OCR
versucht sich in einer Form, die in etwa einer „symphonischen Dichtung“ nahekommen will. Ihre Bauelemente sind die in einem Menschengehirn katarakthaft sich überstürzenden Tatbestände: Terror, Krieg, massiertes Grauen aus Vernichtungslagern, gespensterhaft lastend auf der Atmosphäre — und dumpfer Druck des Es-nicht-wissen-Wollens. Zu solchen infernalischen Kakophonien hinzu ‚assozüieren’ sich Ausgeburten eines kalten Zynismus der Schlagworte, Propagandareden, Liedertexte, die es tatsächlich bewirken sollten, Urbegriffe der Humanität zu zerstören. Eine vorbewußte „Geöffnetheit zur Welt hin“ erleidet da ihre Via crucis bis hin zur Nachtzone einer scheinbar dissonanten Form.’ Viktor Suchy, langjähriger Leiter der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, schrieb darüber 1970: .. ein(en) Antiroman, wenn man so will, der nur — gleich James Joyce - den Bewußtseinsstrom seines Helden Pfingster in einem breiten Assoziationsgeflecht von Gedanken und Empfindungen wiedergibt, den Strom eines ethischen Bewußtseins allerdings, das den Aktionen der faschistischen Mörderwelt die Kettenreaktion der Auflehnung entgegensetzt. [...] Als Kronzeugen für seine künstlerische und geistige Dignität kann Theodor Sapper so große Namen wie Hermann Broch und Elias Canetti, die das Manuskript mit höchstem Lob und voller Zustimmung bedachten, und den großen Gütersloh-Schüler Ernst Fuchs anführen ...' Dieses Werk, das Sapper zeitlebens als sein Hauptwerk betrachtete, sollte in seiner Gesamtheit unveröffentlicht bleiben, lediglich Ausschnitte daraus sind in Zeitungen und Zeitschriften erschienen (u.a. in Die Furche, Die Schau, Literatur und Kritik, Protokolle, Freibord, sowie als Hörbuch''). Franz Richter, langjähriger Kollege und Generalsekretär des Österreichischen P.E.N-Clubs von 1976 bis 1990, schrieb anläßlich Sappers 90. Geburtstag in der Zeitschrift des österreichischen Schriftstellerverbandes: (Die Zeit von) ... 1933 bis 1945 erscheint ihm unter dem Gesichtswinkel des kretischen Minotaurus, jenes Ungeheuers, das nicht wie seine urtümlichen Vorgänger in einer natürlichen Höhle, sondern im artistischen Konstrukt des Labyrinths seine Menschenbeute überwältigt und verzehrt. Nur Intellektualität und Brutalität in ihrem Wechselbezug machen die Menschenfresserei zum staatlichen Kult." Zur Grazer Widerstandsgruppe um Josef Neuhold, Dr. Franz Weiß und Karl Drews, die im Februar 1941 verhaftet und 1942 hingerichtet wurden, bestanden Kontakte, über die sich viele Hinweise sowohl im Roman als auch in anderen unveröffentlichten Schriften finden." Das Nachkriegselend trifft den wieder in Wien als freier Schriftsteller lebenden nunmehrigen Vater zweier Söhne mit voller Härte. Nach einigen Jahren folgt ihm seine Frau Hilda mit drei Kindern (sie hat als Kriegswitwe auch eine Tochter aus erster Ehe) von Taufkirchen nach Wien nach, wo die Familie die ersten Jahre im Obdachlosenasyl lebt. 1948 findet er eine Stelle als Redakteur bei der Wochenzeitung Offenes Wort, wo er Hoffnung zu schöpfen beginnt. Es war ihm jedoch auch da kein Glück beschieden, die Zeitung wurde im März 1950 eingestellt. Es folgen wieder schwere Jahre, in denen er seine fünfköpfige Familie von Übersetzungen, gelegentlichen Zeitungsartikeln, Radiosendungen und oft schlecht bezahlten Vorträgen in Volkshochschulen und Kulturzentren über Wasser hält, wie auch die Schriftstellerin Jeannie Ebner in ihren Erinnerungen zum 90. Ge burtstag Theodor Sappers im Literaturhaus zu berichten wußte. 1957 erscheint der Gedichtband Schmerz vor Tag. 1960 erhält Sapper einen Lehrauftrag von zwei Wochenstunden an der Akademie der bildenden Künste, 1966 einen ähnlichen an der diplomatischen Akademie, in deren Rahmen er versuchte jungen Menschen expressionistische Dichtung nahezubringen und Begeisterung für deren sprachschöpferischen Protest gegen eine ,,sinnentleerte Klassizistensprache“ zu wecken. Beide Lehraufträge, die zumindest in geringem Ausmaß geeignet sind, zur Erleichterung seiner prekären materiellen Situation beizutragen, hatte er bis zu seinem Lebensende inne. Ein bescheidener Wohlstand hingegen sollte ihm bis zu seinem Tod nicht beschieden sein. 1967 erscheint der Gedichtband Alle Trauben und Lilien, 1974 Alle Glocken dieser Erde. Expressionistische Dichtung aus dem Donauraum und 1980 Tausend Lichter — Tausend Tode. In den sechziger Jahren gabe er im Grazer Stiasny Verlag mehrere Einzelbände heraus, u.a. von Jakob Haringer und Theodor Däubler. Daneben übersetzte er zahlreiche Bücher aus dem Spanischen, Französischen und Holländischen. Diese großen Übersetzungsarbeiten wurden leider in keinem Nachruf erwähnt. Von Jugend an bis in seine letzten Jahre pflegt er intensiven freundschaftlichen Umgang und regen Briefwechsel mit vielen Schriftstellern sowie mit zahlreichen Künstlerfreunden, darunter Fritz Wotruba und Ernst Fuchs. '* Daß jedoch sein Hauptwerk, der Roman Kettenreaktion Kontra keinen Verlag finden sollte, war und blieb ein großer Wermutstropfen in Sappers Leben. Elias Canetti schreibt über dieses Werk: Da ist eine Sensibilität, die fein und ungeheuerlich zugleich ist, die sich nichts entgehen läßt, die alles, wirklich alles ERLEIDET; eine Intensität des Lebensprozesses, ein erstaunlicher 65