OCR
Alle vier waren einander zeitlebens nahe, wenn auch der Kontakt nicht immer gleich intensiv war. Wer war diese Familie Janowitz aus Podébrad unweit von Prag, wie und wann kam es zur Verbindung mit Karl Kraus, was waren ihm die Brüder? Zeugnis dafür sind ihre Briefe an Kraus aus der Zeit ab 1910/11 bis zu seinem Tod.' Sie sind ein Zeitgemälde des Ersten Weltkrieges, zeigen die Stimmung an der Front und der Kriegsteilnehmer und enthalten Berichte über den Tod von Franz. In der späteren Zeit bieten sie Hans’ Eindrücke aus dem Berlin der 1920er Jahre. Die Briefe Ottos aber sind die einzige Quelle für dessen Zusammenarbeit mit Kraus: Ottos Tätigkeit als Klavierbegleiter, Arrangeur und Komponist war von unerhörter Bedeutung für Kraus, für seine Vorlesungstätigkeit — Nestroy wie Offenbach — und seine Werke. Am meisten hat sich die Sekundärliteratur mit dem Dichter Franz Janowitz beschäftigt.” Hans Janowitz findet zwar Erwähnung in diversen Filmlexika und Filmgeschichten’, sein Roman „Jazz“ wurde 1999 vom Weidle Verlag, Bonn, abermals verlegt und mit einem Nachwort von Rolf Rieß versehen (Erstauflage 1927, Berlin), aber eine entsprechende Sekundärliteratur fehlt, ebenso bei Otto’. Die Beziehung zu Karl Kraus hat Franz, der jüngste der Brüder, 1910/11 anläßlich zweier Kraus Vorlesungen in Prag (Vorlesung 12.12. 1910: Chinesische Mauer; Vorlesung Frühjahr 1911: Heine und die Folgen), die er mit seinem Schulkollegen Willi Haas ausgerichtet hat, aufgebaut. Die freundschaftliche Bindung war von Seiten Kraus’ von vornherein sehr herzlich, auch erkannte er das literarische Genie dieses Primaners. Die Geschwister Janowitz (Otto, der älteste 1888-1965, Hans, 1890-1954, Franz, 1892-1917 und die viel geliebte Schwester Ella, geb.1891, über deren späteres Leben man nichts weiß) stammten aus Pod&brad, einer Kleinstadt an der Elbe östlich von Prag und verlebten in diesem „Märchenland der Wälder und Wiesen“ eine ungetrübte, wohlbehütete Kindheit. Die Familie des Vaters, Gustav Janowitz (1848 ? — 1923), war in Brandeis an der Elbe beheimatet und betrieb dort eine Gutswirtschaft und eine Olmiihle. Gustav studierte am Konservatorium in Prag Klavier und war in jungen Jahren ein anerkannter Konzertpianist, spater Forderer vieler junger Talente, u.a. Gustav Mahlers’. Nach seiner schweren Erkrankung an Tuberkulose zog er sich vom Konzertbetrieb zurück, ließ sich in Podébrad nieder, arbeitete in der Landwirtschaft und baute — als Filialbetrieb zum vaterlichen Unternehmen - eine eigene Ölmühle auf. Mit 38 Jahren heiratete er eine Advokatentochter aus Roth-Janowitz, einer Kleinstadt in Westböhmen. Gustav Janowitz ließ allen seinen Kindern eine intensive musikalische Ausbildung angedeihen, die Mutter‘ war sehr belesen und literarisch gebildet und sorgte für eine große Bibliothek in Pod£brad. Die literarische Bildung ihrer Kinder war ihr ein wichtiges Anliegen. Die Erziehung der Kinder lag bis zu deren zehntem Lebensjahr in der Hand einer deutschen Gouvernante aus Dresden, später in den Händen von Hauslehrern. Erst in der Oberstufe besuchten die Söhne das deutsche Gymnasium in Prag-Neustadt/Graben, wo