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wo er eigene Wege zu gehen hat. Wie intensiv er als Wäldner gelebt hat, bringt er für mich in einer scheinbar nur nebensächlichen Beobachtung zum Ausdruck, die er als politischer Häftling in seiner Zelle macht: Aus der Maserung der Dielen las er den Wald heraus, aus dem die Bretter geschnitten, gehobelt und gespundet worden sind. Darin ist alles zusammengefaßt und aufgehoben, wie ihn die Lebensschule Wald sehen und denken gelehrt hat, so sehr, daß der Beruf zur Berufung und Passion wurde. Ich denke dabei an meinen Freund Walter Werner aus Untermaßfeld bei Meiningen, der von 1922 bis 1995 lebte. Seine Botschaften gründeten auf Holz. Holz stand als Grundmetapher für alles Lebendige. Auch er einer, der von unten aufstieg und im wäldischen Alleingang wuchs, fernab aller literarischen Zentren, und darunter litt, wenn Provinz als Lebensgrund und Ausgangspunkt mit Provinzler und Hinterwäldler gleichgesetzt wurde. So zitierte er 1972 seinen Lehrer Georg Maurer zur Selbstermutigung: „Heimatdichtung steht und fällt mit der Weltanschauung und Erlebniskraft des Dichters. Nur durch die Weite der Sicht und die Tiefe des Gefühls kann der kleinste geographische Bezirk in den großen Atem der Welt gestellt und ein Teil von ihr werden.“ Ich denke, Franz Kain hätte sich mit Walter Werner sehr gut verstanden, und das Zitat hätte er ebenso für sich angenommen. Diejenigen, die von mir eine allumfassende Werkanalyse erwartet haben sollten, muß ich enttäuschen. Wenn ich über Franz Kain rede, rede ich über Österreich, über mein Österreich. Also versuche ich, sympathetisch eingefärbte Verbindungslinien zu ziehen und mich dabei kenntlich zu machen, indem ich mich bekenne. Ehe ich auf die zwei Begegnungen mit Franz Kain zu sprechen komme, möchte ich doch noch etwas zu einigen Leseeindrücken bemerken. Auch dies unter dem Blickwinkel, ein Gesamtkunstwerk vor mir zu haben. Natürlich schließe ich dabei von meiner eigenen literarischen Gestaltungsidee auf Franz Kain. Du gleichst dem Geist, den du begreifst. Man kann dieses Faust-Zitat nicht oft genug der geneigten Mitmenschheit vor die Füße werfen. Gestaltungsidee meint, das eigene Leben, zumeist das einzige, das einem Subjekt zur Verfügung steht, zum Vorwurf oder meinetwegen Beispiel zu nehmen, das es mit literarischen Mitteln zu transformieren und fermentieren gilt, möglichst so, daß es zur gesteigerten Szene wird, in der die Lebensläufe vieler anderer spiegeln. Wie anders könnte der Text lesbar werden? Im Zentrum des Werks von Franz Kain steht der Roman „Am Taubenmarkt“, mit dem die „Bibliothek der Provinz“ eröffnet wurde. Dieser Roman ist eine nur leicht verkappte Autobiographie, ein Lebensbuch, auf das alle anderen Stränge und Nebenstränge zulaufen. Allein die faktologische Fülle, die Anspielungen bezeugen, welch stupendes Wissen ihm zu Gebote stand. Sein Österreichbild basiert auf diesem Fundus, und gleichzeitig ist das Biographische immer selbsterlebte Geschichte. Aus dem Roman „Der Föhn bricht ein“, 1962 im Aufbau Verlag erschienen, sind viele Episoden, die zwischen 1934 und 1938 spielen, im „Taubenmarkt“ erneut eingebaut worden. Auch dies ein Beweis, daß es um das eine Buch ging, dessen Text ohne die