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Linz im Nationalsozialismus Linz spielte, als Lieblings- und „Patenstadt des Führers“, im nationalsozialistischen Regime eine besonders exponierte Rolle, mit der man sich lange nur ungern auseinandersetzte. Umso erfreulicher sind die Initiativen des Gemeinderats und des Archivs der Stadt Linz in den letzten Jahren, diesen Teil der Vergangenheit in Zusammenarbeit mit internationalen HistorikerInnen systematisch aufzuarbeiten. Besondere Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang das zweibändige Werk Nationalsozialismus in Linz von Fritz Mayrhofer und Walter Schuster sowie die von letzterem verfasste und ebenfalls vom Linzer Stadtarchiv herausgegebene Franz LangothBiographie Deutschnational — Nationalsozialistisch — Entnazifiziert. Franz Langoth. Eine NS-Laufbahn. Beide befassen sich sowohl mit den historischen Linzer Entwicklungen und Ereignissen vor als auch nach 1945. So wird im Sammelband von Thomas Dostal dem „braunen Netzwerk“, das die Voraussetzungen für den „Anschluß“ schuf, große Aufmerksamkeit gewidmet. Fritz Mayrhofer setzt sich mit der Beziehung zwischen Hitler und seiner „Patenstadt‘“ sowie den Plänen zum Ausbau zu einem Verwaltungs-, Kultur- und Industriezentrum auseinander; zahlreiche detaillierte Beiträge zur Kommunalpolitik, Kultur und Wirtschaft liefern einen guten Überblick über die NS-Geschichte der Stadt. Besondere Erwähnung verdienen in diesem Zusammenhang außerdem der Beitrag „Ostarbeiterinnen. Vergessene Frauen und ihre Kinder“ von Gabriella Hauch und Hermann Rafetseders Artikel über den „Ausländereinsatz“ in Arbeits-, Arbeitserziehungs- und KZ-Nebenlagern. Der KZGedenkstätte Mauthausen hat Helmut Fiereder einen eigenen Beitrag gewidmet. Widerstand und Verfolgung in Linz: Siegwald Ganglmair vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖWV) hat mit diesem Thema eine schwierige Aufgabe übernommen. Er läßt seinen Blick aufgrund der historischen Gegebenheiten (Linz war nicht Zentrum des Widerstandes, aber der Verfolgung - ersteres lag vielmehr in Steyr und im Salzkammergut) etwas weiter schweifen. Dabei nimmt er organisierte Bewegungen wie die Großösterreichische Freiheits- bewegung des Juristen Dr. Jakob Kastelic, diverse Pfarrjugendgruppen, die „Gegenbewegung“ der Parteilosen, die Widerstandsgruppe Orel, sozialistische und kommunistische Gruppen ebenso unter die Lupe wie die individuellen Widerstandsaktivitäten eines Dr. Josef Hofer, der als ehemaliger Polizeibeamter nach seiner Haft einen Freiheitskampf „in stiller (...) Sabotagetätigkeit, in listenreichen Winkelziigen und vor allem im Wachhalten der österreichischen Gesinnung in der Masse der Bevölkerung“ führte. Wobei der Widerstand in Linz, wie Ganglmair nachdrücklich an64 merkt, generell „eine sehr punktuelle Sache“ darstellt. Auf militärischer Seite fehlte er dort, im Gegensatz beispielsweise zu Enns, Wels und Lenzing, in der Endphase des Dritten Reichs sogar völlig. Die „Welser Gruppe“, ein politisch heterogener Zusammenschluß von in verschiedenen Betrieben Aktiven, denen Kommunisten, revolutionäre Sozialisten, Katholiken und ehemalige Großdeutsche angehörten, „strahlte geographisch“ hingegen „über Wels hinaus in Orte wie Stadl-Paura, Lambach, Laakirchen, Gmunden, Gschwandt und auch nach Linz“. Daß, wie Ganglmair schreibt, der quellenspezifische Informationsnotstand die ,,Sichtbarkeit des Widerstands in und um Linz trotz interessanter Details allerdings stark erschwert, ist sehr bedauerlich. Auch der Umgang der Linzer Nachkriegsgesellschaft mit politischen und soziokulturellen Kontinuitäten wird in beiden Büchern analysiert. So setzen sich zum Beispiel Claudia Kuretsidis-Haider und Winfried Garscha vom DÖW im zweiten Band des Sammelwerks mit dem Linzer Volksgericht und seiner Ahndung von NS-Verbrechen in Oberösterreich nach 1945 auseinander. Der bis 1955 existierende