sie auch ma46 turierten. Für Hans und Franz ergaben sich wichtige literarische Kontakte, wie z.B. mit Willi Haas, Franz Werfel, Max Brod, Paul Kornfeld, Ernst Popper, Ernst Pollak und Otto Ernst Deutsch, wobei auch der Schüler- und Studententreffpunkt, das Cafe Arco, ein nachmals berühmtes Literaturcafe in der Nähe des Wenzelplatzes, eine Rolle spielte. Die Janowitz waren von beiden Eltern her eine jüdische Familie, in der deutsch gesprochen wurde; die Kinder wurden doppelsprachig deutsch-tschechisch erzogen (so übersetzte Franz für Kraus tschechische Zeitungsartikel). Die religiöse Erziehung der Kinder war eher liberal, neigte doch der Vater zum Freidenkertum. Die Familienbeziehungen waren sehr eng, was sich aus den Briefen an Kraus deutlich zeigt. Auf Wunsch des Vaters hatten alle drei Söhne etwas „Vernünftiges“ zu studieren, so Otto Rechtswissenschaften in Wien, Hans sollte den Getreidehandel in München erlernen, studierte dort auch Geschichte und Soziologie, und Franz Chemie in Leipzig — zwecks Übernahme der väterlichen Ölmühle. Den ersten erhaltenen Brief an Karl Kraus schrieb Otto (WStLB IN 145.470). Am 28.4. 1910 schickt er ihm die Abschrift eines Gedichtes von Grillparzer und schreibt dazu: Wenn es mir gelingt, Ihnen mit dieser Mitteilung eine kleine Freude zu bereiten, ist ihr Zweck erreicht. Sie ist die bescheidene Bestätigung der wärmsten Dankbarkeit Eines, dem Ihr Wirken ein reiches, stets sich mehrendes Geschenk bedeutet. Hochachtungsvoll Otto Janowitz, Universittitshérer Der friiheste Brief von Franz an Kraus stammt aus Prag vom 28.3. 1911 (WStLB IN 162.459), in dem er von der Ubersetzung einiger Artikel aus dem Tschechischen und von Vorlesungsankiindigungen in Prager Zeitungen berichtete. Engeren Kontakt zeigen auch die folgenden Briefe an Kraus, die sein Engagement fiir weitere Vorlesungen Kraus’ in Prag zum Ausdruck bringen (3. Prager Vorlesung am 22.3. 1912: Ausschnitte aus Shakespeares „Timon von Athen“, Texte von Jean Paul und eigene Schriften; 4. Prager Vorlesung am 6.1. 1913: Nestroys „Die beiden Nachtwandler“ und eigene Schriften), und daß Franz bei seinen Wienbesuchen auch im persönlichen Kontakt mit Kraus und dessen Freundeskreis stand. So machte Franz sich Sorgen, daß er sich bei Adolf Loos beim letzten Zusammentreffen nicht ordentlich verabschiedet hätte und bat Kraus, ihn zu entschuldigen (WStLB IN 162.458, 162.459). Der erste in der Handschriftensammlung der WStLB erhaltene Brief von Hans an Kraus stammt vom 2.6. 1912 (IN 145.505): Hans hatte 1910/11 sein Jahr als Einjährigfreiwilliger in Salzburg absolviert und berichtete davon. Neben Anmerkungen zu einem mitgesandten Zeitungsartikel heißt es da: Etwas Merkwürdiges übrigens: ich fand Offiziere, bei denen die Nennung Ihres Namens gelungenerweise eine automatische Vorstellung von Staatsgefahr und Anarchismus auslöst. Ab dieser Zeit blieb es über den brieflichen Kontakt aller drei bei einer freundschaftlichen Verbundenheit, wobei Ottos und Franz’ Beziehungen zu Kraus am engsten waren. Otto Janowitz studierte ab dem Wintersemester 1907/08 an der Juridischen Fakultät der Universität Wien und promovier