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Die „Ohnmacht der Schreibenden“ — so das gestellte Thema — ist in meinem Fall allenfalls das Unvermögen, über Ohnmacht zu schreiben. Relativ behütet aufgewachsen in bürgerlichen Verhältnissen in der Provinz, habe ich an meinem Leib weder Entbehrung oder Not, noch krasse Ungerechtigkeit oder Gewalt erfahren. Ich hatte immer zu essen, ich hatte immer ein warmes Bett, ich hatte die Möglichkeit, eine Ausbildung zu machen, ich hatte und habe Freunde, Arbeit, ein soziales Umfeld, das mich trägt. Lebensbedrohung, Vertreibung, Krieg kenne ich nur aus zweiter Hand. Über körperliche und psychische Folter habe ich bloß gelesen. Niemand hat jemals Nigger oder Tschusch zu mir gesagt, und ich habe als Frau keine nennenswerte Benachteiligung erfahren. Ich wohne angenehm, ich besitze ein Auto. Wenn ich morgens zur Arbeit gehe, grüßen mich meine Nachbarn und Arbeitskollegen. Ich habe das Privileg, mit Menschen auf gleicher Ebene sprechen zu können. Ich wache jeden Morgen mit einem Gefühl der Existenzberechtigung auf. Niemand trachtet nach meiner Auslöschung. Ich wurde nicht vergewaltigt. Ich mußte nicht abtreiben. Ich mußte keinen Prozeß führen, um mir Recht zu verschaffen, Haft kenne ich nicht, ich verkehre nicht mit Verbrechern. Als ich einmal krank war, habe ich medizinische Versorgung erfahren — das Medikament, das ich brauchte, stand zur Verfügung -, ich bin gesund geworden. Als mein Lebenspartner starb, fehlte es nicht an Unterstützung, ich habe den Verlust langsam zwar, aber dank des sozialen Netzes, in dem ich mich befinde, überwunden. Die Liste meiner Privilegien könnte ich fortsetzen, ich nehme an, daß ich sie mit den meisten von Ihnen teile. Eine Idylle also? Relativ geschen ja, denn Unrecht und die damit einhergehende Ohnmacht sind überall auf der Erde eine Tatsache, auch in Österreich, auch in Südtirol, woher ich ursprünglich komme, ganz zu schweigen von anderen Ländern, zum Beispiel jenen, über die derzeit täglich im Fernsehen berichtet wird, tendenziell berichtet wird. Unter diesen Voraussetzungen will ich Ohnmacht von Ohnmacht unterscheiden, diese Klärung brauche ich, um schreiben zu können, um mir nicht selbst etwas in die Tasche zu lügen. Diese Unterscheidung brauche ich, um mich nicht zu wichtig zu nehmen, um frei zu sein für das, worüber beim vorangehenden Franz Kain - Kolloquium gesprochen wurde: das Mitgefühl, Mitgefühl im Leben und im Text. Ich sehe auf der einen Seite eine Ohnmacht als psychologisches Moment, auf der anderen Seite eine Ohnmacht als soziale und politische Realität. Natürlich kenne auch ich — oder sollte ich sagen: kennen auch wir? — ein Ohnmachtsgefühl, wenn ich gerade mal nicht erreiche, was ich will und was mir recht und billig erscheint, natürlich kenne ich das Gefühl, das sich einstellt, wenn ich ein Machtspiel verloren habe, ich kenne den Zustand der Überreizung und Überanstrengung und das Gefühl „Ich schaffe das nicht mehr“. Natürlich kenne ich das Gefühl der Ohnmacht angesichts der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit in Österreich, auch wenn sie andere betrifft, und da und dort werde auch ich betroffen sein, wenn es so weitergeht. Angesichts der unsäglichen Dreistigkeit der gegenwärtigen Österreichischen 54 Regierung und ihrer Maßnahmen, angesichts der überhandnehmenden einseitigen Beschneidungen in dieser ach so seligen österreichischen Gesellschaft, empöre ich mich, doch ich weiß, daß bei mir kaum einmal reale Ohnmacht hinter dieser Empörung steckt. Es steckt, ich muß es zugeben und rede dabei weiter bewußt nur von mir, eher eine Idee dahinter, ja, meine Ohnmacht rührt von abstraktem Wissen her, sie ist allenfalls eine Erinnerung, ein inneres Bild, das sich gelegentlich zum Gefühl aufspielt. Darin besteht ja gerade mein Privileg, und ich würde es mir vorwerfen, würde ich die Idee, die Erinnerung, das innere Bild aufbauschen. Daneben gab und gibt es soziale und politische Ohnmacht als Wirklichkeit eines Einzelnen, einer Einzelnen, oder ganzer Völker. Ein Vergleich ihrer Ohnmacht und meiner Ohnmachtsgefühle verbietet sich. Ohnmacht ist Machtverlust, Verlust der Handlungsmöglichkeit, Verlust von Selbstbestimmung und Selbstgewißheit. Für mich ist beim Schreiben interessant, die Grenze auszuloten: Wo ist tatsächliche Abwesenheit von Macht und Handlungsfähigkeit? Wo ist Ohnmacht eine Illusion? Ohnmacht als Illusion ist überall da, wo auch Macht bloß eine Illusion ist. Ich denke zum Beispiel an Liebesbeziehungen. Es ist eine Illusion, ich will sagen: ein Wahn, in einer Liebesbeziehung überlegen zu sein, auf den anderen, die andere Macht auszuüben. Der Wahn ist weit verbreitet. In vielen Liebesbeziehung sind Machtstrukturen zu finden, in unterschiedlicher Ausprägung und von unterschiedlicher Qualität. In unserer Gesellschaft haben sie meistens illusionären, wahnhaften Charakter, auch dann, wenn Machtausübung, Unterdrückung, Quälerei und Gewalt manifest werden. Es ist in unserer Gesellschaft möglich, einer Beziehungskonstellation, in der Gewalt herrscht, den Boden zu entziehen. Damit sage ich nicht, daß dies leicht ist und ohne weiteres geschehen kann. Und ich bin mir dessen bewußt, daß in manchen Fällen tatsächlich die Voraussetzungen zu Befreiung fehlen. Ich sehe von solchen Fällen hier einmal ab und werfe den Blick auf jene Paare, die fortfahren, einander zu zerfleischen, die es nicht einmal merken, die nicht aufhören wollen damit. Hier sind Macht und Ohnmacht ein psychologisches Moment, eine Illusion, man könnte auch sagen, eine Neurose. Mein Thema in der Literatur sind nicht Macht und Ohnmacht als Wirklichkeiten, die gibt es, und andere schreiben darüber. Mein Thema ist die Grenze zur Lächerlichkeit, die Grenze zwischen realem und eingebildetem Leiden, mein Thema ist das weit verbreitete und absolut unnötige Hängen am Leiden, zum Beispiel, aber nicht nur: in der Liebe. Ich habe bisher nicht aus einer Ohnmacht heraus geschrieben. Ich kann aus den eingangs genannten Gründen nicht über Ohnmacht schreiben, nicht in einer direkten Form, nicht auf wirkliche Ohnmacht - soziale und politische - zugreifend. Ich kann nur über die Mechanismen schreiben, welche die Wahrnehmung und Einfühlung in die Ohnmacht verhindern, damit auch Empörung über und das Handeln gegen Ohnmacht verhindern. Ich kann über Vernebelung in den Köpfen, über Egozentrik und Mitleidslosigkeit, ich kann über Saturiertheit schreiben und darüber, daß sich die Menschen in westlichen