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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT ten wollten. Offenbar war Urbancic bei Ragnar Jonsson in der Zwischenzeit in Ungnade gefallen. Das Symphonieorchester hatte damals einen Dirigenten aus dem Ausland, den Norweger Olaf Kielland, zum Chefdirigenten bestellt. Anhand dieser Bestellung (und der fiir Kielland giinstigen Arbeitsbedingungen), kommt Urbancic auf die schwierigen Arbeitsbedingungen zu sprechen, denen er sich jahrelang ohne Murren unterworfen hatte: Wenn ihm [d.i. Kielland, Anm. d. V.] die gleichen Arbeitsbedingungen geboten würden wie mir, hätte er sicher auf den Tisch gehauen. [... ] Ich habe nicht auf den Tisch gehauen. Ich glaubte das, was mir gesagt worden war, daß Island ein armes Land sei, die Musikgesellschaft ein armer Verein, der sich nicht die Kulturfreuden leisten könne, die sich andere Nationen zukommen lassen können. Aber ich war entschlossen, dem isländischen Musikleben all meine Kräfte zu widmen, ich kam müde und erschöpft nach vielen Unterrichtsstunden abends zu den Orchesterproben, fand mich damit ab, viel weniger Proben zu haben als mir nötig erschien, machte alle Stimmproben ohne Assistenz, um zu sparen, verbrachte monatelang alle freien Abende damit, den isländischen Text in die Chorstimmen der Johannespassion anzugleichen, schrieb alle Orchesterstimmen von zwei Chopinkonzerten, alle Stimmen von zwei Operetten selbst — und nach der 75. Aufführung von ,Nitoche’ bedurfte ich des Rechtsbeistandes unseres Freundes Olafur Pörgrimsson, um auf die Bestimmung zu drängen, daß mir zumindest der gleiche Lohn bezahlt wird, den jeder Instrumentalist pro Abend bekommt, aber da hatte ich bereits monatelang geprobt, bevor das Orchester die Arbeit aufnahm. [...] Während ich dies schreibe, wird mir erstmals völlig klar, in welchem Maße meine Unzufriedenheit daher herrührt, daß man mich nicht das tun ließ, was ich unbedingt tun wollte. Was ich auch arbeiten wollte, war alles unwillkommen oder sollte am besten nicht darüber gesprochen werden, Ihr wart sogar verärgert über meine Vorschläge.” 1950 wurde das Symphonieorchester Island gegründet sowie das Nationaltheater eingeweiht. Urbancic hatte schon in den 38 Jahren zuvor die Aufführungen von Operetten auf der Insel dirigiert, so Heinrich Bertes Dreimäderlhaus nach Melodien von Franz Schubert (1939), Lehars Land des Lächelns (1940) und Herves Nitouche (1941) sowie bei mehreren Stücken der Theatergesellschaft Reykjavik die Schauspielmusik geleitet. Auch bei Rigoletto (1951) von Verdi, der ersten Opernaufführung im neuen Nationaltheater, die bis auf die österreichische Sopranistin Else Mühl ausschließlich mit isländischen Sängern besetzt war, führte Urbancic den Taktstock. Im Jahr 1952 wurde Urbancic mit der Komposition zur Bühnenmusik des Theaterstücks Tyrka-Gudda von Jakob Jönsson beauftragt. Ursprünglich hätte Päll Isölfsson die Musik zu dem Stück schreiben sollen. Urbancic’ Musik wurde heftig kritisiert, als Konsequenz eines darauffolgenden Streits wurde Jön Pörarinsson als Musikkonsulent des Nationaltheaters entlassen.” An diesem Vorfall kann man ersehen, wie klein und überschaubar die isländische Musikszene der damaligen Zeit war, so daß sich bei Schwierigkeiten immer wieder dieselben Konfliktpartner gegenüberstanden. Im Februar 1953 wurde Urbancic vom Intendanten des Nationaltheaters Guödlaugur Rösinkranz für fünf Monate als Chorund Orchesterleiter engagiert, worauf es zu heftigen Disputen in den Zeitungen kam und sogar vom „Musikkrieg im Nationaltheater‘“ zu lesen war. Wieder war es Ragnar Jonsson, der Urbancic die Kompetenz zur Leitung des Orchesters absprach und sich sogar verstieg, dessen Engagement mit dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour zu vergleichen. Geradezu feindselig schrieb Ragnar Jönsson im Morgunblaöid, der größten Tageszeitung Islands: Dr. Urbancic wird der Ausländer sein, der hierher vor dem seligen Hitler flüchtete, den dieses gastfreundliche Volk am weichsten auf Händen getragen hat, und dies gilt ganz besonders für seine Kollegen hier, die isländischen Musiker. Er selbst jedoch hat schon lange die Eigenart, die hier im Norden bei ernsthaften Leuten wenig Mitgefühl genießt, mit großem Eifer selbst seine Vortrefflichkeit kundzutun, privat und in der Öffentlichkeit.” In Wirklichkeit ging es bei dem Konflikt nicht nur um die Person Dr. Urbancic sondern auch um einen Macht- und Finanzkampf zwischen der Musikgesellschaft (die gleichsam das Symphonieorchester managte) und dem Nationaltheater. Nach der Kündigung von Pörarinsson hatte die Musikgesellschaft dort nämlich keinen Einfluß mehr. Urbaneic arbeitete bis zu seinem frühen Tod weiter als musikalischer Leiter am Nationaltheater und dirigierte bis 1958 ingesamt dreißig Stücke: Opern, Operetten und Schauspielmusiken, unter ihnen Verdis La Traviata (1953), Puccinis Tosca (1957), Strauß’ Fledermaus (1952) und Mozarts Zauberflöte (1956/57), aber auch Bühnenmusiken isländischer Komponisten. Mehrmals stand Urbancic auch bei großen Orchesterkonzerten am Pult des Symphonieorchesters.