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bereit, weit über dem Durschschnitt intelligent — wer ihn sah und mit ihm sprach, mußte nach zehn Minuten die Sicherheit haben, daß es keiner Sicherheit bedurfte, um ihm die Einreise zu gewähren, der würde auf eigenen Beinen stehen, niemandem zur Last fallen. Aber die Bürokratie hat eben ihre eigenen Gesetze. Als mein petroleumschweres Schiff das nächste Mal in Rotterdam anlegte, war Heinz noch immer da. Wir hatten ein langes Gespräch. Einziges Thema: das Affidavit, das nun endlich eingelangt war. Diesmal fand ich meinen Cousin nicht so zuversichtlich heiter. Er war unruhig, konnte, wenigstens vor mir, seine Sorge nicht verbergen. Das Konsulat hatte ihn zu einer Vorsprache bestellt. Heinz konnte kaum glauben, was er hörte. Der Konsul erklärte ihm, daß dieses Affidavit seiner Meinung nach zu schwach sei. Zu schwach! Aber die Behörden in Amerika hätten doch nichts eingewendet, hätten es akzeptiert, entgegnete Heinz - „ja, ja“, unterbrach ihn der Konsul, „aber ich akzeptiere es nicht. Ihr Garant ist nicht gerade ein Millionär. Er verbürgt sich für Sie, das geht in Ordnung, aber wie soll ich wissen, ob er, wenn es notwendig wird, seine Verpflichtung erfüllen kann?“ „Herr Konsul“, versuchte Heinz es nocheinmal, „ich versichere Ihnen, daß das gar nicht notwendig sein wird. Ich werde sofort nach meiner Ankunft eine Arbeit suchen, werde alles tun, um sofort meinen Unterhalt zu verdienen, Sie wissen aus meinen Papieren, was ich gelernt habe. Ich kann mich ohne Hilfe durchschlagen, davon bin ich überzeugt, ich verspreche es Ihnen!“ „Tut mir leid“, erwiderte der Konsul. „Sie haben Ihre Meinung, ich habe die meine.“ „Herr Konsul, und wenn Sie an mir zweifeln — mein Garant ist ein seriöser Mann, er hat ja Auskunftspersonen angegeben, wenn es nötig sein sollte, würde er helfen, aber es wird nicht nötig sein, ich werde dem Staat bestimmt nicht zur Last fallen.“ Der Konsul unterbrach ihn. Das zu beurteilen, müsse Heinz schon ihm überlassen. Es werde doch nicht gar so schwer sein, sich ein Zusatz-Affidavit zu verschaffen. Heinz sah ihn ratlos an, verzweifelt überlegend, womit er ihn umstimmen könnte. Etwas im Gesicht meines Cousins mußte dem Konsul wohl aufgefallen sein, denn er sagte schließlich, offensichtlich um Liebenswürdigkeit bemüht: „Sie brauchen sich nicht zu beun22 ruhigen, es geht ja um keine definitive Ablehnung, nur um einen Aufschub. Sie müssen sich bloß (bloß!) ein Zusatz-Affidavit verschaffen, das wird nicht gar so schwer sein. Wenn dieses in Ordnung ist, gebe ich Ihnen das Visum, damit können Sie rechnen. Verlieren Sie keine Zeit! Weder die Ihre noch die meine!“ Die Liebenswürdigkeit hatte nicht lange angehalten. Das Ende der Geschichte erfuhr ich nicht von Heinz. Von der Forderung des Konsuls hatte er sogleich seinen Garanten informiert, aber - ABER! Noch ehe dieser etwas unternehmen konnte, überfielen deutsche Truppen die Niederlande. Die Gestapo kam mit. Juden wurden im Lager Westerbork interniert. Die Eltern meines Cousins waren bereits in Bolivien, wo sie alles Menschenmögliche versuchten, um dort eine Einreiseerlaubnis für ihren Sohn zu erwirken. Aber während sonst Gesuche von Eltern für Kinder bevorzugt behandelt worden waren, war gerade damals wegen irgendeiner großen Korruptionsaffäre im zuständigen Ministerium nichts zu erreichen, absolut nichts. Später war es in Einzelfällen doch wieder möglich. Doch noch vorher erfuhren wir durch das Rote Kreuz, daß Heinz am 16. November 1943 mit anderen im Lager Westerbork Internierten nach Auschwitz transportiert worden war. Wir hofften, daß man ihn, der so jung und kräftig war, irgendwo zur Zwangsarbeit eingesetzt hatte und er auftauchen würde, aber mit jedem Jahr nach dem Krieg wurde diese Hoffnung schwächer, bis sie erlosch. In der Nacht nach der Vorführung der Videokassette „Der Konsul“ konnte ich, wie gesagt, nicht schlafen. Ich dachte an Heinz. Eine Melodie aus der Oper war samt den ersten Zeilen des Textes in mir hängen geblieben: Ah, the day will come, I know when our hearts will burn your paper chains... Was mag der amerikanische Konsul gedacht haben, als er von der Besetzung der Niederlande, von der Deportation der Gefangenen erfuhr? Nichts wird er gedacht haben. Er hatte ja nur seine Pflicht getan. „Ich glaub’ ich bin nicht ganz normal“ Die Armin Berg-Revue Stefan Fleischhacker, Martin Thoma und Georg Wacks entführen - in dreieiniger Gestalt als Armin Berg auftretend — die Zuhörer in eine längst untergegangene Welt: Die Welt des jüdischen Humors, der „Lotzelach“, des sinnlosen Blödelns und der gezielten Frechheiten. Vorträge, Couplets, anmutige Bewegungen der Darsteller — sogenannte Grotesk-Tänze — und lehrhafte Vermittlung einiger historischer Begebenheiten und Tatsachen lassen den Charme des großen jüdischen Unterhaltungskünstlers Armin Berg und seiner Zeit für die Dauer des Abends wieder auferstehen. Termine: 2., 3.,9., 10., 16., 17., 18., 24., 25. und 31. Oktober, 1. November, Beginn jeweils 20 Uhr Ort: L.E.O. („Letztes Erfreuliches Operettentheater“), 1030 Wien, Baumannstr. 2 (Ecke Beatrixgasse) Karten unter 712 14 27 zu Euro 15,— (ermäßigt 11,—) Veranstalter: Armin Berg Gesellschaft, Verein zur Förderung und Erforschung jüdischer Unterhaltungskultur in Wien