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Eine Monographie über
Henry William Katz

Der Schriftsteller H.W. (Herz Wolff bzw.
Henry William) Katz ist dringend wiederzu¬
entdecken: Er wurde 1906 in dem kleinen ga¬
lizischen Städtchen Rudky geboren und
erhielt 1937 für seinen Roman Die Fisch¬
manns den Heinrich Heine-Preis des Schutz¬
verbandes deutscher Schriftsteller im Exil.
Ena Pedersen untersucht in ihrer Studie, war¬
um er so sehr vergessen wurde. Sie stellt sei¬
ne Bücher in den Kontext der Literatur über
das Stetl und vergleicht sie mit den Werken
anderer aus Galizien stammender Autoren,
vor allem mit Joseph Roth.
Katz wuchs in einer traditionellen jüdischen
Familie als Sohn eines Gastwirts auf; von sei¬
ner Mutter erbte er die Liebe zur deutschen
Literatur. Mit 15 Jahren rebellierte er gegen
das orthodoxe Milieu seiner Kindheit, indem
er am Jom Kippur, dem höchsten jüdischen
Feiertag, einem strengen Fasttag, ein Schin¬
kensandwich aß. Er ging nach Berlin, wo er
ein Mitglied der Sozialistischen Arbeiter¬
Jugend wurde und in der sozialistischen
Presse Sozialreportagen zu veröffentlichen
begann. Mit 26 Jahren wurde er das jüngste
Redaktionsmitglied der Welt am Montag.
Nach der Verleihung des Heine-Preises er¬
schien sein Roman bei Allert de Lange in
Amsterdam und in tschechischen, polnischen
und englischen Übersetzungen. 1933 emi¬
grierte er nach Frankreich, und 1941 konnte
er sich in die USA retten. Dort vermochte er
die unterbrochene Karriere nicht mehr fort¬
setzen konnte, obwohl 1940 in New York in
Fortsetzung des ersten Romans No. 21 Castle
Street erschienen war.
Er nahm verschiedene Brotberufe an; ein wei¬
terer von ihm verfaßter Roman blieb unver¬
öffentlicht. Er las jedoch weiter deutsch. 1970
wurde er pensioniert. 1985-86 wurden seine
beiden Romane in Deutschland neu aufge¬
legt; 1985 und 1991 wurde er zu zwei Lese¬
reisen in seine alte Heimat eingeladen. 1992
starb er im Alter von 86 Jahren.
Die vorliegende Studie basiert auf zahlrei¬
chen Quellen aus dem Nachlaß und Inter¬
views mit der Witwe des Schriftstellers,
Friedel Katz.
Die Fischmanns, ein besonders berührendes,
gut geschriebenes Buch, ist 2000 im List
Verlag in einer preisgünstigen Taschenaus¬
gabe wider erschienen.

E.A.

Ena Pedersen: Writer on the Run. German¬
Jewish Identity and the Experience of Exile in
the Life and Work of Henry William Katz.
Tübingen: Max Niemeyer 2001. 197 S. Euro
44,¬

Kurt Steiner und der Tokyoter
Kriegsverbrecherprozeß

Parallel zum Nürnberger Tribunal wurde
vom 3. Mai 1946 bis zum 4. November 1948
insgesamt 28 Verantwortlichen der japani¬
schen Kriegsführung in Tokyo der Prozeß ge¬
macht. Im Richterkollegium waren hier nicht
nur die ‚großen Vier’ (Frankreich, Gro߬
britannien, SU, USA) vertreten, sondern
ebenso einige Staaten, die Opfer japanischer
Aggression geworden waren oder sich am
Krieg gegen Japan beteiligt hatten: Austra¬
lien, China, Indien, Kanada, die Niederlande
(als indonesische Kolonialmacht), Neusee¬
land und die Philippinen. Angeklagt waren ja¬
panische Ministerpräsidenten, Kriegs- und
Marineminister, Diplomaten und hohe Offi¬
ziere.

Fünf der Angeklagten wurden zum Tod durch
den Strang verurteilt und hingerichtet, 16 zu
lebenslänglicher Haft. Bereits 1952 befanden
sich alle noch lebenden Angeklagten wieder
auf freiem Fuß. Der für den deutschen Natio¬
nalsozialismus schwärmende ‚Chefideologe’
Okawa Shumei konnte sich dem Verfahren
durch eine Geisteskrankheit entziehen, die
nach Abschluß des Prozesses und überstan¬
dener Gefahr so rätselhaft wieder ver¬
schwand, wie sie plötzlich aufgetreten war.
Nicht belangt wurde der japanische Kaiser
Hirohito, der vermutlich zur Erhaltung der
politischen Stabilität Japans benötigt wurde.
Kaum verfolgt wurden die Untaten der japa¬
nischen Sondereinheit 731, die an chinesi¬
schen und US-amerikanischen Kriegs¬
gefangenen medizinische Experimente und
sogar Vivisektionen durchführte; der dafür
hauptverantwortliche General wurde in den
USA schließlich amnestiert, nachdem er den
US-Militärs die Ergebnisse seiner ‚For¬
schungen’ zur Verfügung gestellt hatte.

