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det schließlich mit einer fast die Liebe selbst personifizierenden Protagonistin (derart sind ihr Lächeln, ihr Aussehen und ihre Ausstrahlung petrarkistisch überhöht) in einer Art Melting-Pot-Wohngemeinschafts-Idylle in der Bronx. Dort leben Amerikaner der Arbeiterklasse von verschiedenster ethnischer Herkunft in einem gemieteten Haus zusammen. Wenn Hirsch von da an nun auch manchmal das optimistische Vertrauen in die Möglichkeiten der Neuen Welt samt „New Deal“ anhand der Gedanken und des Schicksals seines Protagonisten etwas zu vordergründig exemplifizieren möchte, so besticht er wiederum durch prägnant-treffende Sentenzen, die die individuelle Einsamkeit und die inneren Konflikte des Protagonisten sowohl mit der gesamtmenschlichen Verfassung, als auch mit den geschichtlichen Ereignissen verbinden. Auch ist das Schwanken des Autors zwischen realistisch-flaubertscher Distanz der Erzählhaltung einerseits und eher wertend-tendenziöser Erzählweise einer littérature engagée andrerseits durch die eingangs erwähnte Besonderheit der Entstehungs- und Publika- tionsweise des Romans nur allzu verständlich. So galt es nicht nur die unmittelbar gegenwärtigen Ereignisse in die, in Fortsetzungen erscheinende, Geschichte in (psycho)logisch konsistenter Weise hineinzuarbeiten, sondern der Text sollte auch auf die realen Geschehnisse rückwirken (darauf verweist auch der ursprüngliche Titel „Heute und Morgen“). Geschaffen hat Hirsch damit einen existenzialistischen Romanhelden in Amerika, der zuerst apathisch, depressiv und grüblerisch, schließlich sein Leben ergreift und ihm den Sinn des aktiven Bekämpfens von Faschismus und Nationalsozialismus gibt. Filtert man die beiden Grundideen, die den Roman durchziehen, heraus, so tritt zutage, daß sich diese mühelos und ohne Wahrheitsverlust in die Welt der Gegenwart transponieren lassen: Erstens hatte angesichts der vorhandenen Informationsmöglichkeiten die Ausrede der Unkenntnis von bestimmten Ereignissen keinerlei Gültigkeit (so vermag der Protagonist seinem Wissen von dem zu bekämpfenden Übel nicht zu entkommen); und zweitens ist eine rein kontemplative Weltsicht und das damit verbundene NichtHandeln angesichts bestimmter Ereignisse moralisch nicht mehr vertretbar. Hirsch’ Roman ist also trotz einiger weniger typisierend anmutender Vereinfachungen in mehrfacher Hinsicht lesenswert: als sprachlich expressive Zeichnung, die der bildende Künstler Hirsch von New York und seinen Eindrücken des dortigen Alltags vor und während der Kriegsjahre liefert (die ausführliche Thematisierung der Auseinandersetzung mit der Kultur und Gesellschaft des Exillandes stellt zudem — wie der Herausgeber vermerkt — in Exilromanen eher eine Seltenheit dar); und als Beispiel für engagierte Literatur, die sich noch einmal — so wie die großen französischen Sozialromane eines Eugene Sue oder Victor Hugo im 19. Jahrhundert — ganz bewußt des Mediums der Zeitung bedient; und als historisches Dokument der damaligen Stimmung und Geschehnisse in Amerika, die gerade in der belletristischen Form (und eben auch durch manche aufschlußreiche Typisierungen bzw. Glorifizierungen des „amerikanischen Weges“) gut nachvollziehbar wird. Ergänzt wird die Buchfassung durch einen kurzen Anmerkungsapparat, der v.a. lokale und topologische Spezifika näher erläutert, sowie die ursprüngliche Fassung des Romanendes von 1939 und ein Verzeichnis der