Autobiographie nicht auskommt. An so vielen Stichworten bin ich aufgerufen, meinen Lebenstext danebenzusetzen. Es beginnt schon mit der auffälligen Neugier von frühester Kindheit an, die auch mir bescheinigt wurde. Diese zunächst naive Wißbegier schuf das Fundament oder besser den Speicher, ehe man späterhin in der Lage war, das Wahrgenommene, Aufgeschnappte auch zu werten. So bin ich versucht, Seite für Seite meine Bilder zu setzen, die diese Stichworte evozieren. Meine Kindheit, die ein reichliches Jahrzehnt später einsetzte, ist ebenso geprägt von den bäuerlichen Strukturen einer Dorfwelt. Die Mutter geht zu Bauern arbeiten, ich mit ihr auf dem Acker als Helfer oder Zuschauer. Wie Späne gemacht wurden, sah ich in der Großmutterstube. Über Hunde- und Katzenfänger weiß ich zu berichten, von jenem Bäcker und Heimlichtuer, der Mutter herbstens einen Napf voll Katzenfett brachte, das als Einreibung und Frostschutzmittel verwendet wurde. Der andere Großvater besaß große Kastenfallen, die er auf den Pappdächern aufstellte, um Dachhasen zu fangen, die er als Delikatesse schätzte. Allein zu dem Stichwort Holunder müßte ich eine ganze Geschichte anfügen. Wie die Hollerstauden, vor denen man den Hut abzunehmen hat, in Posern geschätzt werden, habe ich erfahren. Ich weiß seither, was es mit Hollerröstern auf sich hat, wie sie zubereitet werden und schmecken. Ich kann mit diesen wenigen Beispielen nur andeuten. Einmal, da bin ich mir ziemlich sicher, auch wenn ich die Jahreszahl nicht weiß, wird es zu diesem Lebensbuch, das unterderhand gleich mit zu einer literarischen Landeskunde aufgelaufen ist, einen umfangreichen Kommentar geben. Ich hab das vorab für mich getan und bei Franz Grillparzer nachgesehen, was es mit der Zeile „In deinem Lager ist Österreich“ aus dem Gedicht „Feldmarschall Radetzky“ auf sich hat. In meiner Ausgabe wurde es mit folgender Fußnote versehen:“In der stiirmischen Zeit (Anfang Juni 1848) geschrieben, erregte dieses Gedicht im Heere, wo es zahlreich verbreitet wurde, große Begeisterung. Später verwahrte sich der Dichter dagegen, als Parteigänger der Säbelherrschaft zu gelten.“ In dem glanzvollen Donaubild, das als Epilog gesetzt wurde, wird auch der Friedhof der Namenlosen erwähnt, der mich schon einmal in früheren Jahren beschäftigt hat, ohne je dort gewesen zu sein. Zu diesem Friedhof gibt es ein Gedicht. Hildemar Holl hat mir geholfen, den Autor näher zu bestimmen: Albrecht Graf von Wickenburg (1838 — 1911). Das Gedicht, das ich in eine repräsentative Anthologie österreichischer Lyrik aufnehmen würde, füge ich hier hinzu, als wäre ich mitten im Gespräch mit Franz Kain. Tief im Schatten alter Rüstern Starren Kreuze hier am düstern Uferrand. Aber keine Epitaphe Sagen uns, wer unten schlafe Kühl im Sand. Still ist’s in den weiten Auen, Selbst die Donau ihre blauen Wogen hemmt. Denn sie schlafen hier gemeinsam, Die die Fluten still und einsam Angeschwemmt. Alle, die sich hier gesellen, Trieb Verzweiflung in der Wellen Kalten Schoß. Drum die Kreuze, die da ragen, Wie das Kreuz, das sie getragen, „Namenlos“. Aber Franz Kain erinnert auch an Totenorte ganz anderer Herkunft und Dimension, von denen Weltbild und Geschichtsbewußtsein nicht mehr loskommen. Ich meine die Ver45