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gen Pianistin Wanda Landowska“ handele: Eine prompte Ausführung des Führerbefehls nach der Besetzung der westeuropäischen Länder, wonach Kulturgüter in jüdischem Besitz aufzuspüren und nach Vertreibung ihrer Eigentümer als nun „herrenloses Gut“ zu konfiszieren seien. Die Plünderungen seines Stabes verbrämte Gerigk zudem als musikwissenschaftliche Forschungsarbeit und Rückführung deutschen Kulturgutes. Seinen Mitarbeiter Dr. Wolfgang Boetticher, nach 1945 unangefochten als Musikwissenschaftler tätig, jetzt Emeritus in Gottingen, wies Gerigk an zur „Feststellung der in öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken vorhandenen Musikhandschriften und Musikdrucke ... Laut Führerbefehl haben Sie alle musikalischen Dokumente einschließlich Musikinstrumente aus jüdischem Privatbesitz sofort vor der Vernichtung, Beschädigung oder Verschleppung sicherzustellen.“ Der riesigen Beschlagnahmungsaktion des Sonderstabes Musik, seit 1942 unter dem verharmlosenden Namen „Aktion ‘M’“ (M steht für Möbel) ausgeführt, fielen 1940-45 Musikalien, Handschriften, Partituren, Instrumente aller Art (eine Guarnieri-Geige, zwei Stradivaris) zum Opfer. Zwei Eisenbahnzüge verließen pro Woche Paris, nach 1943 waren es drei, oder ca. 200 spielbare Flügel und Klaviere pro Monat; 1944 z.B. ein Transport von 76 Kisten mit Harfen. Den Raub von wertvollen Handschriften in französischen Bibliotheken gab Gerigk obendrein als „Kunstschutz‘“ und „Verpflichtung unserer Kultur gegenüber“ aus, da z.B. die französischen Magazine in einem „verwahrlosten Zustand“ angetroffen worden seien, „Hunderte von deutschen Handschriften unkatalogisiert“ — als habe eine moralische Pflicht zum Diebstahl bestanden. 1935-45 war Gerigk die entscheidende Person für die Durchsetzung von Rosenbergs Musikpolitik. Seit 1933 hatte Rosenberg den systematischen Ausschluß jüdischer Musiker und Komponisten aus dem Berufsleben vorbereitet, von 1934 an sorgte die Reichsmusikkammer durch Anwendung des Arierparagraphen dafür. Um eine etwa noch verbliebene „Verseuchung deutscher Musikkultur“ zu bekämpfen, begann Gerigk 1939 ein Verzeichnis jüdischer Musiker und Komponisten zusammenzustellen, das 1940 als „Lexikon der Juden in der Musik“ veröffentlicht wurde. Zwar sei „die Reinigung unseres Kultur- und damit auch unseres Musiklebens von allen jüdischen Elementen erfolgt“, wie Gerigk im Vorwort feststellt. „Klare gesetzliche Regelungen gewährleisten in Großdeutschland, daß der Jude auf den künstlerischen Gebieten weder als Ausübender noch als Erzeuger von Werken ... 6ffentlich tätig werden darf.“ Aber doch sei noch eine „Handhabe zur schnellsten Ausmerzung aller irrtümlich verbliebenen Reste“ nötig. Indem Gerigk dem Lexikon noch ein „Titelverzeichnis jüdischer Werke“ (eine besonders absurde Zusammenstellung nach 62 Operette — Film — Kantate — Posse — Revue etc.) anschließt, sei nun für „Bühnenleiter und Dirigenten, für den Rundfunk ... und nicht zuletzt auch für die Leiter der Unterhaltungskapellen“ jene „unbedingte Sicherheit“ gegeben, „die hinsichtlich der Judenfrage gefordert werden muß“. Der Dittrich-Verlag hat das „Lexikon“ in Eva Weissweilers Buch „Ausgemerzt!“ im Faksimile abgedruckt. In ihren ausführlichen Recherchen zur Entstehung „eines der niederdrückendsten Erzeugnisse nationalsozialistischen Verfolgungswahns“ (S. 8) hat Eva Weissweiler die Spuren der im Lexikon verzeichneten Musikerinnen und Musiker verfolgt und konnte nachweisen, daß mit dieser Veröffentlichung nicht nur die Musikerprominenz, sondern gerade die breite Basis der Musiklehrer getroffen wurde, die auf einen Schlag alle Schüler verloren und weder Mittel noch Berufschancen für eine Emigration besaßen. Und Gerigk hatte es besonders auf die Musiklehrer abgesehen (z.T. hochqualifizierte Pianistinnen, Schülerinnen von Arthur Schnabel) und verfolgte auch noch „Mischlinge“ ersten und zweiten Grades, da der Musikunterricht mehr als jeder andere Gelegenheit biete, „Zersetzungskeime