Gerichtshof führte, unabhängig von den Siegermächten, nationalsozialistische Kriegsverbrecher und Kollaborateure ihrer Strafe zu; österreichweit wurden neben knapp 30.000 Anklagen und zahlreichen bis zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen 43 Menschen zum Tod verurteilt; in 30 Fällen wurde das Urteil vollstreckt. Nach Übertragung der Aufgabe an die Geschwornengerichte 1955 wurde überhaupt nur mehr in 46 Fällen Anklage erhoben; seit 1975 fand, wie Kuretsidis-Haider und Garscha anmerken, in Österreich keine Gerichtsverhandlung wegen NS-Verbrechen mehr statt. Wie mit Franz Langoth in Österreich umgegangen wurde, ist, bei aller Extremität, symptomatisch für die Nachkriegspolitik und ihre Versäumnisse. Während seiner Entwicklung vom antisemitischen Großdeutschen (er war 14 Jahre Landesparteiobmann der Großdeutschen Volkspartei in Oberösterreich) zum Nationalsozialisten trug er, nicht zuletzt durch sein „Kampfbündnis‘“ zwischen den beiden Lagern, wesentlich zur Stärkung und Etablierung des Nationalsozialismus in Oberösterreich bei. Als Richter des Volksgerichtshofs des Deutschen Reichs zur Verfolgung politischen Widerstandes als Hoch- und Landesverrat, durch den, so Schuster, „praktisch (...) jede Art der Opposition zum NS-Regime geahndet werden“ konnte, war der SS-Brigadeführer 194044 für 118 Schuldsprüche, davon 41 Todesurteile verantwortlich. In seinen Erinnerungen hatte sich Langoth diesbezüglich „nichts vorzuwerfen“. Eine Verurteilung nach dem österreichischen Kriegsverbrechergesetz blieb aus; es gab nicht einmal eine Anklage. Der Justiz blieb angesichts mangelhafter Definitionen großer Spielraum. Die Entnazifizierungspolitik von SPÖ und ÖVP trug in der Bevölkerung wesentlich zur Schaffung eines Klimas falsch verstandener Toleranz bei und ermöglichte der ehemaligen NS-Elite „eine Bedeutung im öffentlichen Leben (...), die mit dem demokratischen Neuaufbau der Zweiten Republik nicht vereinbar war“. Langoth, der durch seine langjährige politische Tätigkeit das Leben der Stadt Linz geprägt hatte (er war in der Monarchie Landtagsabgeordneter, in der Ersten Republik Landeshauptmannstellvertreter und Landesrat und in den letzten Kriegsjahren Oberbürgermeister) und als Symbolfigur des „nationalen Lagers“ galt, wurde 1950 durch den Bundespräsidenten amnestiert. Nach Langoths Tod 1953 hielt Bürgermeister Koref eine Gedenkrede. Zwanzig Jahre später wurde eine Straße nach ihm benannt und erst 1986 wieder in Kaisergasse umbenannt. Sandra Wiesinger-Stock Fritz Mayrhofer/Walter Schuster (Hg.): Nationalsozialismus in Linz. Wissenschaftliche Redaktion: Maximilian Schimböck/ Anneliese Schweiger. Linz: Archiv der Stadt Linz 2001. 2 Bde., 1754 S. Walter Schuster: Deutschnational — Nationalsozialistisch — Entnazifiziert. Franz Langoth. Eine NS-Laufbahn. Linz: Archiv der Stadt Linz 1999. 460 S. Ein Buch über Jakov Lind Der vorliegende Sammelband basiert auf den Beiträgen eines Symposions des Austrian Cultural Institute im Februar 1997 in London zum 70. Geburtstag von Jakov Lind. Lind wird als prononciert österreichischer (Stella Rosenfeld) und jüdischer (Mark H. Gelber) Dichter interpretiert. Gelber stellt in diesem Zusammenhang die allgemein sehr bedenkenswerte Frage: „How should we categorize, in the sense of Jewish national literature, writers who immigrated to Israel but failed to ‚be absorbed’ for whatever reason, and yet retain an underlying affiliation with the country?“ Das Buch bietet eine sehr gute Einführung in das Werk und die Rezeptionsgeschichte eines der bedeutendsten deutschprachigen jüdischen Schriftstellers der Nachkriegszeit. Einige Fragen, die sich bei der Lektüre stellen, könnten in einem ausführlichen autobiographischen Interview mit Lind noch geklärt werden. E.A. Andrea Hammel, Silke Hassler, Edward Timms (Ed.): Writing after Hitler. The Work of Jakov Lind. Cardiff: University of Wales Press 2001. 222 S.