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tellektueller Hitlergegner war sie bereits Anfang der dreißiger Jahre den Nazis ein Dorn im Auge. Jedoch erst nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933, als auf Hitlers Anordnung alle Bürgerrechte aufgehoben wurden und folglich die Gewaltanwendung gegen Linksgerichtete brutal ausgeübt wurde, war die Künstlerkolonie gefährdet, von nazistischen Fanatikern niedergebrannt zu werden. Dachau — das erste Konzentrationslager der von Hitler „ein neues Christliches Reich der deutschen Nation“ benannten Schreckensherrschaft — war ein bedrohlicher Begriff geworden. Heinrich Himmler, damals der Münchener Polizeichef und Einleiter der grausamen Maßnahme, hatte das Lager am „Tag des Nationalen Erwachens“ persönlich eröffnet. Die eingeschüchterten Bewohner der als rot angeprangerten Künstlerkolonie, von denen viele bereits verhaftet worden oder ins Ausland geflüchtet waren, hatten bald das Hakenkreuz statt der roten Fahne am Fenster. Das Marschlied des SA-Anführers Ernst Röhm erstickte die Internationale der Roten endgültig. „Ich mußte trotz alledem noch einen Monat in Berlin bleiben, um meiner Ausstellung ‚Jugoslawien’ im Verein Berliner Künstlerinnen beizuwohnen. Trotzdem die Schau gute Kritiken in den Berliner Zeitungen hatte, wußte ich, daß mein Leben unter der Swastika für mich unerträglich und gegen meine Prinzipien sein würde, und im Konzentrationslager enden würde ...“, äußerte sich mein Vater in einem im Exil verfaßten Resümee. Mein Vater hatte mit seiner Ausstellung einen Höhepunkt der künstlerischen Karriere in Berlin erreicht, der in der Berliner ‘ Vossischen Zeitung am 12. April 1933 beschrieben wurde: „Im Verein der Künstlerinnen stellt Helmut Krommer, der seit zehn Jahren in Berlin lebende sudetendeutsche Maler, Ölbilder, Aquarelle, Zeichnungen und Radierungen aus Jugoslawien aus. 1911 war der Künstler zum ersten Mal in dem Land, das ihm einen starken Eindruck hinterlassen haben muß, denn er ließ sich im verflossenen Herbst bestätigen und hat eine Reihe Arbeiten mit nach Berlin gebracht. In seiner Eröffnungsrede bestätigte Herr Stanislav Vinaver von der jugoslawischen Gesandtschaft dem Künstler, daß er gerade die eigentümliche Exotik Jugoslawiens, seiner Landschaft und seiner Menschen, sehr gut erfaßt habe...“ Dennoch sah sich mein Vater gezwungen, Berlin und Deutschland zu verlassen, und in die Tschechoslowakei, deren Staatsbürger er war, eilends zurückzukehren. Als die Nazis Tag und Nacht wüteten, wollte Heinis Mutter, die im obersten Stock der Künstlerkolonie wohnte, aus dem Fenster springen. Die Beschreibung der Begebenheit, wie sie von einigen Hausbewohnern gesehen wurde, war eindeutig: Heinis Mutter habe sich aus dem Fenster stürzen wollen und wäre herabgefallen, wenn der kleine Heini sie nicht am Rock festgehalten hätte. Er war ein schwächlicher jüdischer Bub, der seine ganze Kraft aufwandte, um seine Mutter von dem fatalen Sprung abzuhalten. Ich kannte ihn nur vom Sehen, da er mit uns Mädchen nicht spielen wollte. Was seine Mutter zu dem tragischen Entschluß veranlaßt haben mochte, blieb unklar. Wahrscheinlich waren es ihre Sorgen, die einen Nervenzusammenbruch zur Folge hatten. Vielleicht war auch ihr Mann verhaftet worden. Bald bewahrheitete sich meine von Herrn Bratzkovens Bericht herrührende Befürchtung, ein semitisches Aussehen könnte gefährlich sein. Denn die robuste, rotwangige Gemüsehändlerin, die ihren Stand auf der Kreuznacherstraße hatte, rief aufgereizt meiner Mutter „Jüdische Sau“ nach, und ein uns völlig Unbekannter, der zufällig an uns vorbei radelte, gab meiner Mutter eine Ohrfeige, weil sie ihm rassisch verdächtig vorkam. Von einer Bande junger Nazis belauert, wurde ich einmal nach einem späten Besuch bei Frau Örtel, die eine in der Künstlerkolonie wohnhafte Künstlerin war, auf dem Nachhauseweg angehalten und ausgefragt, ob ihr Liebhaber, der Weißrusse Wanja, ein Kommunist sei. Ich versuchte, eine handgreifliche Auseinandersetzung mit den rohen Burschen zu vermeiden und sagte ihnen nur, daß Wanja ein Akrobat sei, der in Frau Örtels Badewanne den Handstand übe. Meine Mutter tat ihr Bestes um mich auf eine ungewisse Zukunft vorzubereiten. Sie gab mir nicht Kinderbücher, sondern Zeitungen und die Werke berühmter internationaler Literatur zu lesen. Sie war kosmopolitisch. So entfaltete sich mir ein Weltbild, das mir in der Schule nicht vermittelt wurde. Um mir Neunjährigen den in Berlin wütenden Rassismus verständlich zu machen, erzählte sie mir von der damals noch andauernden Rassentrennung der in Amerika einst versklavten Neger. Sie gab mir Harriet Beecher-Stowes Buch Onkel Toms Hütte, und sagte mir, daß Pogrome immer schon die Juden vertrieben und heimatlos machten. Sie schrieb einen Vers auf meine Fragen: Deine schönen klaren Augen schaun mich fragend an — ich soll dir das Leben deuten, was doch niemand kann. Hoffen kann ich nur und trauen, auf dein Herze bauend, daß es Gut und Bös ertrage, tapfer und vertrauend. Anna Krommer, geb. 1924 in Dolny Kubin (Slowakei, damals CSR). Ihr Vater Helmut war Maler, Graphiker und sozialdemokratischer Journalist. (Vgl. A. Krommers Aufsatz über ihn in MdZ Nr. 4/1994, S. 13-15.) Ihre Mutter Valerie (1895 — 1948) war jiidischer Herkunft. 1933-39 lebte sie mit ihrer Familie in Prag; es gelang ihr die Flucht nach England. Seit 1952 in den USA, jetzt in Washington D.C. Bücher: Galiläa. Lieder einer Siedlung (Wien 1956); Spiegelungen (Gedichte, Wien 1971); Das Rattenhaus (Novelle, Wien 1976); Staub von Städten (Ausgewählte Gedichte, hg. von Sabine Prem, Wien 1995). 19