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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT Diese Gemeinschaft wird nun immer fester und intensiver. Sie ist es, die Adornos Arbeit beflügelt. Das sticht umso mehr ins Auge, als kurze Zeit davor - zwischen März 1933 und November 1934 — der Kontakt ganz abgerissen war. Adorno hatte damals, die politische Lage völlig verkennend, einige unglückliche Versuche unternommen, als Musikkritiker und -lehrer im Dritten Reich zu überwintern. Durch den Kontakt, den sein Vater seit Herbst 1933 nach Oxford knüpfen konnte, gewann er aber bald eine andere Perspektive, und die im englischen Exil schließlich wiederaufgenommene Verbindung zum längst emigrierten Institut für Sozialforschung konnte zur Grundlage für sein ganzes weiteres Werk werden. In halb ironischen Formulierungen bringt es Adorno selbst immer wieder zum Ausdruck: „wie ein Hirsch nach Wasser“, so schreie seine Seele nach den Gesprächen mit Horkheimer; und es werde nunmehr „ein alter Wunsch“ von ihm erfüllt: der „des Kafkaschen Landvermessers. Und wie froh bin ich, daß das Institut nicht das Schloß ist.“ MI. Adornos Verhältnis zum Institut erinnert wirklich eher an den Helden des bürgerlichen Bildungsromans, an das Verhältnis Wilhelm Meisters etwa zur Turmgesellschaft. Das bürgerliche Ich, das Adorno zur selben Zeit theoretisch in Frage stellt und doch gegenüber dem repressiven Kollektiv verteidigt, erhält Gelegenheit, sich praktisch zu bewähren (auch die zur selben Zeit geregelte Beziehung zu Gretel Karplus mitsamt der traditionellen Arbeitsteilung der Geschlechter gehört zu seiner Konsolidierung): Das Vertrauen, das ihm Horkheimer entgegenbringt, erlaubt es Adorno, in die Institution selbst umsichtig einzugreifen, Entscheidungen zu beeinflussen oder herbeizuführen. Erfolgreich gelingt es dem jungen Mitarbeiter, den Einfluß anderer Aspiranten, die damals um die Gunst Horkheimers konkurrierten, zurückzudrängen. Das Urteil über Herbert Marcuse ist zunächst ganz inadäquat (‚den ich schließlich für einen durch Judentum verhinderten Faszisten halte; denn weder konnte er sich über Herrn Heidegger Illusionen machen, dem er laut dem Vorwort des Hegelbuches alles zu verdanken hat, noch etwa über seinen Verleger, Herrn Klostermann aus dem Tatkreis‘‘) — wird bald viel moderater (Adorno kritisiert mit guten Gründen Marcuses klassizistischen Kunstbegriff, der modernen Kunstwerken nicht gerecht werde) und sucht letztlich einen Ausgleich der Interessen herzustellen; auch bei Löwenthal und Fromm geht es Adorno nicht um Exklusion, sondern um eine Verschiebung der Machtverhältnisse — natürlich zu seinen Gunsten. Dabei setzt er sich aber gerade für die am meisten Gefährdeten und am Rande des Existenzminimums Lebenden ein — Benjamin, Sohn-Rethel, auch Kracauer -, immer danach tastend, wie weit er beim Institutsdirektor Horkheimer in seinem Engagement für diese Outsider gehen kann; beflissen hält er ihm gegenüber das Realitätsprinzip hoch: „Mein Bestreben, fortgeschrittene Intellektuelle heranzuziehen, soll ja schließlich das Institut nicht in ein Narrenhaus verwandeln.