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Dramaturgische Regie versus Kostümierung des Ungefähren Allerdings konnte gerade im Theater des 20. Jahrhunderts politische Intention und gesellschaftlicher Gehalt des Dramas oder der Inszenierung zusammenfallen oder sich doch zumindest annähern. Die Widersprüche zwischen Intention und künstlerischem Ergebnis freilich blieben. Erwähnt seien die Theaterkonzeptionen von Leopold Jessner, Erwin Piscator, Bertolt Brecht oder von Berthold Viertel, Leopold Lindtberg und dem bereits genannten Fritz Kortner. Das lenkt den Blick auf jenen weitgehend historisch gewordenen Typ des sich schriftlich artikulierenden Regisseurs zurück. Die Essays der Regisseure, die uns über die Lesart eines Stückes, aber auch über Theaterkonzeptionen Auskunft geben, kann man in einer umfassenden Bedeutung als dramaturgische Überlegungen bezeichnen. Wie vielfältig dieser Regisseurs-Typus war, zeigen die eben genannten Namen. Man kann bloß aus dem historischen Abstand salopp von einem Typus sprechen. Er war auch zu seiner Zeit eine Ausnahme und ein guter Essay garantierte noch nicht das Gelingen der Inszenierung. Kein Essay aber auch nicht. Auch kann es nicht darum gehen, sich einen Heldenberg des Theaters zu errichten. Es geht um eine andere Frage, für die die schriftliche Fixierung von Gedanken und Absichten nur als Symbol - nicht als ideale Norm — genommen werden soll: Um die Frage nach einer Haltung auf dem Theater. Dies nicht im Sinne einer thesenhaften Programmatik, die dem dramatischen Text übergestülpt wird, auch dafür lieferten die Regisseure Beispiele, sondern im Sinne einer aus dem Text entwickelten Position. Mitunter verleiht man einigen der Genannten das Prädikat dramaturgischer Regisseur. Vielleicht ist das ein zu vager Begriff, aber er verweist auf die nun tatsächlich dramaturgische Frage, inwieweit der gesellschaftliche Gehalt des Dramas im weitesten Sinn zum Ausgangs- und Endpunkt von Theaterarbeit gemacht wird. Es ist bezeichnend, dass die Burgtheaterdirektion von 19861999 beim dauernden publizistischen Bekenntnis zum politischen Theater keine tiefere Verbindung zu den erwähnten Regisseuren und Theaterleitern erkennen ließ. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass diese Truppe, die sich selbst als Opfer österreichischer Verhältnisse reklamierte, keine wahrnehmbare geistige Verbindung zu den Leistungen des antifaschistischen Exils aufzunehmen versuchte. Die Abwesenheit war dabei weniger unerträglich als jene Momente, da eine Auseinandersetzung simuliert wurde. Thomas Bernhards „Heldenplatz“, dessen Inszenierung von den Beteiligten selbst als wesentliches Ereignis der Direktionsperiode verstanden wurde, zeigt die ganze Problematik solcher Simulation.’ Die Figur des jüdischen Professors Robert Schuster sowie dessen Verwandte werden mit allen Klischees ausgestattet, deren man sich nur bedienen kann. Sie sind dargestellt als großbürgerliche Juden, wohlhabend durch Fabriksbesitz und von einer eigentümlich leeren Gebildetheit. Bernhard bedient sich des Exilanten, um ihm seine eigenen Ressentiments in den Mund zu legen. Weil das alles irgendwie mit Satire zu tun haben könnte, wurde auch hier vom „Übertreibungskünstler“ gesprochen. In Wahrheit aber ist das alles Untertreibung: Denn die Ansammlung von Pauschalurteilen über die Österreicher und Wien, die gemäß der subjektiven Dramaturgie Bernhards, von Professor Schuster vorgetragen werden, ist vielleicht die Umkehr beschönigender Österreich-Reiseführer, in ihrem Ungefähren und Unverbindlichen aber keinesfalls auch nur der Ansatz einer Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Vergangenheit und ihrem Fortwirken in der Gegenwart. Die von der Dramaturgie zusammengestellte Dokumentation der Wirkung von ,,Heldenplatz“ gilt denn auch nur dem inszenierten Medienskandal.