OCR
Der letzte Tag Wenn man wie ich eine tickende Uhr im Gehirnzentrum trägt Wenn man wie ich das Sinken des Zeitbogens mit allen Sinnen spürt müßte man jeden Tag der der letzte ist einen Planeten entdecken oder einen Krieg verhindern oder eine Brücke bauen oder ein philosophisches System aufstellen oder eine Revolution entzünden oder einen Menschen glücklich machen. Der Tag der der letzte war verendete langsam ich verbrachte ihn zerfetzte Gedankenwolken betrachtend. Dieses und die beiden Gedichte davor nach Typoskripten im Besitz von Angelica Schiitz. Am 25.9. 1982 starb der österreichische Schriftsteller Theodor Sapper. „Vielleicht wird in der nächsten Zukunft dem stillen, sorgsamen und seriösen Autor die Aufmerksamkeit gewidmet, die er verdient‘, schrieb Hans Haider am 12. Oktober 1982 in der Presse. Sapper war Sohn des aus Würtemberg stammenden evangelischen Theologen Karl Sapper, der mit seiner Frau Maria, geb. Schweitzer, kurze Zeit Pfarrer in Fürstenfeld war, später jedoch sein geistliches Amt zu Gunsten der Naturphilosophie zurücklegte und als Gymnasialprofessor, dann als a.o. Universitätsprofessor bis ins hohe Alter in Graz wirkte. Das Elternhaus, besonders auch seine aus einem schwäbischen Pfarrhaus stammende selbstlose Mutter prägten Sappers Kindheit und Jugend. Er besuchte das Akademische Gymnasium und studierte anschließend Geschichte (mit Ausnahme eines Semesters in München) in Graz, wo er 1929 auch promovierte. Er pflegte regen Kontakt zu dem Künstlerkreis um Ferdinand Bilger' und trat durch Vorträge und gelegentliche Arbeiten für Presse und Rundfunk hervor. Der gebürtige Steirer hatte bald Zugang und Verbindung zu den Autoren und Büchern, die für ihn entscheidend waren. Wilhelm Thöny, der zu der Szene um die frühe Grazer Sezession’ figurierte, hat den jungen Dichter gezeichnet. Sapper ist mit Broch, Däubler, Ehrenstein und Haringer umgegangen und wurde menschlich und in seinem Schreiben überhaupt vom Expressionismus geprägt, dessen österreichischen Protagonisten er 1974 die Aufsatzsammlung Alle Glocken dieser Erde widmete. Die Begegnungen mit Anton Kuh und vor allem mit Hermann Broch und Elias Canetti übten einen ganz wesentlichen Einfluß auf Sappers Leben und Schreiben aus. Die frühen dreißiger Jahre waren für den jungen Dichter die Zeit der großen Reisen nach Deutschland und vor allem nach Spanien (einschließlich Nordafrika), das er in einer Fußwanderung durchquerte, wovon er später noch oft erzählen sollte. Die Affinität zu diesem Land schlug sich vielfältig in seinem literarischen Werk nieder.* 64 Sein erstes, in diesen Jahren entstandene Werk, das Schauspiel Erotik des Hasses (Baden-Baden 1930) ist im Krieg verschollen. Die Novelle Kornfeld, die die Jahre der Zwischenkriegszeit spiegelt, sollte allerdings erst viel später — 1947 - in der Reihe Stimme aus Österreich des Erwin Müller Verlages, herausgegeben von dem als langjährigen Mitarbeiter von Karl Kraus bekannten Leopold Liegler, erscheinen: In dieser heute leider völlig vergessenen Reihe erschien eine großartige Novelle von Theodor Sapper: „Kornfeld“. Sie schildert, wie der arbeitslose Paul Kornfeld in den Augusttagen des Jahres 1932, „als eine Weltsituation sich langsam anbahnte, zu deren Folgeerscheinung der furchtbarste aller Weltkriege gehören sollte“, notwendig in Wahnsinn verfallen und zu Grunde gehen mußte. Seine arme schwache Seele wurde in den „darwinistischen Gedankengängen vom erbarmungslosen Daseinskampf“ verstrickt, die in den Jahren vor 1945 die bisher größte Zahl armer Menschenopfer gefordert haben.” Der vielversprechende Beginn des jungen Autors fand jedoch mit der Machtergreifung 1938 ein jähes Ende: Schreibverbot.° Als nicht fronttauglich, leistete er Arbeitsdienst in der Wiener Margarinefabrik Blaimschein, arbeitete später als wissenschaftliche Hilfskraft in Graz’, danach — dank seines Geschichtsstudiums — als Archivar in Murau, und wurde schließlich zum Volkssturm eingezogen. Im letzten Kriegsjahr lernte er seine spätere Frau Hilda Wildung kennen, heiratete sie Ende 1944, konvertierte zum Katholizismus und übersiedelte mit ihr nach Taufkirchen an der Pram, Oberösterreich. In jenen Jahren begann Sapper sein großes Romanwerk Kettenreaktion Kontra, in dem all der Schrecken seinen Niederschlag finde sollte: Inmitten dieser Mörderwelt sieht sich ein junger Schriftsteller, Hans Pfingster, der zwar mit unangemessenen Mitteln, doch aufs leidenschaftlichste eine strenge geistige Kontrahaltung anstrebt, vom Grauen des totalen Kriegs, der totalen Diktatur umgeben .* Mein Bemühen um ein „Wort-Requiem“ für die unglücklichen Opfer der Verfolgung geschmähter Rassen, so der Autor,