‘ Adorno setzt sich mit Erfolg für Benjamin ein, ermöglicht ihm über Jahre geistigen Zusammenhang und finanzielle Unterstützung. Alle diesbezüglich (auch von Hannah Arendt) in die Welt gesetzten Gerüchte, Benjamin wäre vom Institut gewissermaßen erpreßt und finanziell ausgehungert worden, sind durch den Briefwechsel endgültig abgetan. Freilich verfolgt Adorno — wie er offen ausspricht — durch die engere Bindung des Freundes ans Institut wiederum das Interesse, den Einfluß zurückdrängen, den Brecht auf Benjamin ausübt - jene von ihm beklagte „allgemeine magnetische Ablenkung“ der Benjaminschen Arbeiten „durch diesen ‚Wilden’“. In der Verteidigung der „genialischen Intention“ Sohn-Rethels gegenüber Horkheimers ausgeprägte Zweifel kommen Adornos eigene Intentionen zur Sprache, die während seiner großen erkenntniskritischen Oxforder Arbeit über Husserl aufgetaucht waren: nämlich „die Kantische Deduktion der Kategorien aus der Warenform und ihrer Dialektik abzuleiten“. In diesem Fall jedoch wirbt Adorno vergeblich: Horkheimer bleibt bei seiner ablehnenden Haltung: es fehle Sohn-Rethel der „vom Haß geschärfte Blick auf das Bestehende“; nirgends werde „die eigentümliche Ironie der Marxschen Kategorien wirksam“. Es ist keine Frage, daß die kontinuierliche Beziehung zum Institut, theoretische Konflikte ja nicht ausschließend, Sohn-Rethel eine bessere Entwicklung seiner Gedanken ermöglicht hätte — wie es gerade bei Benjamin zu sehen ist, der sich im übrigen von seiner intensiven Auseinandersetzung mit dem „Wilden“ mitnichten abbringen ließ. Bemerkenswert an den Aktionen Adornos ist eben, daß es keine bloßen Intrigen sind. Es geht stets um mehr als Machtpositionen. Oder genauer gesagt: Weder Adorno noch Horkheimer zeigen sich bereit, den personalpolitischen Kämpfen um Anerkennung die wesentlichen und notwendigen inhaltlichen Kontroversen, ohne die Erkenntnisse nicht möglich sind, zu opfern. Die Kritik, die Adorno hier an Fromm, Marcuse oder Löwenthal übt, ist fast immer essentiell, und es finden sich dabei in bemerkenswert prägnanten Formulierungen bereits die entscheidenden Motive seiner späteren großen Arbeiten zur Soziologie und Psychoanalyse, zur Heidegger- und Positivismus-Kritik, zu Musik und Literatur angeschlagen. Wie überhaupt die Kontinuität in Adornos Denken etwas Erstaunliches ist: eine einzige Entfaltung, die allerdings darin besteht, immer neue Widersprüche zu den ursprünglichen Intentionen in sich aufzunehmen - und dafür bereitete das Institut den Boden. So entdeckt man in den Briefen bereits seinen Begriff der Revolution: Sie „soll die Angst abschaffen und die Barbarei, und wir brauchen uns vor ihr nicht zu fürchten sondern zu fürchten ist das Bestehende“. In allem aber wird deutlich, daß die Erkenntnisse, die Adorno später ausgearbeitet hat, auf die unmittelbare Konfrontation mit der nationalsozialistischen Barbarei zurückgehen. Die totale Ausrichtung auf die Vernichtung, die er hier wahrnimmt, schlägt sich sofort in der Kritik Richard Wagners und Martin Heideggers nieder: an jenem kritisiert er „die Inhaltslosigkeit‘“ des „Erlösungsbegriffes, der in Wahrheit nichts anderes ist als die Vernichtung“; an diesem das Sein zum Tod, mit dem „die (‚ontische’) Vernichtung des Daseinenden ... zum (‚ontologischen’) Sinn des Daseins verklärt‘“ wird (so Adorno und Horkheimer in ihrem, dem Briefwechsel beigefügten Gutachten über die Dissertation von Dolf Sternberger, die übrigens den ersten großangelegten Versuch einer Heidegger-Kritik darstellt). IV. Es handelte sich bei diesem Institut des Exils um ein durchaus einzigartiges Gebilde. Das Gegenteil dessen, was Horkheimer zur selben Zeit als paradigmatische Form politischer Macht in der Gegenwart analysiert: das Racket. „Die völlige Brechung der Persönlichkeit wird verlangt, absolut bündige Garantien der künftigen Zuverlässigkeit. Das Individuum muß sich aller Macht begeben, die Brücken hinter sich abbrechen. Als der echte Levia31