* Das voluminöse mehrbändige Werk, mit dem die Direktion schließlich 1999 ihre Arbeit dokumentierte, enthält keine Bestimmung der eigenen Haltung, die sich auf ein geschichtliches Bewusstsein bezöge. Das Buch ornamentiert vielmehr durch Abdruck einer Unmenge von Presseberichten den permanenten Erfolg und den permanenten Skandal, garniert mit etwas Design und name dropping.' Das Werk gilt vorwiegend dem Nachweis eines Dualismus zwischen dem politischen Theater Peymanns und den reaktionären österreichischen Verhältnissen, etwaige konzeptionelle Äußerungen sind auf propagandistische Sprüche reduziert. Die in jeder Pressekonferenz geführte Rede vom „Nationaltheater“ und „Theater als moralischer Anstalt“, die auch das Konzept der Abschluss-Dokumentation prägt, war dabei keineswegs eine historische Fundierung der eigenen Position, sondern Marketing-Programm. Anstatt der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, wird Selbstbespiegelung betrieben. Etwas überspitzt könnte man einen Zusammenhang mit der Geschichte des Landes so skizzieren: Die Unternehmungen der Burgtheater-Akteure von 1986-1999 waren weniger Ausdruck einer diffusen Opposition, sondern mehr ein karnevaleskes Spiel in der Phase der Auflösung des keynesianischen Sozialstaats der sozialdemokratischen Ära. Alle Motive des Politischen wurden mediengerecht durcheinandergeworfen und die sich ausbreitende politische Nostalgie dieser Jahre bekam ihr aktuelles Theaterkostüm. Nach der öffentlichen Beweinung Peymanns anlässlich seines Abschiedes 1999 folgte die bis heute andauernde Phase eines Katalog-Spielplans. Die politischen Motive sind als Instrument von public relations nicht mehr notwendig oder gar nicht erst erwünscht. Design und name dropping haben allein die Funktion der Werbung übernommen. Die genannten schreibenden Regisseure, die ich die dramaturgischen genannt habe, also Jessner, Piscator, Brecht, Viertel, Lindtberg, Kortner waren von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben worden. Von diesem Punkt aus wird auch verständlich, warum bei ihnen eine enge Verbindung von politischer Haltung und gesellschaftlichem Gehalt von Theaterarbeit stattfand. Natürlich war das bereits während der 1920er und frühen 1930er Jahre vorhanden, mit allen Irrtümern, die es nicht zu retuschieren gilt. Die Proklamation eines expressionistischen Subjekts, das zur leeren Hülse wurde, war vielleicht ebenso problematisch wie ein Begriff von Gesellschaft, die als starres Milieu alle dramatis personae gefangen hält. Interessant sind bei den genannten Regisseuren die treibenden Impulse solcher Abstraktionen ebenso wie das Abgehen von diesen. Ihre Theater-Arbeit war schließlich davon geprägt, dass ihnen die Verfolgung und Vertreibung durch die Nazis stets gegenwärtig blieb und sie von verlogener Versöhnlichkeit nichts wissen wollten. Wenn an den Theatern der Nachkriegszeit von Regisseuren, die unter dem NSRegime ihre Karriere aufgebaut hatten, der Versöhnlichkeit ein buntes Antlitz geschminkt wurde, das modern und verwegen aussehen konnte, so ist Fritz Kortners Kritik am „Überrumpelungstheater”, Berthold Viertels Bemerkungen über „Choc-Wirkung“ und „mechanische Effekte“, die nur eine „Modernisierung“ „mit falschen Mitteln” bewirken, als Reaktion hierauf und aus dem Zusammenhang ihrer Exil-Erfahrung zu verstehen. Die solcherart zum Ausdruck kommende unbeirrbare Haltung zu Stück und Inszenierung definierte Leopold Lindtberg als „Verantwortung vor seinem eigenen sozialen Gewissen”.