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Freund! Diesen Anruf gestattet sich der Vater der Söhne, die Ihre Freunde sind [...]“ Er bat inn mitzuhelfen, Otto aus dem Frontdienst herauszunehmen, wenn Ottos übermäßiger Pflichteifer es gestatten wird, will ich versuchen, ihn aus der Hölle der Kriegsfurie abzulenken und auf eine ruhigere Bahn dieser schändlichen Sklaverei zu bringen. Anbei die Kopie der Hiobsbotschaft, eingelangt am 13.11. vom Diener unseres unvergeßlichen Franz. „K.k. Feldspital 1301, Unter-Breth, am 6.11. 1917 Hochgeehrter Herr! Erlaube mir mit zitternder Hand mitzuteilen, daß mein Herr Leutnant Janowitz den 4. November seinen Wunden erlag. Mir wurde trotz meines Bittens nicht erlaubt, mit seinen Sachen zu Euch zu kommen. Hab wohl viel Tränen vergossen für den Herrn. Ehre seinem Andenken. Mein inniges Beileid. Gott hat es gewollt. Ich komme wieder zur Kompanie. Sein treuer Diener Josef Greunz“ Dem Brief des Vaters liegt in der Handschriftensammlung der WStLB unter der Signatur IN 167.545 ein späterer, ausführlicherer Brief von Josef Greunz vom 12.12. 1917 bei, den Karl Kraus in der Fackel Nr. 474-483 vom Mai 1918, S. 71, abgedruckt hat. Aus den Briefen der Brüder an Kraus unmittelbar nach der Nachricht von Franz’ Verwundung, läßt sich zunächst die Hoffnung auf seine Genesung und dann das lähmende Entsetzen über seinen Tod herauslesen. So heißt es auf einer Feldpostkarte von Hans an Kraus vom 6.11. 1917 (WStLB IN 145.518), er hätte von Franz eben eine Karte vom 29.10. 1917 erhalten, auf der er schrieb, daß er vor fünf Tagen verwundet worden war und gegenwärtig außer Gefahr wäre. Die Ärzte wären mit seinem Befinden sehr zufrieden und er müßte es auch sein. Otto teilte in einer Feldpostkarte vom 19.11. (WStLB IN 145.482) Kraus den Tod von Franz mit. In einer weiteren vom 21.11. (WStLB IN 145.484) berichtete er Kraus, wie man mit ihm in seinem Kommando umgegangen ware. Urlaub wurde mir verweigert — wie lieblos es dabei zuging, wie ohne Verständnis und ohne Schonung, das hoffe ich Ihnen noch einmal erzählen zu können, ich kann also nicht einmal meine Eltern besuchen, die mich — mit Recht - in stündlicher Gefahr vermuten. In einem Brief vom 8.12. 1917 (WStLB IN 145.483) wurde Otto deutlicher: Sehr geehrter Herr Kraus! Verstehen Sie, daß man lieblos behandelt werden kann, wenn man die Trauer um Franz im Herzen trägt? Der auch nach rein militärischen Begriffen selbstverständliche und sofort zu gewährende Urlaub wurde mir bis heute vorenthalten und ich hatte von dem maßgebenden Offizier einen Regen böser Bemerkungen auszuhalten, über meine geringe Frontdienstleistung U.S.W. U.S.W., ein paar gänzlich unberechtigte Vorwürfe dazu — schon der Ekel an diesem Zusammenstoßen von Helligkeit und Haß, von Zeit und Ewigkeit, von Staat und Seele müßte mich hindern, meine Bitte zu verstärken, noch zu rechtfertigen, geschweige denn das teure Andenken zu beflecken, indem ich ihm darstellte, wer Franz war. Man verstummt. Wem konnte ich es hier überhaupt sagen? Zweien oder vieren, die Ihre Leser sind. Ich mußte acht Tage in der ersten Stellung verbringen, Heldentode mitansehen und einem solchen ausgesetzt sein und immer noch warte ich auf das „Herabgelangen“ der Entscheidung von jener Höhe, wo die Thräne für eine Wirkung von Gasangriffen oder Roda-Roda Witzen gehalten wird, der Tod für eine Alltäglichkeit, die ewige Scherereien macht, die Andacht für das, was man bei der Feldmesse zu heucheln hat. Die Vorlesung am 18.11. 