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Wir studierten im Haschomer Hazair das „Kommunistische Manifest“ und andere sozialistische Schriften wie „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“. Mehr noch als die Bücher begeisterten uns die Hymnen, die Versammlungen, die rote Fahne, die Symbole, die sowjetischen Filme. Ich kann mich lebhaft an die Begeisterung für sowjetische Partisanenfilme erinnern. An eine Begebenheit denke ich noch heute mit Scham. Mein Bruder diente vom Kriegsanfang bis 1946 beim britischen Militär. Ich kam am 19. Januar 1943 in Palästina an. Am 18. Januar war mein Bruder, der auf Heimaturlaub in Erez Israel gewesen war, aus Haifa weggefahren, und ich kam eben einen Tag später in Haifa an. Einen brieflichen Kontakt gab es nur durch das Internationale Rote Kreuz. Man durfte höchstens 25 Wörter schreiben. Natürlich konnte ich nicht schreiben: „Ich komme jetzt nach Erez Israel.“ Und man hatte uns auch verboten, die Adressen unserer Verwandten mitzunehmen. Also mußten wir sie auswendig lernen. Auch ich hatte sie auswendig gelernt, aber in der Aufregung der Ankunft die letzte Adresse meines Bruders — er wohnte bis September 1939 in Jerusalem in Untermiete — vergessen. Man konnte auch nicht an die britische Armee schreiben: „Ich möchte mit meinem Bruder Pfeifer Erwin in Verbindung treten.‘ Das war einfach unmöglich. Plötzlich, nach drei Monaten fiel, mir die Adresse ein und ich habe ihm geschrieben. Tatsächlich bekam ich nach zehn Tagen ein britisches Militärtelegramm. Darin teilte mir mein Bruder mit, er hätte meinen Brief bekommen und um einen Sonderurlaub gebeten. Mein Bruder fuhr in der Nacht aus Bagdad weg und kam zu Mittag im Kibbuz Maaäbarot an. Wir sind zum Mittagessen gegangen, haben den ganzen Nachmittag miteinander gesprochen. Am Abend wollte er weiter mit mir sprechen, aber das wollte ich nicht, denn wir sollten in die nahe Stadt Hadera fahren, um einen sowjetischen Partisanenfilm, ich glaube, er hieß Natascha’, anzuschauen. Das interessierte meinen Bruder nicht. Doch der Partisanenfilm lockte. Und so mußte mein Bruder mit auf den Lastwagen. Da war eine rote Fahne und wir sind eine halbe Stunde vom Kibbuz Maabarot in die Stadt gefahren, haben die ganze Zeit Arbeiterkampflieder gesungen und uns dann den Film angeschaut. Ich weiß nicht mehr, wie viele Deutsche Natascha erschossen hat. Uns begeisterte das, meinen Bruder weniger. Wir sahen die Welt durch rosarote Brillen, und es war ja auch schwierig, sie anders zu sehen, denn am Abend hörte man auch das sowjetische Radio, und da wurden immer, wenn eine sowjetische Stadt befreit war, 21 Kanonenschüsse abgefeuert Die Arbeiterparteien übten im jüdischen Jischuw die absolute Hegemonie aus, die politisch rechtsstehenden hatten große Schwierigkeiten. Wenn die Anhänger der rechten Jugendbewegung Betar‘ uns beim Aufmarsch am 1. Mai störten, dann erhielten sie eine gehörige Tracht Prügel. Für uns waren das „Faschisten“, die Sowjetunion hingegen das Modell der Zukunft, „Olam hamachar“, die Welt von morgen, wie es auf Hebräisch hieß. Die Generation des Palmach 1946 waren wir noch keine 18 Jahre, und man stellte uns vor die Alternative, nach Schulschluß entweder in einen anderen Kibbuz zu gehen, irgendwo an die syrische oder libanesische Grenze, oder uns freiwillig zur Eliteeinheit der illegalen Hagana zu melden, der jüdischen Selbstverteidigungstruppe, Vorläufer der Zahal, der Zawa Hagana Leisrael, der Verteidigungsarmee 14 Israels, die von der