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zweiten Exil in Montevideo. in die Sowjetische Besatzungszone übersiedeln, weil er dort ein neues sozialistisches, antifaschistisches Deutschland im Entstehen sah. Doch er erhielt kein Visum bei der zuständigen sowjetischen Botschaft in Montevideo. Daraufhin entschied er, in Uruguay zu bleiben, heiratete und wurde - trotz einiger ideologischer Bedenken — Mitglied der Kommunistischen Partei. Seine gewerkschaftliche und politische Tätigkeit machten ihn nach dem Militärputsch im Jahre 1973 zu einer gefährdeten Person. Er wurde nach dem Staatsstreich in der Tat verhaftet, nach einigen Wochen aber wieder auf freien Fuß gesetzt (sein Sohn Peter war während der Diktatur sechs Jahre in Uruguay im Gefängnis). Im November 1978 starb seine Frau Coca. Trotz der Repression während der Militärdiktatur, die jede oppositionelle politische oder gewerkschaftliche Aktivität zu einem persönlichen Risiko machte, arbeitete Ernesto Kroch weiter in der illegalen Metallarbeitergewerkschaft, die ihre Aktivitäten klandestin betreiben musste. Als seine Kontaktperson zur Gewerkschaftsführung verhaftet wurde und ihm dadurch ebenfalls die Festnahme drohte, floh er im Januar 1980 über Brasilien in die Bundesrepublik Deutschland. Obwohl er sich in Frankfurt am Main gut einlebte, war für ihn klar, dass er nach Uruguay zurückkehren würde, sobald dies möglich sei. Im Dezember 1985 — nach Ende der Militärdiktatur — zog er mit seiner Lebensgefährtin Eva Weil wieder nach Montevideo. Eva Weil war ebenfalls in den dreißiger Jahren mit ihren jüdischen Eltern aus Montevideo geflohen. Weil ihr die ganze Stimmung während der Diktatur missfiel, war sie — obwohl nicht unmittelbar bedroht — Anfang der siebziger Jahre nach Deutschland gezogen. Dort hatte sie sich bei amnesty international engagiert, u.a. auch für Ernestos Sohn Peter. Darüber lernten die beiden sich näher kennen. Obwohl Ernesto Kroch bei seiner Rückkehr nach Uruguay bereits 68 Jahre alt war, nahm er seine Arbeit in der Fabrik für Dampfkessel wieder auf. Und natürlich auch seine politischen Aktivitäten in der Gewerkschaft, dem Linksbündnis Frente Amplio (aus der Kommunistischen Partei war er wegen deren orthodoxer Haltung ausgetreten) und im Bertolt-Brecht-Haus. Das war ein von der DDR unterstütztes Kulturinstitut, das aber als uruguayischer Verein funktionierte. Nach dem Ende der DDR entschieden die Vorstandsmitglieder des Bertolt-Brecht-Hauses, das Projekt als unabhängiges Kulturzentrum weiter zu führen. Hier kann man heute immer noch Deutsch lernen, und es finErnesto Kroch vor dem KZ Lichtenburg, wo er 1936/37 inhaftiert war. den regelmäßig Seminare und Veranstaltungen statt, häufig zu ökologischen Themen, Kurse für MitarbeiterInnen von Nachbarschaftsgruppen und Stadtteilzeitungen, oder philosophischkulturelle Diskussionsabende. Seit Ernst über 70jährig in Rente ging, hat er mehr Zeit für Politik und seine zweite Leidenschaft, das Schreiben. Er hat insgesamt acht Bücher veröffentlicht, Erzählungen, Sachbücher und eine Autobiographie, drei davon auf deutsch in der Bundesrepublik, fünf auf Spanisch in Uruguay. Darüberhinaus sind seine 1990 in Deutschland erschienenen Lebenserinnerungen Anfang 2003 in spanischer Übersetzung in Montevideo erschienen. Außerdem schrieb und schreibt er für Zeitungen, früher die Weltbühne, den Freitag, seit über zwanzig Jahren auch für die Lateinamerikazeitschrift ila. Sein erstes Buch war „Südamerikanisches Domino“, ein Band mit Erzählungen, der 1987 im Wuppertaler Peter Hammer Verlag erschien. In diesen Geschichten ging es ihm nicht primär darum, seine Exilerfahrungen zu verarbeiten, sondern er wollte die deutsche Öffentlichkeit auf einer anderen Ebene als der der politischen Artikel und Solidaritätsveranstaltungen für die Vorgänge in den lateinamerikanischen Militärdiktaturen sensibilisieren. „Als meine Hauptaufgabe in der Bundesrepublik habe ich immer die Aufklärung über Uruguay und im weiteren Rahmen über Lateinamerika angesehen. Und das ist ja auch der Grund gewesen, weshalb ich erst einmal das ‚Südamerikanische Domino’ geschrieben habe, diese Kurzerzählungen, die in verschiedenen Ländern Südamerikas spielen, weil ich dachte, da kommt man an einen größeren Kreis von Leuten ran, die nicht unbedingt politisch interessiert sind, aber denen man doch die soziale Situation Lateinamerikas nahe bringen will.“ (Interview des Verfassers mit Ernesto Kroch im November 1990) In den Erzählungen verlieren Begriffe wie Diktatur, Wirtschaftskrise oder Exil ihre Abstraktheit, weil sie in ihrer Bedeutung für konkrete Personen beschrieben werden: die Verkäuferin, die in der quälenden Zeit des Wartens auf Kunden, die nicht kommen, verzweifelt darüber nachdenkt, dass die drohende Entlassung die ganze Lebensperspektive in Frage stellt; die exilierte Chilenin in der BRD, der der Entzug ihrer Aufenthaltsgenehmigung angedroht wird, weil sie mit ihren beiden Kindern in einer zu kleinen Wohnung lebt, und die über die Selbstgerechtigkeit und Kälte der deutschen Bürokraten und Nachbarn zu verzweifeln droht, bis ihr ein Brief aus den Kerkern Chiles 55