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Ich bin nicht gut im Nestlbau. Der Gedanke, ein Haus zu bauen, ist mir fremd, und auch mit dem Gedanken, ein Haus zu besitzen oder zu mieten, habe ich mich nicht wirklich vertraut gemacht. Ein paar Konstanten sind wichtig, damit ich mich heimisch fühle — ein Küchenradio, ein großer Esstisch, ein eigener Schreibtisch, Platz für die Bücher, ein ruhiger Raum zum Schlafen —, kein schöner Wohnen mit Dekor, Fernsehsessel oder Repräsentationsräumen. Ich kann Zelte aufstellen. Das Gelände und die Umgebung sondieren, Sonnenstand und Schattenspender berücksichtigen, die Beschaffenheit des Bodens prüfen, die richtige Entscheidung bei der Wahl der Heringe treffen, gegebenenfalls die Sturmleinen spannen, zwei Bäume für die Hängematte bestimmen und übermorgen weiterziehen oder in einer Woche, jedenfalls unterwegs sein, daheim im Reisen — und auf der Hut. Mehrmals habe ich Orte gegen meinen Willen aufgeben müssen. Als Siebenjährige den Ort der Kindheit in Heilham. Heilham nennt sich in Urfahr auch heute noch das Gebiet an der Donau östlich der Eisenbahnbrücke. Im Heilham meiner Kindheit gab es einen Magnolienbaum vor dem Haus, einen Nussbaum im Garten und dahinter die Au. Kaulquappen und Frösche, im Frühjahr, wenn der „Moar ging“, aus Weidenstöcken geschnitzte Pfeifchen, die einen schrillen Ton von sich gaben, der mit dem Austrocknen der Rinde immer heiserer wurde und schließlich verstummte, Hochwasser mit Fischen im Maschendrahtzaun, wilde Rosen, saure Nebelbeeren und eine auferstandene Katze: Weil die Nachbarskatze alt war und lahmte, bot ein Jäger an, sie zu erschießen. Er nahm sie mit und vergrub ihren Kadaver nach eigenen Angaben gleich am Ort der Exekution in der Au. Eine Woche später saß die Katze wieder unversehrt und ohne Lähmung auf ihrer Fensterbank, hing tagsüber rätselhaften Gedanken nach und ging nachts eigene Wege. Von der Heilhamer Au steht nur mehr eine Zeile alter Weiden und markiert den ehemaligen Verlauf der Donau. Das Haus Heilhamerweg 40, das gesamte Gebiet zwischen Resselstraße, Haertlstraße und Heilhamerweg ist ausradiert, verschwunden unter Asphalt und Beton. Jetzt hat die A7 freie Bahn. Von der Wohnung am Gertrudplatz in Wien Währing fiel der Blick auf die Kirche der hl. Gertrud und den Kutschkermarkt, einen der letzten Märkte Wiens mit „mobilen“ Ständen. Ein vielsprachiges, in sich ruhendes Haus. Der Sonntag füllte die Stockwerke mit Knoblauch-, Paprika-, Butterschmalz- und Krautsalatgeruch. Klotüren am Gang quietschten, am Nachmittag glitt unvermutet das Sonnenlicht durch Gangfenster und Lichtschacht in die Küche und manchmal ächzte der Parkettboden von Zeiten, da noch 3 Generationen, mitunter 10-köpfige Familien in den Zimmer-Küche-Wohnungen lebten und auch in den Nischen des Souterrain keine Fahrräder sondern Betten und Küchentische standen. Das Haus wurde verkauft. Die neuen Besitzer vertraten eine Kapitalverwertungsgesellschaft mit festem Vorsatz. Der Hausmeister wurde gekündigt, die Mieter und Mieterinnen terrorisiert, bis der Kapitalverwertung niemand mehr im Wege stand. Das Haus wurde ausgehöhlt, aufgestockt, umgebaut, filetiert, portioniert und profitabel als „Eigentum“, weiterverkauft. Das Haus am Hang von Posern habe ich zwar nicht aufgegeben, aber nach dem Tod des Vaters