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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT geheuer imposant war. Und das war mir als Ausländer sehr eindrucksvoll, weil es sich von dem, was man aus Wien kannte und aus Deutschland, sehr nachdrücklich unterschied. Es war eine vollkommen unheroische heroische Haltung. Sie haben das mit einer Selbstverständlichkeit auf sich genommen, ohne darüber Worte zu verlieren, es wurde nicht zur Kenntnis genommen, es spielte sich das normale Leben unmittelbar unter der Bombendrohung ab. Es ist ganz schwer zu beschreiben, weil es keine besonderen auffälligen Formen angenommen hat, sondern weil die Selbstverständlichkeit, mit der die Engländer akzeptierten, das ist eben jetzt Krieg, das war ein ganz großes Erlebnis, vielleicht eben deshalb, weil es sich so sehr unterschied von dem, was man aus Österreich und Deutschland kannte. In Deutschland finde ich, ist so ein Selbstmitleid, eine Selbstbemitleidung: „Schauen sie doch, wie schlecht es mir geht!“ Eine solche Haltung ist sehr charakteristisch, und in Österreich ist es das bekannte Raunzen. Also Raunzen können die Engländer überhaupt nicht. Das ist eine Fähigkeit, die ihnen vollkommen fehlt. Und das hat mich also sehr beeindruckt. Und in diesem Rahmen natürlich dann die Tätigkeit im Austrian Centre. Ich weiß nicht, ob wir das bewußt gemacht haben, aber es war wahrscheinlich ein Versuch, unbewußt diese Haltung auf das, was wir zu tun hatten, zu übertragen. Es waren ja natürlich nicht ungefährliche Situationen. In der Zeit der deutschen „Wunderwaffen“ wußte man ja wirklich nicht, was passieren wird — und wir haben beschlossen, wir führen den Betrieb einfach so weiter, als wäre nichts passiert, und es ist dann auch verhältnismäßig wenig passiert. Es sind natürlich Leute umgekommen. Das Austrian Centre selbst wurde nie getroffen, die Wohnung, in der wir gelebt haben, wurde nie getroffen. In einer anderen Wohnung, in die ich dann später gegen Ende des Krieges übersiedelt bin, ist einmal ein Teil einer Feuerbombe ins Badezimmer gefallen. Aber wir konnten das ganz schnell löschen und es ist dort auch nichts passiert. Und eine Luftmine, die buchstäblich vor unserem Fenster in einem Baum hängen blieb — hat also kein Unheil angerichtet. Aber natürlich sah man auf dem Weg zur Arbeit: Dieses Haus ist weg und dort ist ein Riesenkrater und man hörte, der ist umgekommen usw. Also wie gesagt, wir versuchten diese Haltung des nichtheroischen Alltags weiterzuführen, das ist uns, glaube ich, bis zu einem gewissen Teil gelungen. Und wahrscheinlich habe ich damals, das ist nicht das gleiche, aber gehört nun doch in das Kapitel, habe ich auch die englische Methode, Wissenschaft zu betreiben, interriorisiert. Ich las natürlich, was Bernal, Haldane, Blackett geschrieben haben. Und das könnte man charakterisieren als den Versuch, sehr komplizierte Probleme, ohne sie zu simplifizieren, doch dem allgemeinen Verständnis näher zu bringen. Und das habe ich dort gelernt, das ist mein Versuch auch heute. Du bist auch mit George Thomson in Verbindung gekommen — dem berühmten Historiker, der über die griechische Antike geschrieben hat. Ich kannte Benjamin Farrington. Und das war auch ein Wissenschafter, sein Fach war Latein und er war an einer kleineren Universität in Swansea tätig und ein Ire, ein prächtiger Mann, den ich sehr gern hatte. Ich lernte ihn kennen, weil seine Frau war eine Amateursängerin und die hat in einer Zeitung, ich glaube sogar in einer Emigrantenzeitung inseriert, und da habe ich mich gemeldet und wir haben uns sehr angefreundet. Das war ein Mann, der damals im linken Verlagswesen tätig war — das gehört natürlich 9.0 SPORTS REVIEW—2 auch zum Bild. Es gab Details as at 3.0) ja damals im engli- 9,29 “VIENNESE schen Verlagswesen HONEYMOON" eine ziemliche Links- Ae ann Kafka orientierung. Da gab with es also einen Verlag Rudolf Brandt as Graf Bobbi namens Gollancz und Brian Oulton der gab eine Serie von Lesley Burton Büchern heraus: Left Helen Elton Book Club. Und das Tal: Pays spielte eine ziemliche Eugenia Triguez Rolle. Es waren außer- Lauder ordentliche Autoren, Donald Campbell die dort über alle mög- Charles Schloss lichen politischen, so- Fe ns ee zialen und ökonomi- The BBC ee sin Orchestra schen Probleme ge- Leader, Boris Pecker schrieben haben. Dazu Conductor, Hyam Greenbaum Produced by Eric Crozier gehörte auch Benjamin Farrington. Er hat dann auch selbst eine Serie von Bänden herausgegeben, die so eine Soziologie der Weltgeschichte darstellen sollten. Es sind auch mehrere Bücher dieser Serie erschienen und in diesem Zusammenhang habe ich auch George Thomson kennen gelernt. Thomson arbeitete damals an seinen drei großen Studien. Er war der weitaus begabteste aus dieser Gruppe und auch Benjamin Farrington hat ihn sehr bewundert. Ich habe ihn damals nicht sehr gut gekannt. Besser habe ich ihn kennen gelernt, als er leider schon sehr krank war, das war in den sechziger Jahren. [...] Du hast in England auch ein Operngruppe gegründet. [...] Das war mit meinem Freund Ernst Schoen. Ernst Schoen spielt in der Literatur iiber Walter Benjamin eine gewisse Rolle. Er war Chef der Musikabteilung des Frankfurter Rundfunks gewesen. Und der kam also auch nach London, er war ein paar Jahre älter als ich, aber wir haben uns angefreundet und haben gemeinsam eine Operngruppe gegriindet. Wir haben inseriert, englische Sänger gesucht und mit denen zusammen Opernkonzerte gegeben - klavierbegleitet. Ich habe am Klavier begleitet — Exzerpte aus Opern, die man weniger kannte, auch moderne Sachen, gespielt: Janälek und Strawinsky und Alban Berg und Milhaud — solche Dinge. Mit dieser Operngruppe bekamen wir — durch die Hilfe eines Freundes von Ernst Schoen, der in der BBC beschäftigt war und Edward Clark hie8 — einige Konzert in der BBC mit Orchester, die ich dann dirigierte. Wir haben ganz aufgeführt Dido und Äneas von Purcell, sonst haben wir hier Exzerpte gespielt von Offenbach bis Nicolai und Donizetti — ich glaube, es waren insgesamt drei oder vier solcher Rundfunk- Veranstaltungen. Finanziell hat sich das rentiert? Das weiß ich nicht mehr. Ich hatte keine finanziellen Sorgen, ich habe immer nebenbei Klavierstunden gegeben, ich hatte Sänger, die einen Korrepetitor brauchten; ich hatte auch Hans Kafka’s ne, which is — specially for television, presents quaint imaginary character, Graf Bobbi, on the screen for the second ‘time., The setting of this show ‚provides a novel and ingenious method of introducing “the various artists. It is centred round a big automatic telescope to which Graf Aus: Radio Times Television Supplement, 18.6. (1940?) 31