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wiegend in NS-Schriften, nachweisen. 1940 trat Pohl der NSDAP bei und legte ein Talmud-Lexikon vor, das nach persönlicher Durchsicht von Rosenberg noch nicht zur Drucklegung würdig befunden wurde. 1941 wurde in Frankfurt am Main als Teil der als NS-Parteiakademie geplanten „Hohen Schule“ Rosenbergs das Institut zur Erforschung der Judenfrage eröffnet. Hier waren die Nationalsozialisten bemüht, alle Gegenstände und Dokumente des „Hauptfeindes“ akribisch zu sammeln. Einen der Kernbereiche des Instituts bildete die Bibliothek, und Pohl wurde ihr Bibliothekar. Den Grundbestand der Bibliothek bildete der frühere Judaica-Bestand der Frankfurter Stadtbibliothek, weshalb Pohl noch bis 1943 als Angestellter in Diensten der Stadt Frankfurt geführt wurde. Der Ergänzungsbestand wurde aus geraubten jüdischen Sammlungen bezogen. Damit begann die dunkelste Periode in Pohls Leben; der ideologische Täter wurde jetzt selbst als Verfolger aktiv. Als Angehöriger des ERR (Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg) bereiste er die von der Wehrmacht eroberten Länder, um die Bibliotheken der jüdischen Gemeinden zu „sichten“ und zur Plünderung und zum Abtransport in das Frankfurter Institut bereitzumachen, in Wilna, Saloniki, Minsk, Riga und Kiew. In Wilna traf er dabei mit dem legendären Ghetto-Bibliothekar Herman Kruk zusammen. Kruk leitete früher eine Arbeiterbibliothek in Warschau und hat ab 1941 die Ghetto-Bibliothek Wilna geführt, die im Dezember 1942 die 100.000ste Buchausleihe feiern konnte. Inmitten der allgemeinen Verzweiflung berühren die anläßlich des Jubiläums überlieferten Worte des Schülers Itzchak Rudashevsky;: Hunderte lesen hier. Das Lesen ist auch mein größtes Vergnügen. Das Buch verbindet uns mit der Zukunft und mit der Welt. Die Ausleihe von 100 000 Büchern ist eine große Sache, und das Ghetto ist mit Recht stolz darauf. (S.195) Kruk und sein Team mußten, ehe sie selbst ermordet wurden, im Auftrag der Nazis ihr eigenes Werk liquidieren. Dem historischen Zusammentreffen der ungleichen Büchermenschen Kruk und Pohl hat der israelische Dramatiker Joshua Sobol in seinem Stück Ghetto zwei Szenen gewidmet. Insgesamt sollten 550.000 geraubte Bücher aus West-, Ost- und Südeuropa dem Institut zugeführt werden; davon sind 300.000 in Frankfurt angekommen. Im Herbst 1943 wechselte Pohl zu Rosenbergs Zeitschrift Weltdienst, wo er die letzten beiden Jahre der NS-Diktatur als führender antisemitischer Publizist verbrachte. Eine Titelauswahl aus Pohl-Publikationen des Jahres 1944: Tausend Talmudzitate; Gibt es eine jüdische Religion? Der Talmud als Lehre des Asozialismus in der Geschichte der Menschheit; AntiJüdische Papsterlasse... Zuletzt war er noch als Organisator eines großen antijüdischen Kongresses in Krakau tätig, der wegen des Kriegsverlaufes nicht mehr stattfinden konnte. 1945 wurde Pohl gefangengenommen, Ende 80 Oktober 1946 aus der Internierungshaft entlassen. Kurz davor war sein Dienstherr Rosenberg als Hauptkriegsverbrecher hingerichtet worden. Inzwischen absolvierte Pohl bereits die Haftnachprüfung und legte ein geschöntes Publikationsverzeichnis, in dem er die Hetzartikel in NS-Organen verschwieg, vor. Auch in der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek wurde nachgeforscht; dort konnte sich niemand an Pohl erinnern. Die Frankfurter Stadtbibliothek wollte ihre Verwicklung in das Institut zur Erforschung der Judenfrage möglichst gering erscheinen lassen; entsprechend wenig wußte man daher den Ermittlern über Pohl zu berichten. Bald auf freiem Fuß, begab sich Pohl wieder unter die Schirmherrschaft der katholischen Kirche und setzte dort fort, wo er 1934 aufgehört hatte: 1949/50 erschienen mehrere Artikel Pohls in der Publikation des Deutschen Vereins vom Heiligen Land. In seinen Meldedaten aus jener Zeit scheint als Beruf noch immer „Bibliothekar“ auf. Ab 1953 fand er eine Beschäftigung als Verlagslektor. Ehrgeiz und Fleiß dürften nach wie vor reichlich vorhanden gewesen sein, wie eine Stelle aus einem 1956 an den Dechanten seiner früheren Pfarre gerichteten Brief verrät: ... Ich bin seit Jahren führendes Mitglied der Duden-Redaktion in Wiesbaden und darf sagen, daß 90 % der Arbeit, die in den beiden letzten Auflagen des Rechtschreibdudens steckt, von mir ist... Im selben Schreiben bezeichnet er die Verlagsarbeit auch als „im Interesse unserer Kirche“ stehend. Aus verständlichen Gründen hat er damals seine Beiträge anonym oder (in populärmedizinischen Werken) unter einem Pseudonym geliefert. 