hat sich der Charakter des Hauses verändert. Andere Tagesabläufe, andere Geräusche, andere Gerüche, andere Rhythmen und vor allem andere Gespräche und wieder ist ein Stück Heimat Teil der Erinnerung geworden und von der äußeren Welt in die innere gerutscht. Meine Heimat deckt sich nicht mit dem Land der Äcker, der Dome und der Heimat jener großen Söhne aus der Bundeshymne. Meine Heimat kennt keinen erzwungenen patriotischen Schulterschluss gegen andere. Im österreichischen Wörterbuch wird der Patriot als jemand definiert „der sein Vaterland besonders liebt und dem gemäß handelt“. Der Duden definiert eine Spur nüchterner, deshalb scheint der Einsatz des Anagrammgenerators sinnvoll, um dem Begriff „Patriotismus“ mehr Tiefenschärfe zu verleihen. Der Begriff birgt auch die Worte Spott, Tritt und tot. Meine Heimat findet sich auch nur bedingt im „Hoamatland“ wieder, beim Liegen auf Hügeln und beim Durchlaufen der Täler wird Verbundenheit spürbar, aber Verbundenheit womit? An der Donau bin ich aufgewachsen und an einem Hang des südlichen Salzkammerguts. Vielleicht ist Heimat deshalb für mich weniger mit Vorgegebenem und Gebundenheit verknüpft als mit Bewegung, Überwindung, Veränderbarkeit und fernen Horizonten. Meine Heimat ist auch ein Ort der Sehnsucht, geprägt von Erfahrungen, Erlebnissen, Begegnungen und Erzählungen. Vor dem inneren Auge entrollt sich ein Bild. Da sind die Schlote und Hochöfen der VÖEST, von Oberbairing aus gesehen, oder vom Hochholdweg, von der Dießenleiten oder vom Griindberg, jedenfalls ein blühender Mostbirnbaum, Hagebutten im Reif oder eine Streuobstwiese und unten die rauchenden Schlote am Ufer der metallisch glänzenden Donau. Unmittelbar hinter den Hochöfen die schwarzgrünen Wellen des Böhmerwaldes, dahinter steigen die Kalmberge mit der Goiserer Hütte auf, und ein noch höherer Gebirgszug — der Hindukusch? Vom Westen her donnert der Atlantik an eine Felsenküste mit smaragdgrünen Kuppen, während sich die Donau im Osten im türkis farbenen Gewässer einer amphibischen Landschaft verliert, je nach Blickwinkel einmal Lagune, dann wieder Delta. Landschaften alleine machen keine Heimat und die äußere Welt birgt in ihren Landschaften Strukturen, die das Leben steuern. Eine Tatsache ist die, sich im „eigenen Land‘ aufgrund der Strukturen nicht mehr heimisch zu fühlen. Eine andere Tatsache, dass die Strukturen bestimmen, wem das Land Heimat sein darf und wem nicht (mehr). Einen Bogen um Landsleute, um das Laute, das Selbstgefällige, das Oberflächliche, das Unreflektierte, das Devote und Verschlagene zu machen, ist nur im Urlaub, im Ausland möglich. Daheim gilt es, sich mit den Gegebenheiten auseinander zu setzen. „Scheiß Land“, denke ich, als ich, mit meiner Tochter und einigen sperrigen Gepäckstücken nach einigen Wochen Irland, von Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Freude an der Improvisation auch in Gegenden des Landes gebracht, die wegen EU und Neoliberalismus von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr flächendeckend erschlossen sind, mit einem Koffer in Linz wieder auf dem Bahnsteig stehe. Es kam öfter vor, dass der Lenker eines irischen Busses seine vorgeschriebenen Route verließ, um uns ans Ziel zu bringen. Die Ankunft daheim will fast nicht gelingen. Meine Tochter ist mit dem übrigen Gepäck noch 17