einzupflanzen“. Fanatisch forscht er nach weiteren Ergänzungen und fordert auch seine Leser zur Mitarbeit auf (die er auch erhielt). Im Juli 1943 erschien die vierte und letzte Auflage, aber noch im Oktober 1944 baute er sein inzwischen ausgelagertes „kulturpolitisches Archiv“ weiter aus. Die Einträge des Lexikons enthalten eine Kurzbiographie und das Arbeitsgebiet lebender jüdischer Künstler: Eine klare Information im Dienst einer rassistischen Personalpolitik. Daneben gibt es längere Einträge zu Musikern und Komponisten, auch nicht mehr lebenden, die von einer eindeutig propagandistischen Absicht getragen sind. In grob diskriminierender Sprache und einem engen Charakterisierungsschema werden etwa die „zersetzenden Tendenzen“ bei Offenbach gegeißelt, ist Meyerbeer der „skrupellose Geschäftsjude“, der Dirigent Otto Klemperer würdigt die Kroll-Oper „zur jüdisch-marxistischen Experimentierbühne“ herab; Schönberg setzt „an Stelle unserer aus dem Dreiklang abgeleiteten abendländischen Harmonik ... sein rabulistisch ausgeklügeltes Mißklangsystem“, in Kurt Weills Bühnenwerken zeigt sich „hemmungslos die jüdischanarchistische Tendenz“, der Konzertdirektor Wolff verhilft „jüdischen Künstlern zum Weltruhm“ und beutet arische aus... Herbert Gerigk dankt im Vorwort des Lexikons Dr. Wolfgang Boetticher für „wertvolle Mitarbeit“. Beide blieben nach 1945 unangefochten, Gerigk arbeitete als Musikkritiker für die „Ruhrnachrichten“ in Dortmund, Boetticher an der Universität Göttingen, seit 1957 als Professor für Musik. Biographien wurden verschwiegen, mit Leerstellen versehen, verharmlost. Den ,,m6rderischen Folgen“ des Lexikons aber hat Eva Weissweiler nachgeforscht und die Kurzbiographien zu Ende geschrieben: Dem Faksimile des „Lexikons der Juden in der Musik“ schließt sie eine Liste von 252 Musikerinnen und Musikern an, Deportationsopfern, nun mit dem Nachtrag „verschollen in Riga“ — „Selbstmord“ — „für tot erklärt in Sobibor“ — „Alterstransport nach Theresienstadt, verschollen in Auschwitz“. Heidrun Meier-Ewert Willem de Vries: Sonderstab Musik — Organisierte Pliinderungen in Westeuropa 1940 — 1945. Vorwort von Fred K. Prieberg. Köln: Dittrich 1998. 380 S. Eva Weissweiler: Ausgemerzt! Das Lexikon der Juden in der Musik und seine mörderischen Folgen. Köln: Dittrich 1999. 444 $. „Manhattan-Serenade‘“: Von einem der auszog nicht mitzumachen... und in Amerika lernte dagegen zu kämpfen Karl Jakob Hirsch (1892 — 1952), bildender Kiinstler und u a. Verfasser satirisch-gesellschaftskritischer und politischer Romane, ist mit diesem im amerikanischen Exil entstandenen Werk, das nun erstmals als Buch erschienen ist, eine eigenwillige Mischung von existenzialistischem Entwicklungsroman und littérature engagée eingegangen. Die vorliegende Fassung folgt den vom Autor fiir eine Nachkriegsveröffentlichung in Buchform vorgesehenen Änderungen betreffend Titel, kleiner inhaltlicher Korrekturen und einer anderen Version des Romanschlusses. Das 1939 in der Neuen Volkszeitung in New York als Fortsetzungsroman erschienene Werk ist direkt im Sog der politischen Geschehnisse entstanden, auf die es auch wieder rückzuwirken trachtete. In diesen Sog der Ereignisse, die sich anfangs fast nur in den Eindrücken des Protagonisten spiegeln, wird auch der Leser/die Leserin vermittels der bildhaften, suggestiven Sprache des Erzählers von Anfang an hineingezogen. Erzählt wird im Präsens von einem jungen deutschen Exilanten, der — zunächst heillos überfordert vom Gegensatz des Schrecklichen, das er eben noch in der „alten Welt“ erlebt hat, und den Reizen der „Zauberstadt‘ New York — „traumverloren“ in dieser umherirrt. Was ihn bedrückt und quält, warum ihn die Vergangenheit immer wieder in seiner ohnehin unsicheren Gegenwart „anfällt“, ist das Gefühl, seiner Verantwortung gegen das Schreckliche in seiner Heimat anzukämpfen, nicht nachgekommen zu sein. Und so treibt er durch die Stadt, hat Glück im Unglück - er wird zwar bestohlen, trifft aber auch auf Menschen, die ihm helfen — und lan