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aber war sie seine „Apotheose“. Erst im Foltern gelangt der Hitlergefolgsmann zu seiner vollen Identität. Als einziges politisches System dieses Jahrhunderts (hatte der Nationalsozialismus) die Herrschaft des Gegenmenschen nicht nur praktiziert, wie andere rote und weiße Terror-Regime auch, sondern ausdrücklich als Prinzip statuiert. [... ] Die Nazis folterten, so wie andere, weil sie sich mittels der Tortur in den Besitz staatspolitisch wichtiger Informationen setzen wollten. Daneben aber folterten sie mit dem guten Gewissen der Schlechtigkeit. [...] Sie bedienten sich der Folter. Inbrünstiger aber noch dienten sie ihr. Der „erste Schlag‘ schon wird Améry zum Inbegriff der EntIndividualisierung, mehr noch, der totalen Ent-Menschlichung. Der derart Entmenschlichte büßt „mit dem ersten Schlag, der auf ihn niedergeht, etwas (ein), was wir vielleicht vorläufig das Weltvertrauen nennen wollen.“ Zum Weltvertrauen gehört „die Gewißheit, daß der andere auf Grund von geschriebenen oder ungeschriebenen Sozialkontrakten mich schont, genauer gesagt, daß er meinen physischen und damit auch metaphysischen Bestand respektiert.‘“ Wenn der andere dieses Vertrauen verrät, „vernichteter mich“. Da, wo Versehrung Programm ist, wird die „körperliche Überwältigung“ zum „existentiellen Vernichtungsvollzug“. Zur Maschinerie der Tortur benötigt Amery - im Gegensatz zu den poetischen sieben Seiten in der Fiktion — knappe 32 Zeilen wissenschaftlicher Prosa. Die Unmöglichkeit der Darstellung wird problematisiert, verzichtet wird auf Metaphern, Analogien, geschweige denn Ähnlichkeiten, denn „Wer seinen Körperschmerz mitteilen wollte, wäre darauf gestellt, ihn zuzufügen und damit selbst zum Folterknecht zu werden.“ Wenn das ,,Wie“ der Folter sich auch nicht mit Worten vermitteln läßt, so kann Amery doch in etwa formulieren, „was“ der Schmerz war, welche existentielle Bedeutung ihm über die Grenzverletzung des Ichs hinaus damals und heute zukommt, welches sein Nachleben ist: Wer [...] in der Folter vom Schmerz überwältigt wird, erfährt seinen Körper wie nie zuvor. Sein Fleisch realisiert sich total in der Selbstnegation. [...] In der Tortur wird die Verfleischlichung des Menschen vollständig. Hier widerspricht er schon der Sartreschen philosophischen Überzeugung - es ist eben eine philosophische und keine gelebte -, die da behauptet, daß der Mensch selbst unter der Folter sich seine geistige Freiheit bewahrt. Die Tortur sei, ganz im Gegenteil, das furchtbarste aller Körperfeste, evoziert Amery Thomas Mann. „Bei den Lungenkranken wurden diese noch im Zustand der Euphorie gefeiert; für die Gemarterten sind sie Todesrituale.‘“ Denn letztlich ist die höchste Steigerung unserer Körperlichkeit der Tod selber. So statuiert er das Exempel: Am Ende stünden wir vor der Gleichung: Körper = Schmerz = Tod, und diese ließe sich in unserem Fall wieder reduzieren auf die Hypothese, daß die Tortur, in der wir vom anderen zum Körper gemacht werden, die Todeskontradiktion auslöscht und uns den eigenen Tod erleben läßt. Äußerste „Einsamkeit“, ein „andauerndes Gefühl des Verlassenseins“ sind das Ergebnis der Tortur. Die Schlußfolgerung ist alles andere als hypothetisch: Wer gefoltert wurde, bleibt gefoltert. [...] Ich baumele noch immer, zweiundzwanzig Jahre danach, an ausgerenkten Armen über dem Boden, keuche und bezichtige mich. [...] Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt. Dieses „untilgbare Überwältigtsein durch die Tortur (macht) Améry zum archimedischen Punkt seiner Reflexionen“, so Sven Kramer zu dem Essay. Auschwitz - Dora-Mittelbau — Bergen Belsen (1944 — 1945) Nach der Folterkammer kommt die Einzelhaft. „Zersetzung der Wehrkraft‘“ steht auf seinem Gestapo-Akt, das ist das Delikt, das ihn nach Breendonck gebracht hat. Am 2. November 1943 wird er in das Sammellager Malines, in die Dossin-Kaserne verlegt; Auffanglager für die belgischen Juden vor ihrer Deportation nach dem Osten. Hier wird er zum ersten Mal den Physiker Ilya Prigogine treffen, Professor für Physikalische Chemie an der Université libre de Bruxelles und späterer Nobelpreisträger für Chemie. Prigogine wird freigelassen. Aus Freundschaft schenkt er Hans Mayer zum Abschied seinen Mantel. Er hatte nur das Selbstverständliche getan, spielt er seine Großzügigkeit herunter, das bräuchte ich in meiner Biographie nicht zu erwähnen, scherzt er im Gespräch. Für Hans Mayer geht es weiter. In einem Brief vom 9. Dezember 1943 erkundigt sich der „Chef der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich“ beim „Beauftragten des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD“, ob gegen den „ehem. Sprachlehrer Hans Maier [...] ein Betätigungsverbot zu erlassen“ sei, oder ob damit gerechnet werden kann, daß M. für die Dauer des Krieges in Haft gehalten wird.“ Der Beauftragte SSObersturmführer Hartnagel teilt dem „Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich‘“ mit, bei Hans Maier „handelt es sich um einen kommunistischen Funktionär, der sich bis zu seiner Festnahme mit der Herstellung von illeg. komm. Schriften befaßt hat. Er ist Jude und wird als solcher von hier abgeschoben.“ Der politische Häftling wurde noch als Individuum gemartert, sein Überleben war in den Händen seines Marterers. Der Jude ist kein Individuum mehr, er ist per definitionem zur 49