OCR
Die Macht als Instanz und Bedrängnis Das Phänomen, das ich hier zunächst erörtern muß, ist das der Distanzierung der Macht. Distanzierung von Macht ist keine Selbstverständlichkeit. Rein etymologisch entspricht Macht demselben Wortstamm und Bedeutungsfeld wie mögen und vermögen, worauf ja auch Canetti hinweist. Unvermögen und Ohnmacht wären somit synonym. Über ein gewisses in concreto zu bestimmendes Vermögen, hier nicht im Sinne von finanziellen Rücklagen und anderen Besitztümern, sondern im Sinne spezifischer Fähigkeiten, verfügt doch ein jedes Lebewesen; so hat der Baum die Macht, Schatten zu spenden, und die menschliche Hand vermag überhaupt einiges. Nun Könnte man sagen, der Baum kann ja nicht anders, er muß Schatten spenden: Es stünde gar nicht in seiner Macht, keinen Schatten zu spenden. Der Baum kann nicht frei entscheiden, ob er seine Macht einsetzt oder nicht. Mit der Moralisierung der Macht, mit der ethischen Bewertung ihres Gebrauchs beginnt die Distanzierung der Macht, stellt sich fortan Ohnmacht nicht mehr als Unmöglichkeit, als Verhinderung der Entfaltung von Fähigkeiten dar, sondern als Losgelöstsein von der Macht, als fremder Macht ausgesetzt und unterworfen sein. Die Vorstellung von der Macht als dem Fremden, Anderen ist also keine Selbstverständlichkeit, hat ihre Geschichte und Voraussetzungen. Zumal die bürgerliche Gesellschaft mit ihrer Trennung von citoyen und bourgeois, mit ihrer Auffassung des Politischen als einer Sphäre von Unterordnung, Befehl, Zwang, Gewalt und Macht, der die zivile und private als eine Sphäre des freien Übereinkommens, des Vertrags gegenübergestellt ist, hat den Prozeß der Distanzierung von Macht so stark beschleunigt, daß mittlerweile die vorgebliche Ohnmacht der Gesellschaftsmitglieder dem Tun der „Mächtigen“ gegenüber zu einer von den Eltern an die Kinder weitergegebenen Lebenslüge oder Selbstverständlichkeit geworden ist. Selbstredend beruht die Distanzierung der Macht auch auf Konzentrationsprozessen, wie wir sie juristisch im Gewaltmonopol des Staates angesprochen finden. Die Macht, die in meinem Vermögen liegt, ist ja an sich so wenig übertragbar, delegierbar und veräußerbar wie die Zeit meines Lebens und die Luft, die ich ein und aus atme. Wesentlich in der Konzentration der Macht ist daher die Herstellung eines Machtgefälles, nicht die Entmachtung, sondern die Disponibilität einer Übermacht. Dieses Machtdispositiv erscheint dann als ein dunkel in sich Zusammengezogenes, ein Konkretum, das errungen und verloren werden kann. Diese Macht kann ‚erobert’ werden. Die Macht ist nun zugleich Instanz, an die gegen das Unrecht zu appellieren ist, und Ausgangspunkt möglicher Bedrängnis. Konzentration von Macht hat eine desanthropomorphisierende Tendenz - sie zieht, zumindest dem Schein nach, aus der menschlichen Gestalt das Machtvolle an einen entgegengesetzten, nicht menschlichen Pol. Wenn Elias Canetti sagt: „Macht in ihrem Kern und auf ihrem Gipfel verachtet Verwandlung. Sie tut sich selbst Genüge; sie will nur sich. ... absolut und unverantwortlich“ (wie der Kaiser in der 6sterreichisch-ungarischen Verfassung), ,,ist sie nichts und niemand anderem zuliebe da.“! — wenn Canetti dies sagt, so geht er in seine Vorstellung von Macht immer schon von der historisch entstandenen und konfigurierten Konzentration der Macht aus. Sein Machtbegriff resümiert sich in der vollkommenen Distanzierung der Macht. Die Macht ist zwar nun in sich zusammengeballt und aus dem gemeinhin Menschlich-Alltäglichen distanziert, zugleich aber durchdringt sie alles, sie ist allgegenwärtig wie eine schwarze Sonne, die uns überall erreicht mit ihrer finsteren Strahlung, mit dem Befehl, der, wie Canetti sagt, nicht nur im Militärischen zum System ausgeprägt ist, sondern auch „viele andere Bereiche des zivilen Lebens ... ergriffen und gezeichnet“ hat. Und der Widerstand gegen den Befehl wird zum anarchistisch anmutenden Schlußcredo in Masse und Macht: „Wer der Macht beikommen will, der muß den Befehl ohne Scheu ins Auge fassen und die Mittel finden, ihn seines Stachels zu berauben.‘” Die Macht und das Mißtrauen in das ästhetische Material Die Allgegenwart der aus dem Vermögen von Lebewesen distanzierten Macht ist auch eine Voraussetzung der sogenannten Wiener Gruppe, als deren Angehörige Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener kanonisiert sind. Die Gruppe bildete sich nach dem Zeugnis ihres Chronisten Rühm 1952, 1953 manifestierte sie sich zum ersten Mal. Ihre ruhmreichste Aktion war wohl eine Demonstration mit sieben Beteiligten gegen die österreichische „Wiederbewaffnung“, gegen die Neubildung des Bundesheeres am 17. Mai 1955, wozu Artmann ein Manifest verfaßte, das mit den bekannten Versen endet: ein österreich das nach wiederbewaffnung schreit ist mit dem quakfrosch zu vergleichen der mit bruchband und dextropur versehen einen antiken dragonersäbel erheben wollte... Man sollte genau lesen, welche Argumente Artmann gegen die „Wiederbewaffnung“ vorbringt. Es sind im wesentlichen vier. Erstens wird die allgemeine Wehrpflicht als „atavismus“, „neanderthal", ,,vorbereitung zum legalisierten menschenfressertum“ apostrophiert. Das „neanderthal“ war gerade zehn Jahre her; hier scheint der auch bei der Gruppe 47 zu beobachtende „diffuse, abstrakte Pazifismus ... mit dem Ziel, jegliche Besonderheit des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen aus der Geschichte zu tilgen“, zugrunde zu liegen.“ Zweitens wird die „Wiederbewaffnung‘ als Tendenz zur sentimentalen Restauration der österreichisch-ungarischen Tradition („radetzki-/deutschmeister- und kaiserjägermarsch‘“) kritisiert. Wer je die Realität des österreichischen Bundesheeres kennengelernt hat, weiß, daß die miltärischen Kader bis auf wenige Ausnahmen in einer anderen Tradition standen: nämlich der der deutschen Wehrmacht. Daß diese Tradition mit keinem Wort erwähnt wird, ist bei Artmann nur folgerichtig. Drittens meint Artmann, man solle die Milliarden für das Bundesheer besser „für kultur und zivilisation verwenden“.