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berechtigung wesentlich aus ihrer Nichtexistenz in der NS-Zeit ableitet, dem von den Nationalsozialisten entsetzlich gepeinigten Polen dieses Recht auf vorübergehende Nichtexistenz nicht zugestehen wollen.) In den 1970er Jahren arbeitete Tamar Radzyner (auch unter Pseudonymen, häufig Helene Fawel) an etlichen Programmen von Topsy Kiippers und Georg Kreisler mit”', u.a.: „Machen Sie sich stark, Madame“. Ein Cabaret anläßlich des „Jahres der Frau“; „Die kleine Show“; „Das Herz schlägt links“ (für Topsy Küppers’ „Freie Bühne Wieden“, aufgeführt von Stefan Paryla-Raky und Emmy Werner); „Aber ich habe geliebt“ (Collage aus den Werken von George Sand, literarisch bearbeitet von Tamar Radzyner); „Ich fange an! Eine Biographie in Liedern von und mit Topsy Küppers“ (zusammengestellt von Tamar Radzyner). Auch in dem bekannten, lange Jahre von Topsy Ktippers gespielten „Lola Blau“-Programm sind einige Texte von ihr.? Sie schrieb nicht nur Chansontexte und Sketches, sondern übersetzte auch aus aus dem Polnischen, Russischen, Hebräischen, Jiddischen, Französischen. Ein Höhepunkt dieser Zusammenarbeit war das von ihr und Topsy Küppers 1973 unter Mitwirkung von Georg Kreisler zusammengestellte Programm „Immer wieder Widerstand‘. Unter dem Pseudonym Helene Fawel übersetzte Tamar polnische und französische Partisanenlieder wowie Mordechai Gebirtyks „Es brennt, Brüder es brennt“ aus dem Jiddischen. (Das 1942 im Krakauer Ghetto entstandene Lied wird am Ende des Steven Spielberg-Films „Schindlers Liste“ von den aus dem Lager in eine unbestimmte Freiheit ziehenden überlebenden Juden gesungen; während des Sechstagekrieges 1973 wurden zwei Zusatzstrophen dazugeschrieben.) Dazu kamen eine Reihe eigener Gedichte und Lieder Tamar Radzyners (u.a. „Zigeunerballade“, „Oh, du liebe Marion“, „Die Anklage“, „Sagt mir, meine Eltern“), die neben Texten von Grete Hartwig, Theodor Kramer, Georg Kreisler und Jura Soyfer gesungen oder vorgetragen wurden. Kreisler hat einiges weniges von ihr vertont”, mit besonderer Einfühlung „Sonntagsspaziergang“: Es wird nirgends ausgesprochen, aber es ist so, eine jüdische Frau, sie hat die Konzentrationslager überlebt, schiebt einen Kinderwagen, macht einen „Sonntagsspaziergang‘; in der scheinbaren Normalität (besser: Ortsüblichkeit) dieses Vorgangs sind sowohl Triumph (über die Vernichtung) wie Demütigung (durch Anonymisierung einer kämpferischen Natur) verborgen”. Auch Heinz Hruza hat Radzyner-Texte vertont. Im Nachlaß findet sich eine Textsammlung für eine Langspielplatte „Abend im Regen“. Vielleicht überlegte Tamar Radzyner, ob sich die vertonten Texte nicht auf einer Platte sammeln lieBen. Tamar zeichnete auch. Es sind eigenartige Zeichnungen: Die Frau, die vom Uhrzeiger durchbohrt wird, ein Gesicht ohne Augen. Eine bäuerlich anmutende Frau, ebenfalls ohne Gesicht, in Kopftuch und Schnürstiefelchen, ruhig in einem geblümten Fauteuil sitzend, mit ihren beiden Händen grübelnd einen hellen weißen Unterarm bestastend, der auf ihrem Schoß liegt. Ein kleines Mädchen mit Zöpfen und Maschen an ihnen, das einen Luftballon halt — der Luftballon ist ein aufgerissenes Auge, reckt lidlos die Wimpern von sich; die Stellen, wo das Mädchen Augen haben müßte, sind ausgewischt. Sie starb an einem Krebsleiden (einem Karzinom in den Eierstöcken), das sich, zu spät erkannt, rabiat entwickelte: der Übergang von Gesundheit zu Tod war ein rascher. Von Weihnachten oder