interessiert mich zwar persönlich nicht, aber ich muß diese Frage an Sie richten.“ Das war also schon vorher gewesen. Und in Wien nach ‘33 war das auch so? Du hast ja dieses eine Engagement immerhin bekommen... Es war so gut wie aussichtslos als freischaffender Musiker irgendwohin zu kommen. Und die Sorge meiner Eltern, daß ich politisch wieder was anstelle. Ich hatte da so einen kleinen Gummistempel mit Hammer und Sichel drauf, mit dem wir also auf Häuserwende gestempelt haben. Und meine Mutter hat das gefunden und macht mir eine Szene — ob ich nicht wüßte und so weiter. Und da sagte ich: Wo ist es denn jetzt. Und sie antwortete: „Wo es hingehört: im Klosett.‘“ Also es war keine haltbare Situation. Und ich entschloß mich also auszuwandern. Ich habe eine Zeitlang überlegt, nach Spanien zu gehen, habe sogar begonnen, Spanisch zu lernen, und dann sagte eine Freundin, sie ginge nach London mit ihrem Freund und ob ich nicht Lust hätte, auch zu kommen. Das war im März ‘34, wenn ich nicht irre, nein im Sommer, im Juni ‘34 ging ich nach London. Meine Emigration war gewissermaßen ökonomisch bedingt, wenn ich irgendetwas erreichen wollte auf meinem Gebiet, konnte ich in Österreich mir keine Zukunft ausmalen. England war dann einer der ganz großen Eindrücke meines Lebens, ich kann das gar nicht anders sagen. Also das Erlebnis dieser Stadt. Wobei ich nicht das Westend meine, ich meine da schon die ungeheuren Arbeiterbezirke, im Eastend etwa. Ich bin tagelang — ich habe das ganz bewußt gemacht, ich hatte 29