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Ja, das zu den 90er-Jahren. Schon in einer Passage der friiheren Prosa-Version von „Das Ehepaar“ lautet es über das Verhalten der Alliierten Verhöroffiziere: „Gewiß, sie reichten nicht an die Gewalttätigkeiten heran, die von den feindlichen Untersuchungsbeamten verübt worden waren. Trotzdem wurde der Vorwurf: ‚Ihr tut ja genau dasselbe’ immer häufiger“. Bedeutet das nicht Entlastung im Eilverfahren? Ja, vielleicht, aber das ist eben das große Problem. Es gibt gegenwärtiges Leben und Leid, und dazu kommen die Vergleiche, die man mit dem Leben und Leid der Vergangenheit anstellt. Das ist ein ständiges, fast unlösbares Problem. Ich habe mich halt entschlossen, das Leid, das ich sehe, als solches wahrzunehmen. Hatten Sie da — vom Aspekt Ihrer christlichen Grundhaltung einmal abgesehen - geistigen, sprich intellektuellen Rückhalt durch Gleichdenkende? Überhaupt nicht. Ich beschäftigte mich damals mit Kafka und Proust, aber das hat damit nichts zu tun. Interessant, denn mit Kafka hat sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch der junge Erich Fried auseinandergesetzt, der - wie schon erwähnt - eine ähnliche Position wie Sie eingenommen hat. Ihn hat die Übernahme vom Verhalten des Feindes stark beschäftigt, übrigens auch inspiriert durch die Lektüre des Neuen Testaments. Er hat sich sehr stark mit der Christus-Figur auseinandergesetzt, und das Motiv des Rollentausches ist auch in seinem späteren Werk sehr prägnant. Er konnte sich allerdings auf intellektuelle Stützung berufen, nämlich u.a. den englischen Verleger und Geschäftsmann Victor Golancz.' Hatten Sie von dem schon gehört? Nichts, gar nichts, auch von Fried nicht. Von ihm habe ich erst später Gedichte gelesen, die mir eine gewisse poetische Substanz verrieten, und auch eine Einfachheit, was für mich ein entscheidendes Kriterium für Dichtung ist, das ich bei anderen oft vermißt habe... ... und da bin ich als sogenannter Fried-Kenner freilich versucht weiter zu bohren. Aber lassen wir das, es geht hier um Sie. Sie treten 1947 aus der US-Armee aus und kehren in die USA zurück. Nun, ich habe es dann nach meiner Rückkehr in Amerika schwer gehabt. In der Army hatte ich noch eine gewisse Geborgenheit, einen Pioniergeist empfunden, der eigentlich ganz er24 freulich war, wenn man einmal von den unglaublichen Benachteiligungen der Schwarzen absieht. Aber in New York fand ich das Leben gräßlich und wurde dort nicht heimisch. Für Veteranen gab es eine finanzielle Unterstützung, so daß ich dann im Hunter College Germanistik studieren konnte. Immerhin habe ich es dort angesichts meiner wenig rühmlichen Schülerkarriere zum Bachelor of Art gebracht, danach an der Columbia Universität weiterstudiert, wo ich übrigens auch Lektor für Deutsch war. Gleichzeitig habe ich sehr intensiv an meinen Roman „Die Befreiung“ geschrieben. Das signalisiert, daß Ihr aktives Interesse an der Literatur fortbestanden hat, was ja auch in Ihrem „Journal“ zum Ausdruck kommt, wo Sie am 23. August 1943 von einem „körperlichen Bedürfnis zum Schreiben“ sprechen", was wie eine Art von Lebensbewältigung klingt, sozusagen Schreiben aus existentieller Notwehr. Hatten Sie zu dieser Zeit eigentlich Kontakte zur deutschsprachigen, sprich zur deutschen und österreichischen Emigration, ich meine insbesondere in Bezug auf Schriftsteller? Ich kannte mehrere Autoren, u.a. einen, den heute niemand mehr kennt, nämlich Robert Pick.” Er war ein Freund von Hermann Broch. Darüber hinaus mußten Sie doch auch Johannes Urzidil" kennen, der wie Sie für den amerikanischen Hörfunk, konkret für die „Voice of America“ gearbeitet hat? Ach ja, der Urzidil, von dem schon Karl Kraus behauptet haben soll, daß sein Name wie „eine zerbrochene Fensterscheibe“ klingt. Auch Friedrich Torberg kannte ich sehr gut, hatte aber ein gespaltenes Verhältnis zu ihm. Weil er mit Ihrer ‚versöhnlerischen’ Haltung nichts anfangen konnte? Nein, nein, nicht deshalb. Wir haben eher ein anderes Problem gehabt, nämlich daß er eine Freundin hatte, die ich ihm, ohne es zu wissen, ausgespannt habe, und die dann meine Lebensgefährtin wurde. Ich kannte ihn — wie übrigens auch den von mir geschätzten Guido Zernatto” — bereits aus Portugal, eine Begegnung, das muf ich schon sagen, der ich einiges verdanke. Ich bin mit ihm viel im Auto gefahren, also ich habe chauffiert, und da hat er mir eigentlich die deutsche Literatur, einschlieBlich Peter Hammerschlag, aber auch Kleist, nahe gebracht. Er kannte sehr viel auswendig, und das war fiir mich eine Bereicherung — das vergißt man dann, weil ich nachher immer ein bißchen Ärger mit ihm hatte. Man kann ihm schon sehr kritisch gegenüber stehen, aber über die deutschsprachige Literatur, von der ich in Wirklichkeit nur wenig wußte, habe ich von ihm tatsächlich viel erfahren. Mit wahnsinniger Passion hat er mir Texte von Peter Hammerschlag aufgesagt, von dem Torberg — sogar daran erinnere ich mich jetzt wieder — den Spitznamen Prokop erhalten hatte.” Den Urzidil hingegen fand ich unerträglich. Mit ihm war ich notgedrungen zwar zusammen, aber er war von einer wenig verarbeiteten Eitelkeit, und sehr frustriert, also nicht mein Fall. Dagegen respektierte ich Leonhard Frank”, mit dem ich in New York öfter zusammentraf. Er sagte einmal, mein „Journal“ wäre „das Meisterwerk eines Knaben“, worüber ich mich schon sehr gefreut habe.