OCR
Frühmorgens, auf dem Weg zur Arbeit, wurde er verhaftet. Er verließ gerade die Metrostation und wollte die Straße überqueren, als ihn zwei Männer, die dort in einem Wagen mit heruntergekurbelten Scheiben saßen, zu sich heranriefen. He, du, Arschloch! rief der eine, pfiff auf zwei Fingern und winkte ihm, er solle herkommen. Der junge Mann hatte ein mulmiges Gefühl, er tat, als habe er nichts gehört und ging mit seiner Brottasche weiter die Straße hinab wie all die anderen, die zur Arbeit, in die Büros, Fabriken, Hörsäle eilten. Der Mann auf der Fahrerseite stieg aus dem Auto und stand vor ihm. Hast du nicht gehört? Warum bist du bei Rot über die Straße gegangen? Was wollen Sie von mir? fragte der Junge. Inzwischen war auch der andere aus dem Wagen gestiegen und stand hinter ihm. Sieh dir mal das kleine Arschloch an. Tut gerade so, als sei er völlig unbedarft. Der Mann hinter ihm drehte ihn an der Schulter zu sich herüber. Los, setz dich ins Auto! Aber warum? Warum? Der eine lachte. Weil du verhaftet bist. Er drehte ihm den Arm auf den Rücken, drückte ihn gegen das Auto und durchsuchte seine Taschen, aus denen er die Brieftasche nahm. Dann öffnete er den Wagenschlag und stieß den Jungen hinein. Die beiden Männer setzten sich ins Auto. Sollen wir ihn zur Sawuschkina bringen und einsperren, was meinst du? Der Verhaftete sah die Männer vorn auf den Sitzen, beide etwa vierzig Jahre alt, der Beifahrer vielleicht etwas jünger, Familienväter wahrscheinlich. Allmählich wurde ihm klar, daß er in einem Wagen der Kriminalpolizei saß und nicht mehr aussteigen konnte. Du bist eben bei Rot über die Straße gegangen, das weißt du doch? sagte der eine, die Brieftasche des jungen Mannes durchstöbernd. Schau mal, zehn Dollar hat er dabei, der Lump! Zehn Dollar? Das kleine Arschloch besitzt mehr als die meisten von uns im ganzen Monat verdienen! Der auf dem Beifahrersitz drehte sich um. Er hatte ein bleiches, vom Rasieren mit einer stumpfen Rasierklinge gerötetes Gesicht. Er schwitzte. Hier hab ich deinen Paß, sagte er und schlug ihm das Dokument ins Gesicht. Bis heute abend hast du fünfhundert Dollar, verstanden? Der Junge zuckte innerlich zusammen. Es war eine Summe, die er nie besessen hatte. Es brauchte eine Weile, bis er etwas sagen konnte, er meinte nur kleinlaut: Aber das kann ich nicht, unmöglich... Hör auf zu jammern! Pause. Fahr zur Zentrale, da kann er sichs noch mal überlegen. 28 Der Wagen startete. Sie fuhren los. Der junge Mann versuchte die ganze Zeit zu begreifen, was gerade mit ihm passierte, aber er konnte keinen klaren Gedanken fassen und begriff es nicht. Sie zogen ihn aus dem Wagen und eine Treppe hoch und vorbei durch einen düsteren, kahlen Flur, auf dem ihm einige Uniformierte entgegenkamen, dann saß er da auf dem Holzstuhl in einem Zimmer, die beiden Männer hatten ihre Jacken ausgezogen, Handschellen und Pistolenhalfter an ihren Hosengürteln. Fünfhundert Dollar, und alles ist vorbei, sagte der mit dem geröteten Gesicht. Der Junge bemerkte, daß er eine Tätowierung an der Hand hatte. Fünfhundert, bis heute abend! brüllte ihm der andere, ihn am Kragen packend, ins Ohr. Das kann ich nicht, ich kann nicht, wie denn? Der Junge zitterte am ganzen Leib. Der Polizist ließ ihn los. Eine Weile schwiegen sie. Gut, sagte der andere. Er kam auf ihn zu und beugte sich mit seinem roten Gesicht zu ihm herab. Nimms meinem Kollegen nicht übel, flüsterte er. Das rote Gesicht rückte plötzlich ganz vertraulich näher. Ein Seitenblick zu dem Älteren hinüber, der mit abgewandtem Gesicht an der Wand stand. Übrigens bin ich ganz deiner Meinung, flüsterte er. Fünfhundert sind übertrieben. Er kam ganz nah an ihn heran. Na, mir kannst, dus sagen, wieviel Kannst du auftreiben? Zweihundert, vielleicht, murmelte der Junge, es kam ihm über die Lippen, ohne daß er nachgedacht hatte, er konnte nichts mehr denken, alles in ihm war taub, Zweihundert? rief der mit dem roten Gesicht, sich aufrichtend, seinem Kollegen zu. Zweihundert? schrie der. Wir sind zu zweit, wovon sollen unsere Familien denn leben, was denkt der sich? Zweihundert ist zu wenig. Der mit dem roten Gesicht ging zu dem Älteren, und beide tuschelten miteinander, laut genug, daß der Verhaftete es hören konnte. Er ist ein guter Junge, was denkst du? Vierhundert. Vierhundert sind in Ordnung. Na, meinetwegen. Der Ältere kam auf ihn zu. Vierhundert! Dem Jungen raste das Herz. Wie soll ich das machen! Unmöglich, wie soll ich, ich kann nicht. Jemanden überfallen und totschlagen? Der Ältere gab ihm eine Ohrfeige. Schrei nicht so, als seist du hier zuhause! Jemanden überfallen und totschlagen ist gegen das Gesetz, bemerkte der andere vom Tisch her. Ich habe eine schwangere Frau daheim, erklärte der Junge. Wir haben gerade geheiratet. Sie ist im sechsten Monat. So? Der Ältere sah ihn an. Schwanger von mir oder von meinem Kollegen? Ist sie denn gut im Bett? Ha, hast du gehört? Fickt sie gut? Der Junge sprang auf und schlug dem Älteren mit der Faust