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ORPHEUS IN DER ZWISCHENWELT Der Verein Orpheus Trust, unter der Leitung von Primavera Gruber, und das Wiener Institut für Musiktherapie veranstalteten 2001 in Wien ein Symposion, das sich ausschließlich und intensiv einer exilierten Musikerin widmete. Am Beispiel der Pianistin, Komponistin und Musiktherapeutin Vally Weigl, die 1938 vor dem NS-Regime aus Wien fliehen musste, wird aus der Perspektive verschiedenster Disziplinen sowohl die Institutionalisierungsgeschichte der Musiktherapie als auch die bis heute nachwirkende Verfolgung und Vertreibung tausender Künstler und Wissenschafter jüdischer Herkunft nachgezeichnet. Die Beiträge zum internationalen Symposion „Musiktherapie im Exil“ werden durch bislang unpublizierte Schriften Vally Weigls sowie ihr vollständiges Werkverzeichnis ergänzt. Die Beiträge selbst stammen von Peri Arndt, Ernst Berger, Carl Bergstrém-Nielsen, Elisabeth Brainin, Hans-Helmut Decker-Voigt, Sophie Fetthauer, Elena Fitzthum, Primavera Gruber, Gerlinde Illich, Dorothea Oberegelsbacher, Alan Solomon und Margit Wolfsberger. 1894 als Valerie Pick in Wien geboren, aufgewachsen im Kreis des assimilierten jüdischen Bürgertums, hat Vally Weigl das Studium der Musikwissenschaft bei Guido Adler sowie Psychologie und Philosophie an der Wiener Universität absolviert. Die musikalische Ausbildung setzte sie privat mit Unterricht in Theorie und Komposition bei Richard Robert und Karl Weigl fort, den sie 192] heiratete. Davor hatte sie anderthalb Jahre als Viersprachen-Dolmetscherin und Sekräterin von Edo Fimmen, Generalsekretär der International Transport Workers Union in Amsterdam gearbeitet. Ihre Ersparnisse aus dieser Zeit halfen dem Ehepaar Weigl, sich und ihren zwölfjährigen Sohn in der ersten Zeit im New Yorker Exil über Wasser zu halten. Nach dem Tod Karl Weigls (1949) fand Vally Zeit und Raum für eine eigene Kompositionstätigkeit. Mit 56 Jahren begann sie eine Ausbildung als Musiktherapeutin, sie publizierte, widmete ihren Enkellnnen das Kinderliederbuch „Songs for a Child“ und engagierte sich in der Friedensbewegung. 88jährig starb sie 1982 in New York. Wie in allen Lebensbereichen und wissenschaftlichen Disziplinen sind auch in der Exilforschung geschlechtsspezifische Unterschiede feststellbar. Oft wurden Frauen wahrgenommen als Partnerinnen prominenter Männer, als Musikerinnen mit eigener Karriere wurden sie jedoch übersehen. „Auch für Vally Weigl verzögerte sich die ‚Rezeption des Exils‘ und damit die Wiederentdeckung einer vielschichtigen Musikerpersönlichkeit“, schreibt Primavera Gruber. Obwohl sie in Österreich in den frühen fünfziger Jahren als Pionierin der in den USA bereits etablierten Musiktherapie in Rundfunksendungen zu hören war und 1964 auf Einladung des Carl-Orff-Instituts am Salzburger Mozarteum referierte, wurde sie erstmals 1995 im bisher einzigen Übersichtswerk zur aus Österreich vertriebenen Musik, nämlich in Orpheus im Exil. Die Vertreibung der österreichischen Musik von 1938 bis 1945 von Walter Pass, Gerhard Scheit und Wilhelm Svoboda (Wien 1995), als eigenständige Musikerin erwähnt. Davor war Vally Weigl einer interessierten Öffentlichkeit höchstens als die um ein Jahr ältere Schwester der 1942 von den Nationalsozialisten ermordeten Sozialwissenschaftlerin und Frauenrechtlerin Käthe Leichter bekannt gewesen. Teil I des Buches versammelt die Beiträge zum Thema „Exil“: Erste Thesen zum Thema feministische Exilmusikforschung präsentiert die Hamburger Musikerin und Musikwissenschaftlerin Peri Arndt in ihrem Beitrag: „Die Ambivalenz von Bruch und Kontinuität. Exilspezifisches in der Musik und Frauenspezifisches in der Exilmusik - eine Annäherung.“ (Vorabgedruckt in ZW Nr. 3/2002.) Am Beispiel von 14 Lebensläufen, die in dem von der Arbeitsgruppe „Exilmusik“ am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Hamburg herausgegeben wichtigen Buch Lebenswege von Musikerinnen im „Dritten Reich“ und im Exil (2000) vorgestellt werden, wird die Frage aufgeworfen, ob sich exilbedingt ungewöhnliche Werdegänge feststellen lassen und das Schaffen der Musikerinnen vom Exil geprägt ist. Die Vertreibung und Ermordung von PsychoanalytikerInnen im Nationalsozialismus skizziert die Psychotherapeutin Elisabeth Brainin exemplarisch an der Entwicklung der psychoanalytischen Gesellschaften in Wien und Berlin und stellt einige persönliche Schicksale dar. Der Neuropsychiater Ernst Berger weist darauf hin, dass durch die nationalsozialistische ‚Vertreibung der Vernunft aus Medizin und Psychotherapie‘ nach der Befreiung 1945 die Traditionen der Sozialmedizin und der Psychotherapie gelöscht und biologistische Orientierungen an ihre Stelle getreten waren und dies Nachwirkungen bis in die Gegenwart hat. Teil II, „Biographisches“, eröffnet Sophie Fettauer mit der biographischen Skizze „Vally Weigl - Aspekte eines Lebenswegs im Exil“, in der sie sich auch mit Vally Weigls Musik befasst. Die meisten von den ca. 180 überlieferten Kompositionen sind Vokalwerke, neben einiger Kammermusik und Werke für Klavier (vor allem auch Stücke für Kinder). Ihre Musik ist kammermusikalisch-polyphon konzipiert. Sie „reflektiert in ihrer Musik deutlich ihre Wiener Herkunft — die spätromantische Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die Musik von Johannes Brahms, Richard Strauss und Gustav Mahler.“ Die Komponistin erhielt verschiedene Preise und Auszeichnungen fiir ihr musikalisches Werk. Viele Werke sind ,,auf funktionale Zusammenhange ausgerichtet, sei es als friedens- und gemeinschaftsstiftendes Mittel oder als Mittel zur Förderung körperlicher, geistiger und sozialer Fähigkeiten“ innerhalb der Musiktherapie oder „functional music“, wie Vally Weigl selbst diese immer bezeichnete. In dem im Buch abgedruckten Artikel „Give them music“ skizziert Vally Weigl 1957 die Wirkung von Musik auf blinde, gehörlose, schwerhörige und cerebralparetische Kinder, auf herzkranke, tuberkulöse, geistig behinderte und sprachbeeinträchtigte Patienten. Sie arbeitete auch mit verhaltensauffälligen und sozial gehemmten Kindern, mit Schmerzpatienten, im geriatrischen Bereich und mit psychiatrischen Klienten. Die erhaltenen autobiographischen Schriften beider Schwestern zeugen vom gegenseitigen starken Einfluss auf die Persön39