Arbeiterbewegung dominiert war. Und wir haben uns nach längeren Diskussionen entschlossen, zur Palmach’ zu gehen. : Unsere Diskussionen liefen in der Regel nach sowjetischem Muster ab. Wir saßen zusammen und man mußte Kritik üben, auch Selbstkritik. Das hatte etwas Peinliches, wenn ich eingestehen mußte, daß ich nicht zur landwirtschaftlichen Arbeit tauge. Die Erziehung im Kibbuz wollte einen „neuen Menschen“ hervorbringen. Die dazu erforderlichen Eigenschaften waren auch Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit. Der ideale „neue Mensch“ sollte keinen Unterschied zwischen Worten und Taten kennen. Und da wir Sozialisten waren, mußten wir als solche in einem Kollektiv leben. 1946 war es schon klar, daß es zu einer Auseinandersetzung mit den Nachbarn kommen würde. Ich war in einer Bewegung, die an den binationalen Staat glaubte, die einen Frieden mit den Arabern wollte. Aber es schien schon damals so, als ob das nicht möglich wäre. Das haben viele von uns geahnt. Wenn wir durch gewisse arabische Dörfer fuhren, dann ertönte manchmal der gellende Schrei „Jahud, jahud‘“, („Juden, Juden“). Und das hörte sich nicht freundlich an. Die Frage des binationalen Staates hatte vor dem Holocaust natürlich eine andere Bedeutung als danach. Denn nach dem Holocaust gab es das große Problem mit der Sheerit Haplita, den Übriggebliebenen, den Überlebenden, den Rest der Juden, wie man sie genannt hat. Diese sind in Österreich‘, Deutschland und Europa herumgeirrt und wollten eine Heimat haben. Und es gibt nichts Zynischeres, als zu behaupten, daß die Zionisten, diese „armen Leute“, die angeblich gar nicht nach Erez Israel wollten, eingefangen und sie mit Propaganda davon überzeugt hätten, ins Land zu kommen. Das Gegenteil war der Fall. Gerade die Überlebenden übten einen enormen Druck aus. Sie wollten ein eigenes Land. Ihre Erfahrungen mit den Ländern und Völkern aus denen sie kamen, waren katastrophal. Die einzige Gesellschaft, die diese Menschen aus praktischen wie ideologischen Gründen haben wollte, war die jüdische in Erez Israel. Damals fanden auch die großen Demonstrationen gegen die Mandatsmacht statt: „Öffnet die Tore! Aliya Hofschit, Freie Aliya!“ Wir forderten von der britischen Mandatsmacht, die ausgerechnet 1939 die Rechte der Juden in Erez Israel, darunter auch das Recht zur Einwanderung, radikal beschränkt hatte, freie Einwanderung, alle Juden sollten einwandern dürfen. Und das wurde dann in Israel auch Gesetz: Jeder Jude, der ins Land einwandert, kann — mit einigen wenigen Ausnahmen - die Staatsbürgerschaft erhalten. Es gab 1946 eine unheimliche Welle der Begeisterung, als wir zum Palmach gingen, es war ein Gefühl, Teil der Welt von morgen zu sein, zumal ja die Sowjetunion und die volksdemokratischen Staaten den Zionismus sowohl mit Waffen als auch diplomatisch, unterstiitzten. Da kamen tiberhaupt keine Zweifel auf, daß das nicht richtig sein könnte, oder daß wir auch Unrecht begehen könnten. 55-60 Jahre nach diesen Geschehnissen könnte ich zur Nostalgie neigen. Doch die Geschichte war nicht so einfach. Viele von uns verloren ihre Familie oder große Teile ihrer Familie während des Holocaust. Unsere Lehrer und unsere Fürsorgerin konnten nicht Eltern und Familie ersetzen. Und die Erziehung wollte einen „neuen Menschen“ hervorbringen, der vor allem Mitglied eines Kollektivs sein sollte. Die individuelle Entwicklung war nur insofern erwünscht, als es dem Kollektiv paßte. Zum Hebräischlernen gehörte auch der T’nach, das Alte Testa