Vor allem aber wurden jene japanischen
Kriegsverbrechen kaum oder nur nebenbei er¬
örtert, die sich gegen die chinesische und ko¬
reanische Zivilbevölkerung und gegen chine¬
sische Kriegsgefangene richteten. Letztere
wurden vom japanischen Militär nicht als
Kriegsgefangene anerkannnt und behandelt,
weil der Krieg in China von Japan ganz ein¬
fach nicht als Krieg, sondern gewissermaßen
als Aufstand gegen die ‚rechtmäßige’ japani¬
sche Herrschaft angesehen wurde. Die Dis¬
kussionen über die Massenvergewaltigungen
chinesischer und koreanischer Frauen, Gei¬
selerschießungen und gewaltsamen Rekru¬
tierungen zur Zwangsarbeit ziehen sich bis in
die Gegenwart; der Druck auf Japan, sich zu
seiner Verantwortung zu bekennen, hat in den
letzten Jahren zugenommen. (In vorliegen¬
dem Buch wird kaum darauf eingegangen.)
Unter den Anklägern des Tokyoter Kriegsver¬
brecherprozesses befand sich, zufolge einer
Reihe von Zufällen, der 1912 in Wien gebo¬
rene, 1938 in die USA geflüchtete jüdische
Wiener Kurt Steiner. Sohn einer Arzttochter
und eines Fleischhauers im 14. Wiener

Bezirk, hatte er in Wien Jus studiert und war
nach schwierigen Anfangsjahren in den USA
Leiter einer Berlitz-Sprachschule in Cleve¬
land (Ohio) geworden. 1943 zur US-Army
eingezogen, wurde Steiner aufgrund seiner
Vorkenntnisse des Japanischen und seiner
Sprachbegabung zum Spezialisten für das
Japanische ausgebildet und kam als Dol¬
metscher und Übersetzer nach Kriegsende
nach Tokyo. Hier wurde er dann — durch den
Zufall einer persönlichen Begegnung — der
Anklagebehörde zugeteilt, die den Kriegs¬
verbrecherprozeß vorbereiten sollte.

Steiner, der in dem Buch von Elisabeth Wel¬
zig und Ernst Kilian (der nur für die Re¬
cherchen zum Tokyoter Kriegsverbrecher¬
prozeß zeichnet) als ein die Gerechtigekit lie¬
bender, zugleich zutiefst weltoffener und li¬
beraler Mensch gezeichnet wird, etablierte
sich in den 1950er Jahren als Politologe an
der kalifornischen Stanford University,
schrieb u.a. zwei Bücher über die österreichi¬
sche Nachkriegsentwicklung, engagierte sich
gegen den Vietnam-Krieg und lebt heute,
längst emeritiert, mit seiner nichtjüdischen
Frau Kitty, die ihm aus Wien ins Exil nach¬
folgte, noch immer in seinem Haus auf dem
Universitätsgelände von Stanford.

Elisabeth Welzig beschreibt in dem Buch ge¬
wiß einen in vieler Hinsicht bemerkenswerten
Lebenslauf und einen offenbar liebenswerten
Menschen. Quälend jedoch ist das Schwan¬
ken zwischen Biographie und Historiogra¬
phie, zwischen der Darstellung der Karriere
Steiners und des Verlaufs des Tokioter
Kriegsverbrecherprozesses. So kommt das
eine wie das andere zu kurz.

Steiners familiärer Kontext wird mehr um¬
ständlich als ausführlich ausgebreitet; seine
intellektuelle Entwicklung, sein wissen¬
schaftliches Profil dagegen bleiben eher ver¬
schwommen. An passender und unpassender
Stelle werden zwar liebevoll einzelne münd¬
liche Äußerungen Steiners eingeflochten, die
in ihrer umgangssprachlichen Prägung wohl
Zutrauen zu dem Menschen Steiner erzeugen,
nie aber wird aus Steiners Aufsätzen oder
Reden zitiert, in denen er sich konzentriert
und in vollem Besitz seiner geistigen
Fähigkeiten artikuliert. Dadurch entsteht zwi¬
schen den Zeilen ein durchaus unangemesse¬
ner Umgangston mit Steiner, den ich als
„geriatrischen“ bezeichnen möchte.
Natürlich sind die durch die Nationalsozia¬
listen aus Österreich Vertriebenen, wenn sie
noch am Leben sind, heute nicht mehr die
Jüngsten. Dennoch ist mir unbehaglich ange¬
sichts einer gewissen schwer greifbaren, un¬
definierbaren Pflegeheim-Freundlichkeit ge¬
genüber dem Exil. Sie ist vielleicht schon äl¬
teren Ursprungs, erinnere ich mich doch an
eine Briefstelle, in der ein österreichischer
Gesandter in London 1956 die Frage stellt:
„Was machen wir nun mit dem guten, alten
Kramer?“ (Gemeint war der gesundheitlich in
Schwierigkeiten befindliche Dichter Theodor
Kramer, damals 59 Jahre alt.) Irgendwie pen¬
delt dieser Pflegeheim-Ton zwischen dem be¬

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