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In Reportagen und Artikeln über Flinkers legendär gewordene Pariser Buchhandlung' wurde häufig die Kontinuität in seinem Engagement für deutschsprachige Literatur hervorgestrichen. Trotz siebenjähriger kriegsbedingter Unterbrechung war seine Treue zum 1920 gewählten Beruf in der Tat beeindruckend. Die Wiederaufnahme seiner Buchhändlertätigkeit im Nachkriegsfrankreich, nach einem kurz erwägten und rasch wieder verworfenen Rückkehrplan nach Österreich, stand Flinker jedoch keineswegs sofort als klares Ziel vor Augen. Dem Aufbau eines neuen Geschäftes gingen lange Zweifel, quälende Sorgen und Entmutigung voraus, wie man Briefen im Nachlass einer Schicksalsgenossin Flinkers entnehmen kann. Die Wiener Journalistin und Schriftstellerin Alice Penkala (1902-1988) war so wie Flinker 1939 in Tanger gestrandet. Und obwohl dieser begehrte Ort - man benötigte kein Visum — nicht allzu viele deutsche und österreichische Flüchtlinge beherbergte, hatten Penkala und Flinker zu beider Bedauern sich dort erst kurz vor Kriegsende kennengelernt. Flinker kehrte im Jänner 1946 nach Europa zurück, während Penkala erst Ende Februar nach Frankreich aufbrechen konnte. Vor und nach diesem Ortswechsel entspann sich eine lebhafte Korrespondenz, die von den existenziellen aber auch psychologischen Schwierigkeiten der Rückkehrer Zeugnis ablegt. Flinkers Situation war damals vielleicht von beiden die tragischere. Er hatte im August 1945 vom Tod seiner Frau in Theresienstadt erfahren. Sein Sohn lebte zwar in seiner Nähe, begann sich aber offensichtlich von ihm zu lösen. In schäbigen Hotelzimmern hausend, schlug er sich mit Lateinstunden durch. Hingegen hatte Alice Penkala nach dem Tod ihres österreichischen Mannes in Tanger wieder geheiratet. Der offiziell zwar staatenlose, in Wirklichkeit aber in Frankreich verwurzelte Stany Penkala gab ihr neuen Halt. Mit ihm begann sie tatkräftig, ein neues Leben aufzubauen. In Herkunft und Vorkriegsleben gab es zwischen Flinker und Penkala zahlreiche Parallelen. Ihre Väter waren Ärzte, beide hatten Jura studiert. Martin Flinker, in Cernowitz geboren, aber in Wien aufgewachsen, wollte zuerst ebenfalls die Medizinerlaufbahn einschlagen, dieses Studium wurde allerdings vom Ersten Weltkrieg unterbrochen. Nach dem Rechtsstudium trat er in eine Bank ein. Schon ab 1920 arbeitete er jedoch in einer renommierten Buchhandlung (Hugo Heller, am Bauernmarkt), wo er u.a. die Herstellung der Almanache übernahm und zum ersten Mal Thomas Mann begegnete. Sein heiß geliebtes neues Metier betrachtete er nicht als Beruf sondern als Berufung. 1922 trat er zum Protestantismus über und heiratete Franziska Ippen, Tochter einer zum Katholizismus konvertierten großbürgerlichen Familie. 1929 war er bereits Geschäftsführer. Im selben Jahr eröffnete Martin Flinker ein eigenes Geschäft. Die reaktionär und antisemitisch eingestellte Standesvertretung der Buchhändler machte ihm dabei kräftig Schwierigkeiten. Nichtsdestotrotz wurde Flinkers Adresse bald zur literarischen Drehscheibe; Stefan Zweig, Joseph Roth, Annette Kolb, Elias Canetti, Musil, Schnitzler, Werfel, Broch gingen dort ein und aus. Auch Alice Penkala, damals noch Rosa Alice Krausz, hatte nach dem Rechtspraktikum radikal den Beruf gewechselt, sich 42 mit Haut und Haaren dem Journalismus verschrieben und 1933 eine eigene Gerichtssaalagentur gegründet. Flinker und Penkala mußten 1938 ihre Unternehmen schlagartig verlassen und abgeben. Penkala übertrug ihre Anteile ihrem Kompagnon; Flinker wollte seinem 20jährigen Angestellten die Buchhandlung weit unter ihrem Wert verkaufen. Die Transaktion wurde jedoch abgelehnt, im Oktober 1939 wurden die Räume konfisziert, inzwischen waren sie leer. Schon vorher, Ende Juni 1938, hatte Martin Flinker mit seinem 14jährigen Sohn das Land verlassen und seine wertvolle private Bilder- und Büchersammlung zurückgelassen.’ Seine Frau, die zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ bei ihrer Familie in Mähren weilte, kehrte aus Sicherheitsgründen nicht nach Wien zurück und konnte Mann und Sohn nicht nach Frankreich folgen. Flinker erreichte zuerst Zürich per Flugzeug und reiste Anfang Juli nach Paris weiter. Mit Nachhilfeunterricht und dem Verkauf von Briefmarken hielt er sich über Wasser, während sein Sohn die Schule besuchte. Im Sommer 1939 verließen beide die französische Hauptstadt in Richtung Caen, wo Martin Flinker interniert wurde. Karl konnte unter dem Schutz eines französischen Offiziers in Limoges als Übersetzer bei der Zensurstelle arbeiten. Nach seiner Entlassung fuhr Martin Flinker mit seinem Sohn in den Süden. Inzwischen waren die Straßen Frankreichs von Menschen, Tieren und Wagen verstopft, die vor den anrückenden Deutschen flüchteten. Die Flinkers gelangten über Bordeaux nach Spanien und erreichten Tanger. Die Stadt mit dem internationalen Statut blieb ihr Aufenthaltsort während des ganzen Krieges. Karl legte dort die Matura ab. Sein Vater lebte von Übersetzungen und Privatstunden. Penkalas Exil hatte sie 1939 zuerst über Hamburg mit der „Cap Norte“ nach Südamerika geführt. Da die Behörden mehrerer südamerikaischer Häfen die Einreise verweigerten, mußte sie nach Europa zurückkehren. Nach einem kurzen Aufenthalt in Paris trat sie den Weg nach Tanger an. Sie schlug sich dort mit verschiedenen Jobs durchs Leben, u.a. als Kartenleserin und Köchin. Sie begann wieder zu schreiben und hatte 1946 einen fertigen Roman im Gepäck, der allerdings nie erscheinen sollte. Es ist naheliegend, daß Flinker mit Alice Penkala trotz der nervenaufreibenden Mühen des Exil-Alltags literarischen Austausch pflegte. Schon vom Juli 1945 liegt ein Brief von Penkala an ihn vor. Sie sandte ihm „Die Schwalbe“, eine von ihr verfaßte Geschichte: Lieber Herr Flinker, diese ist eine der kleinen Geschichten, die später einmal, bis es bei uns wieder Bücher geben wird, in einem Band, der „Heimweh nach Vineta“ heissen wird, erscheinen soll. Wenn sie Ihnen nicht mißfällt und wenn Sie es erlauben, werde ich sie Ihnen widmen. Sie sind nicht der Vater in der Geschichte, aber Sie sind Wiener und Sie wissen, wie man sich einer Schwalbe gegenüber zu benehmen hat und Sie haben versucht, eine Schwalbe zu retten und außerdem gibt es noch immer das, was man „licencia poetica“ nennt, was ich früher einmal mit „Renommierkonzession“ übersetzte und wofür die korrekte Übersetzung vielleicht doch nicht „dichterische Freiheit“, sondern „das Recht, zu schaffen, wie man will“ ist.