Sylvester 1990 sind Fotos da: ein lebensvolles Gesicht, Schürze umgebunden, abgemagert. Sie lacht, sie lächelt. Wir wissen, daß die Menschen, die etwas von ihrer Gefährdung verstanden haben, lächeln. Das Lächeln sucht in jedem Menschen einen Bündnispartner gegen die Gefahr... Ihr Mann, Viktor Niutek, „wollte nicht weiterleben“ nach ihrem Tod, er starb wie Tamar noch 1991, ein halbes Jahr später. Die einzige Biographie, die sie zu Lebzeiten autorisierte, findet sich im Programmheft zu „Immer wieder Widerstand“. Sie lautet: Tamar Radzyner war im Ghetto Lodz Mitglied einer antifaschistischen Jugendorganisation. Nach der Liquidierung des Ghettos war sie in den Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau und Stutthof. Im Nachkriegspolen arbeitete sie als Textilarbeiterin, Funktionärin einer Jugendorganisation und als Journalistin. Seit dem Jahr 1959 lebt sie in Wien und schreibt Lyrik in deutscher Sprache. Erst nach ihrem Tod erschienen einige ihrer Gedichte in Herbert Kuhners Anthologie „Wären die Wände zwischen uns aus Glas“. Statt einer Kurzbiographie ließ sie folgende Zeilen einrücken: Geboren in Polen, zu spät, um die „Goldenen Zwanziger Jahre“ zu genießen, zu früh, um dem Krieg und der Naziverfolgung zu entgehen. Nachdem ich mein größtes Erfolgserlebnis — das Überleben - erreicht hatte, versuchte ich, meinen überschüssigen Idealismus mit der politischen Arbeit zu verbinden. Wie die meisten Versuche dieser Art schlug auch dieser fehl. Jetzt lebe ich in Wien als Hausfrau und Mutter und versuche, mir den Psychiater zu ersparen, indem ich meine Ängste in Gedichten niederschreibe. Lassen wir jedoch der resignativen Selbstironisierung nicht das letzte Wort. Es geht bei Tamar Radzyner um mehr. Sagen wir es mit Georg Kreisler: „Die Texte Tamar Radzyners sind einzigartig in ihrer Einsamkeit und im Eingeständnis einer persönlichen Niederlage.‘ Für Hilfe, Hinweise, Materialien danke ich Georg Kreisler, Herbert Kuhner, Topsy Küppers, Asia und Olga Radzyner, Angelica Schütz. Etwaige Irrtümer sind mir selber zuzuschreiben. Abgesehen von möglichen Mißverständnissen meinerseits, weiß ich sehr gut, daß noch eine Reihe weiterer Recherchen anzustellen wären, um ein einigermaßen zutreffendes Bild Tamar Radzyners zu zeichnen. — Eine sehr gute Auswahl von 24 Gedichten Tamar Radzyners findet sich in dem als Band 8 der Edition Mnemosyne 1999 in Klagenfurt erschienenen Buch: Stella Rotenberg/Tamar Radzyner: Meine wahre Heimat/My True Homeland. (Deutsch/Englisch.) Übersetzt von Herbert Kuhner, Vorwort von Armin A. Wallas. (Das Buch ist über Andrea M. Lauritsch, Institut für Germanistik, 9020 Klagenfurt, Universitätsstr.65-67, noch lieferbar.) Anmerkungen 1 T. Radzyner: Das neue Programm. Ein Spiel mit Musik. Undatiertes Typoskript im Nachlaß, 57 S. Kopie im Archiv der Theodor Kramer Gesellschaft (übermittelt 2002 von Asia Radzyner). 2 Dieses Gedicht findet sich bereits in der von Peter Daniel, Johannes Diethart und Herbert Kuhner herausgegebenen Anthologie jüdischer Lyrik aus Österreich „Wären die Wände zwischen uns aus Glas/lf the Walls Between Us Were Made of Glass“ (Deutsch/Englisch, Übersetzung ins Englische von H. Kuhner), die 1992 in Wien erschien. — Herbert Kuhner danke ich auch den ersten Hinweis auf T. Radzyner. 3 Das Gedicht findet sich gleichlautend auch in einer mir 2002 von Angelica Schütz übermittelten Sammlung von Gedichten T. Radzyners. 4 Angaben nach einem von Olga Radzyner verfaßten Lebenslauf. — 61