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Johannes R. Becher im Moskauer Exil herausgegebenen Zeitschrift „Internationale Literatur. Deutsche Blätter“. Rosenkranz erahnte das Versinken eines — seines — Lebensraums; thematisiert im Gedicht „Bukowina 1940-1941“. Im Interview mit Sienerth sagte er dazu: „Nach den ‚Roten’ kamen etwa ein Jahr später die ‚Braunen’. Nun wurde es apokalyptisch, ich verlor viele teure Menschen, nicht nur unter den Juden.‘ Rumänische Freunde steckten ihn in ein moldauisches Arbeitslager, um ihn so vor der Deportation zu bewahren. Es war der Beginn einer ganzen Reihe von Internierungen, Gefängnis- und Lageraufenthalten, die nach dem Kriegsende unter stalinistischer Herrschaft fortgesetzt werden sollten. Geprägt durch diese Erfahrungen entstand 1942 im rumänischen Arbeitslager von Tabaresti-Cilibia Rosenkranz’ bekanntes Gedicht „Die Blutfuge“. Paul Celan, den er im selben Lager traf und dem er das Gedicht vorlas, ließ Motivelemente aus Rosenkranz’ „Blutfuge“ wie aus dessen „Klage“ und aus Weißglas’ „ER“ in seine spätere „Todesfuge“ einfließen; doch bei ihm, Celan, stand bereits die „dezidierte Mehrdeutigkeit“ seiner Lyrik fortschreitend erkennbar im Raum. Celan, er hieß damals noch Paul Antschel (rumänisch Ancel), wurde später weltberühmt und seine Verszeile „der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, aus der „Todesfuge“, regte die Holocaust-Forschung erst richtig an. Im Gegensatz zu Celan blieb sich Rosenkranz aber in der Bewahrung des Erlebten treu, aus seinen Gedichten sieht uns immer die feine, metapysisch gewandte Stirn des Autors an. Liest man Rosenkranz, so wird klar, daß ihm das Engagement für Holocaust-Überlebende und die Revitalisierung des osteuropäischen Judentums Herzensanliegen waren. Im Mai 1944 flüchtete Rosenkranz nach Bukarest und lebte dort bis zum Einmarsch der Roten Armee im Untergrund. Auch wenn jetzt ans Veröffentlichen nicht zu denken war, so begleitete ihn die Poesie kraft- und trostspendend. Zahlreiche Gedichte, die ihm in der Jugend spontan einfielen und die er rückblickend als bloße „Abfälle der Biographie“ einstufte, sind nun erweitert durch Konstanten aus der Erfahrung von Verfolgung und Zerstörung. Nach dem Krieg ging der Leidensweg weiter. Als Delegierter des Internationalen Roten Kreuzes in Bukarest ließ Rosenkranz, was nach den Bestimmungen unzulässig war, Teile einer irischen Schenkung siebenbürger sächsischen Kinder- und Altersheimen zukommen. Daraufhin angezeigt, aber von der sowjetischen Kommandantur zunächst freigesprochen, wurde er im April 1947 vom russischen Geheimdienst von der Straße weg entführt und nach Moskau geschafft und blieb zehn Jahre im berüchtigten Archipel Gulag verschollen. Nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft, 1957, schrieb er das Gedicht „Der Erledigte‘“, wo es im ersten Vers heißt: „Zu mir kommt niemand zu Besuch/ und mich erwartet niemand mehr:/ Gestrichenem im Lebensbuch/ versagt die Welt die Wiederkehr.“ 1958 schrieb er die erste Fassung seiner Kindheitserinnerungen. Alle Arbeiten, die Rosenkranz von 1957 bis 1961 rumänischen Verlagen anbot, blieben unveröffentlicht, da sie „keine zeitgefällige politische Gestaltung“ besaßen. Politisch wie sprachlich gab es für ihn keinen Platz. Darüber informiert, daß die Securitate „aufgrund einiger poetischer Bilder“ einen Prozeß gegen ihn vorbereite, entschloß sich Rosenkranz, der Resignation trotzend, 1961 aus Rumänien zu fliehen. Er ließ sich in Westdeutschland nieder, ab 1972 in LenzkirchKappel im Südschwarzwald, kaum in der Hoffnung auf „eine neue Heimat, aber doch Zuflucht und eine neue Wirkungsstitte“, so Matthias Huff. Welch eine Enttäuschung für Rosenkranz, als er erfahren mußte, in Deutschland nicht als Lyriker, sondern le diglich als Zeitzeuge gefragt zu sein. Weder den Progressiven noch den Konservativen ins Raster passend, saß er schnell zwischen den Stühlen. Und es kam noch etwas hinzu, Huff brachte es rückblikend auf den Punkt: „Die aufs Verdrängen versessene bundesdeutsche Germanistik und Literaturszene stellt im Zeichen eines leblosen, aseptischen Hermetismus so viele andere lyrische Möglichkeiten, die schon von den Nazis unterdrückt wurden, nun endgültig kalt. Moses Rosenkranz hat keine Chance und er bekommt sie nicht.‘ Den anklagenden Max HerrmannNeiße rezitierend möchte man sagen: „Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen, (...) jetzt ist mein Leben Spuk wie mein Gedicht.“ Es sollte nicht ganz so kommen, denn 1986 und 1988 erschienen in München und Thaur (Tirol) seine Gedichtbände „Im Untergang“ und „Im Untergang II“. Nichtsdestotrotz bleibt das Verhältnis zwischen Deutschland und Rosenkranz eine — fiir Deutschland - beschämende Geschichte. Der Aachener Rimbaud Verlagsgesellschaft, die sich der Literatur aus der Bukowina annimmt, sei dank, daß die Scham noch zu Lebzeiten Rosenkranz’ verringert werden konnte. 1998 erschienen dort in der Reihe „Texte aus der Bukowina“ als Band 6 Rosenkranz’ „Bukowina. Gedichte 1920-1997“, ein themengebundener Band, und 2001 folgte in der gleichen Reihe als vielbeachteter Band 9 „Kindheit. Fragment einer Autobiographie“. Die Fortsetzung dazu, „Jugend“, soll folgen. In Vorbereitung befindet sich zudem als Lyrik-Taschenbuch „Visionen. Ausgewählte Gedichte“. Rosenkranz’ Leben in Deutschland war nicht nur wegen der geschilderten Nichtbeachtung im hiesigen Literaturbetrieb hart und schmerzlich, in den letzten Lebensjahren kam noch das gesundheitliche Leid dieses bis dahin so robusten Mannes hinzu. Vor 6% Jahren erblindete der Dichter und war gänzlich auf seine Frau Doris angewiesen. Wem fallen da nicht die letzten Lebensjahre des aus Dresden stammenden Dichterkollegen Hans Sahl ein? Man denkt aber auch an Max Aub, ebenfalls ein Chronist seiner Zeit, für den, wie bei Rosenkranz, die Literatur ein Schreiben gegen die Verzweiflung war. Rosenkranz war ein großer Dichter und mit seiner Dichtung, der Biographie seiner selbst, hat er die Welt immer wieder neu eingefangen. Sein Werk ist ein dokumentum humanum und das, obwohl Rosenkranz gleich Dostojewski den Schlag der beißenden Seelenpeitsche, die „nicht genug“ heißt, zu spüren bekam. Zwischen Tränen aber erscheinen in seinen Gedichten wahrhafte Orkane des Lebensgefühls — auch einer Daseinsfreude, die mit Buchen, Bergtannen und Felswassern Ball spielt. 17