1960 starb Johannes Pohl 56jährig in Wiesbaden. Der Triestiner Knoten Über Triestiner Literatur, Kultur und Identität ist — möchte man meinen - bereits viel geschrieben und seit Vogheras, Fölkels und Magris’ Texten alles offen gelegt worden: elegant, zugespitzt, mythenstiftend und selbige dekonstruierend. Umso mehr überrascht es, mit einem gut fünfhundertseitigen neuen Band konfrontiert zu werden, der sich imposant neben den eher filigranen und trotzdem unausweichlichen Essays der zuvor genannten ausnimmt. Dies ist wohl als eine Art doppelter Tribut zu verstehen: einerseits an den Charakter der Forschungsarbeit, die aus einem FWF-Projekt hervorging, andrerseits an die Komplexität des untersuchten Raumes, jener „verdammten Stadt“ (Fölkel), ihrer kompliziert dialektischen und zugleich von Spannungen geradezu ausgefransten und dennoch widerständigen Galerie von Intellektuellen, Schriftstellern und Kritikern seit der Jahrhundertwende bis herauf zu den subterranen Beziehungen zwischen Magris und Menasse. Das Buch gliedert sich in vier Abschnitte, deDie Nationalsozialisten wollten das Judentum geistig auslöschen und physisch liquidieren. Kulturelle Zeugnisse des Judentums sollten jedoch für propagandistischen Mißbrauch gesammelt werden. Hier machte sich Johannes Pohl als Publizist des Antisemitismus und als Bücherräuber doppelt schuldig. Dienstbeflissenheit zählte zu den hervorstechendsten Charaktermerkmalen Pohls, die er sowohl für die Kirche als auch die NSDAP eingesetzt hat. Das bibliothekarische Täterprofil jener Zeit war dabei wesentlich unauffälliger als das anderer Personengruppen, wurde doch letztlich das gemacht, was schon davor und auch danach immer zum Handwerk von Bibliothekaren zählte: Sichten, Sammeln und Erschließen. So lassen sich wohl die vielen Kontinuitäten in institutionellen und persönlichen Geschichten erklären. Jahrzehntelang wurde über die Verstrickung von Bibliotheken in den Bücherraub hinweggegangen, in der BRD und auch in Österreich. Daß man sich neuerdings dieser Geschichte stellt, ist manchmal freilich nur die Folge von berechtigten Restitutionsforderungen. Maria Kühn-Ludewig gehört dem deutschen Arbeitskreis kritischer BibliothekarInnen (AKRIBIE) an, einer Vereinigung von BibliothekarInnen, die sich schon seit vielen Jahren mit dem Verdecken und Vertuschen nicht mehr gemein machen. Heimo Gruber Maria Kiihn-Ludewig: Johannes Pohl (1904— 1960). Judaist und Bibliothekar im Dienste Rosenbergs. Eine biographische Dokumentation. Hannover: Laurentius Verlag 2000. 334 S. Euro 37,90 (Kleine Historische Reihe. Bd. 10. Hg. von Raimund Dehmlow). nen eine Einleitung vorangeht und ein Brief Slatapers nachgestellt ist. Im (erfreulichen) Unterschied zu gängiger Triest-Literatur kommen gleich zu Beginn jene Stimmen zu Wort, die allzu oft im Schatten der großen Namen stehen: Scipio Slataper, jenes anarcho-pathetische Genie, dem wir einige der treffendsten und provokantesten Charakterisierungen der mehrfach zerrissenen Seele jener Stadt verdanken, und Angelo Vivante, dem Begründer einer operativ sich verstehenden Geschichtskritik, dessen Standardwerk /rredentismo adriatico (1912, bislang nicht ins Deutsche übersetzt) visionär nahezu alle Konfliktkonstellationen, v.a. jene zwischen Italienern und Slawen einschließlich der Konsequenzen für die Stadt vorausanalysiert, ihr selbstzerstérerisches Aufgehen in einen Hurrah-Faschismus ahnt und gewissermaßen rechtzeitig 1915 den Freitod gewählt hat. Die Form der Heimholung 1918 - teils ein Raubzug durch die letzten Reserven der ausgehungerten Stadt und die Implementierung einer zentralistischen, über