1917 im kleinen Konzerthaussaal, halb drei Uhr, begann Karl Kraus mit „In memoriam Franz Janowitz‘ (abgedruckt in Fackel Nr. 474-483, Mai 1918, S. 69ff.), bezog diese Würdigung des Dichters und Freundes auch auf Franz Grüner und die unzählig anderen Opfer und legte ihr folgende Gedanken zugrunde: Hätte die Staatsweisheit dieser Welt nur soviel Vorstellungsvermögen gehabt, zu erkennen, daß die Erhaltung des wertvollsten Menschengutes wichtiger sei als die Bereithaltung des Menschenmaterials, sie wäre andere Wege gewandelt. (Fackel Nr. 474-483, S. 88) Ein weiteres Gedenken folgte in Fackel Nr. 484-498 vom Oktober 1918, S. 115-126: „Meinem Franz Janowitz‘“'”: Meinem Franz Janowitz (getötet am 4. November 1917) Ein Landsknecht Du? Vier Jahre deines Seins hast du dein frühlingshaftes Herz getragen durch Blut und Kot und alle Pein und Plagen und wurdest der Millionen Opfer eins? Und durftest, was du mußtest, uns nicht sagen und fühltest Vogelsang des grünen Rains und lebtest stumm am Rande dieses Scheins und fromm genug, um ferner nicht zu fragen. Und da dein Herz erstickt in Kot, das Mitgefühl der Zeit mußt du entbehren. Ein treuer Bursch nur stand bei deinem Tod. Doch seine Thränen wird die Welt vermehren, färbt einst nicht Blut mehr, färbt die Scham sie rot. Bis dahin mag sie ihre Henker ehren! (Aus: Karl Kraus, Schriften Bd. 9, Frankfurt am Main 1989, S. 177) Und Hans’ Resignation (Brief an Kraus vom 17. April 1918, in: WSItLB IN 145.487): Meines Wissens ist außer Ihnen kein gedrucktes Wort der Klage um Franz erschienen. Wenn die Welt sich einmal würdig benimmt, geschieht es aus Ahnungslosigkeit. Was wird aber geschehen, wenn sein Buch erscheint?! Die Antwort hätte durchaus lauten können: nichts! Denn die Bemühungen von Kraus und Otto, Franz Janowitz durch sein Werk als bedeutenden Dichter des Expressionismus —- einem Georg Trakl durchaus ebenbürtig — einen Platz in der deutschsprachigen Literatur zu verschaffen, haben wenig gefruchtet. Kraus wollte jene Gedichte, die Franz seit 1912 noch selbst für eine Herausgabe im Kurt Wolff Verlag München vorbereitet hatte, möglichst bald veröffentlicht wissen. In seiner Gedenkrede für Franz in der Vorlesung am 18.11. 1917 (Fackel Nr. 474-483, Mai 1918, S. 10) erwähnte er die bereits 1913 in einer Anthologie erschienenen Gedichte und die nun geplante Veröffentlichung der Selbstauswahl von Franz. Aber erst 1919 konnte Kraus dieses schmale Bändchen „Auf der Erde“ (51 Gedichte) mit einer Einleitung im Wolff Verlag herausbringen. Drei Mal hat Kraus auf der Rückseite der Fackel dafür geworben (Fackel Nr. 544/45, 546-550, 551 Juni, Juli, August 1920). Am bemühtesten, auch in den folgenden Jahren, um den Nachlaß des Bruders und dessen Herausgabe war Otto. So kündigte er schon in einer Feldpostkarte vom 25.1. 1918 (WStLB 49