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Das Werk und Leben Jean Amerys, der sich vor 25 Jahren, am 17. Oktober 1978, in Salzburg das Leben genommen hat, stehen im Zentrum dieses Heftes. Irene Heidelberger-Leonard, Hans Höller und Gerhard Scheit, die die Beiträge über Amery verfaßt haben, sind Mitarbeiter der neunbändigen Jean AmeryAusgabe, von der zwei Bände heuer bereits erschienen sind. Dazu kommt als Erstdruck ein 1968 gehaltener Radiovortrag Amérys, eine Auseinandersetzung mit der Rolle Martin Heideggers im Nationalsozialismus, die zugleich auch der Frage nach der Bedeutung des Nationalsozialismus fiir den Philosophen nachgeht. Die Dankesrede Doron Rabinovicis fiir den ihm 2002 verliehenen Jean Améry-Preis gibt eine lebendige Anschauung von dem großen und befruchtenden Einfluß, den Amerys Werk ab den 1970er Jahren für die intellektuelle Neuorientierung einer ganzen Generation von Forschenden, Schreibenden und Denkenden hatte und hat, zumal, wenn sie sich aufgrund ihrer jüdischen Herkunft einer paradox normalisierten Realität, in der die Erinnerung an das Geschehene ausgelöscht scheint, konfrontiert sehen. Wir trauern um den Exilschriftsteller Francisco Tanzer, der am 25. Oktober 2003 in Düsseldorf gestorben ist. Ihn stellt Volker Kaukoreit in einem Interview vor, das als Nachtrag zum Album der schönen Unbekannten, ZW Nr. 2/2003, anzusehen ist. Tanzer, der sich als Lyriker und Librettist einen Namen gemacht hat, arbeitete bis zuletzt an der Fertigstellung seines autobiographischen Romans Die Befreiung, der sich als die genuine Stellungnahme eines aus dem Exil Zurückgekehrten zu der neu aufgeflammten Debatte über das Deutschland der ersten Nachkriegszeit lesen läßt. Peter Roesslers auf einem Vortrag im Wiener Institut für Wissenschaft und Kunst beruhende Darstellung gegenwärtiger Theaterverhältnisse demonstriert, wie sich die Kritik der Gegenwart aus den Erfahrungen und Errungenschaften des Exils entfalten läßt. Fragen zu stellen, auch wenn sie nicht auf der Stelle beantwortet oder ‚gelöst’ werden können, war einer der Vorzüge der Theaterkonzeptionen und -praxis des Exils. Renate Göllners Polemik gegen das im Mai 2003 auf dem Heldenplatz in Wien veranstaltete Spektakel A Letter To The Stars drückt aus, was vermutlich alle, die sich mit den Verfolgten des Nationalsozialismus und dem Widerstand gegen ihn verbunden fühlen, dabei gedacht haben. Im Internet ist übrigens ein „Handbuch“ mit guten Ratschschlägen der Projektbetreiber nachzuschlagen, in dem u.a. die Frage beantwortet wird, wie man sich ein Opfer „reserviert“. Das Dilemma, in das man gerät, wenn man sich selbst als Opfer darstellen soll, führt Hazel Rosenstrauch an einem Briefwechsel mit dem „Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus“ vor. Eine Förderung der Publikation des im Verlags der Theodor Kramer Gesellschaft erschienenen Lexikons der österreichischen Spanienkämpfer hat der Nationalfonds hingegen ausgeschlossen, obwohl Hunderte von ihnen im Kampf gegen den Faschismus in Spanien und in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern ihr Leben lassen mußten. Daß es trotz ihrem Einsatz nicht gelang, den Faschismus in Spanien aufzuhalten, hatte verheerende Folgen für Europa. Die „Generalprobe des Zweiten Weltkriegs“ verlief zur Zufriedenheit von Hitler und Mussolini. Den Spanienkämpfern ist jetzt mit dem von Hans Landauer in Zusammenarbeit mit Erich Hackl verfaßten Lexikon ein Denkmal errichtet, das sich sehen und lesen läßt. Hackl und Landauer berichten in diesem Heft über die Motive und Inhalte ihrer Arbeit. „Ein Lexikon der Verluste also“, resümiert Hackl, „und doch auch eins der ungeheuren Lebensräume, der genutzten wie der verstrichenen Möglichkeiten.“ Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser Stella Rotenberg An den Quell. Gesammelte Gedichte Hg. und mit einem Vorwort und Nachwort versehen von Siglinde Bolbecher und Beatrix Müller-Kampel Endlich liegen die gesammelten Gedichte einer großen Lyrikerin des Exils vor. Neben dem in Büchern und Zeitschriften bereits Veröffentlichten enthält der Band 55 bisher unbekannte, neue Gedichte. Die fast 180 Gedichte zeigen die Weite von Rotenbergs Iyrischem Spektrum: Sie spricht vom Armenviertel, den Alpträumen des Hausierers, vom Leben in geschlossenen Anstalten, von den Schwierigkeiten der Liebenden in Krieg und Nachkrieg, beschwört „das herkömmlich als ‚gering’ Geltende“ (Karl Müller), den Tisch, wo „zwei sich gegenübersitzen,/ jeder mit dem beschäftigt das ihm nah geht,/ und einer vor dem andern/ etwas davon zu verbergen/ nicht für nötig hält”. Stella Rotenberg erhielt 2001 den erstmals vergebenen Theodor Kramer Preis für Schrei- - ugs ben im Widerstand und im Exil. GESAMMELTE GEDICHTE Erhältlich seit Mitte November 2003 im Buchhandel oder direkt beim VERLAG DER THEODOR KRAMER GESELLSCHAFT A-1020 Wien, Engerthstraße 204/14, Tel. +43 1 7208384; Fax 7297504; eMail: TKG@aon.at