wichtigsten Werke von Karl Jakob Hirsch. In einem ausführlichen Nachwort des Herausgebers finden sich zudem wichtige und aufschlußreiche Hintergrundinformationen zu Leben und Werk des Autors, wie etwa zu den — leider so oft fiir ExilautorInnen feststellbaren — Rezeptionsschwierigkeiten des Werkes. So war es auch Hirsch - trotz seiner Bemühungen nach seiner Rückkehr 1948 nach Deutschland - nicht vergönnt, die Würdigung seines vielseitigen literarischen Werkes zu erleben. Barbara Deifenberger Karl Jakob Hirsch: Manhattan-Serenade. Hg. und mit einem Nachwort von Helmut Pfanner. Bern u.a.: Peter Lang 2001. 162 S. (Exil Dokumente. verboten verbrannt vergessen. Hg. von Deborah J. Viétor-Engléinder. Bd. 4). Eine Studie iiber ExilAutobiographien Jacqueline Vansant, Professorin fiir Germanistik an der Universität Michigan-Dearborn analysiert die Lebenserinnerungen der sieben österreichischen Autoren Ernst Lothar, Stella Klein-Löw, Hans Thalberg, Minna Lachs, Franziska Tausig, Hilde Spiel und Rlisabeth Freundlich. Die ausgewählten Autoren hatten sehr atypische und ungewöhnliche Lebensgeschichten. Als die beiden Gemeinsamkeiten der Erinnerungen stellt Vansant allerdings fest: ,, Their attachment to Austria [...] profoundly shaped their lives and their life stories. [...] By the same token, the memoirs offer only a limited perspective on Jewish identity and the life of Jews in Vienna. [...] If the memoir writers identified themselves as Jewish at all before 1938, this was only secondary to their identification with Austria.“ Von den sieben Autoren hatte nur Minna Lachs als Mitglied der linkszionistischen Jugendbewegung Haschomer Hazair und als Autorin einer Dissertation über die Ghettoliteratur, für die sie auch in der damaligen Bibliothek der Wiener Jüdischen Gemeinde recherchierte, eine positive jüdische Identität. Stella Klein-Löw unterrichtete zwar am jüdischen Chajesrealgymnasium, hatte aber ein sehr gespanntes Verhältnis zu dessen Direktor Viktor Kellner und eine sehr ambivalente Beziehung zu ihrer jüdischen Herkunft. Vansant las die Erinnerungen als „textual manifestations of the traumas of exile and return and the process of mourning the loss of Heimat on rhetorical, metaphorical, and thematic levels.“ E.A. Jacqueline Vansant: Reclaiming Heimat. Trauma and Mourning in Memoirs by Jewish Austrian Remigres. Detroit: Wayne State University Press 2001. 204 S. Verstreutes Ein Fund im Jahrbuch 15 der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (München: Oreos Verlag 2001). Manfred Durzak in einer Laudatio auf den deutschen Erzähler Uwe Timm: Dieses selbstreferentielle System von Literatur, die aus Literatur entsteht, eine Literaturliteratur, hat sich aus der menschlichen Erfahrung weitgehend verabschiedet, besteht darauf, eine neue Erfahrung als rein ästhetische herzustellen. Sie legt keinen Wert darauf, einen Beitrag zu leisten zu jener inneren Geschichtsschreibung des Subjekts, das sich an der Wirklichkeit reibt und an ihr leidet und in dessen Wunden und Narben wir uns wiedererkennen mit unserer eigenen Erfahrungsgeschichte. (S. 361 f.) Weiter unten zitiert Durzak Denis Diderot: Unsere ohnmächtigen Anstrengungen gehören ebenso zur allgemeinen Ordnung wie die erfolgreichen. Vielleicht formuliert Durzak nur insofern zu zurückhaltend, als er die grassierende irrationalistische Intention und die seminaristische Belanglosigkeit (welche sich aneinander aufschaukeln) mit Schweigen übergeht. 63