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Ermordung bestimmt. Hartnagels Information nimmt dementsprechend ihren tödlichen Lauf: im Aufnahmeformular für Breendonck hatte es noch geheißen: Konfession: Evangel., nach der Enttarnung wird Hans Mayer am 15. Januar 1944 unter der Häftlingsnummer 379 mit dem 655 Personen umfassenden Transport Nr. XXIII nach Auschwitz deportiert. Am 17. Januar trifft er ein. Ein unveröffentlichter Text „Zur Psychologie des deutschen Volkes“, die Schrift wurde schon zum Teil im Lager konzipiert, gibt Auskunft: Konzentrationslager Auschwitz, im Januar 1944: Nach Ankunft eines Transportes von einigen hundert Juden, Männern, Frauen und Kindern, werden diese auf die gewohnte Weise durch SS Leute eingeteilt. Man trennt zunächst die arbeitsfähigen Männer von Frauen, Kindern und Greisen und löst schließlich auch diese zweite Gruppe auf, indem man den Kindern die Mütter wegnimmt [...] Eine Frau [... ] löst sich plötzlich mit aufgelöstem Haar und tragischen Gebärden von ihren Genossinnen und fragt schreiend, bereits mit sichtlichen Anzeichen beginnender Geistesgestörtheit, nach ihrem Kinde. [...] Sie gerät an einen wachthabenden SS Mann. „Mein Kind“, sagt sie, „haben sie nirgends mein Kind gesehen?“ „Ein Kind willst Du?“ antwortet der SS Mann mit vollkommener Ruhe, „warte...“ Und er geht sehr langsam auf die Gruppe |...] der Kleinen zu. Er bückt sich und ergreift einen etwa vierjährigen Knaben beim Fuß. Er hebt ihn hoch und wirbelt ihn einige Male durch die Luft, wobei er den kleinen Kopf an einem eisernen Pfeiler zerschmettert. Hans Mayer selber wird unter der Häftlingsnummer 172364 im Lager Auschwitz-Monowitz zunächst einem Arbeitskommando eingegliedert. Von den 655 Neuangekommenen werden 417 sofort ermordet. Im Juni 1944, sechs Monate später, wird er auf Grund seiner „schriftstellerischen Fähigkeiten“ als Schreiber im BunaWerk eingestellt. Dies ist übrigens auch der Zeitpunkt, wo er Primo Levis gewahr wird. Über diesen Abschnitt seiner Haft berichtet ein zweiter noch unveröffentlichter Text, „Arbeit macht unfrei“: Ich arbeite seit einigen Wochen als sogenannter Schreiber im Büro eines im Bau befindlichen 1.G. Farben Werkes. Nach wie vor bin ich natürlich ein ganz gewöhnlicher K.L.-Häftling, muß stundenlang am Appellplatz stehen, bekomme 200 Gramm Brot und zwei Wassersuppen im Tag und unterscheide mich auch im äußeren Habitus nicht von meinen Genossen, die Zementsäcke schleppen oder Kohle verladen. Es war nur so gewesen, daß unter den etwa 1000 Angestellten des Werkes sich nur sehr wenige befunden hatten, die der deutschen Orthographie mächtig waren. Der Zufall habe ihm diese Chance in die Hände gespielt, und so trage er keine Zementsäcke mehr und bekomme, im Gegensatz zu der großen Mehrheit, keine Schläge mehr wegen zu langsamer Arbeit. Aus Solidarität mit dieser geschundenen Mehrheit empört er sich bei seinem Vorgesetzten über die mörderischen Arbeitsbedingungen, unter denen die anderen Häftlinge weiterhin darben. „Ja, Mayer‘, meint Meister Pfeifer, „so darf man die Dinge nicht ansehen. Man kann es eben nicht allen recht machen. Aber die Arbeit, Mayer, die Arbeit muß gemacht werden, man verlangt sie ja von mir auch.“ Sein Einspruch hätte ihn das Leben kosten können, aber Meister Pfeifer ist ihm gewogen. Mitte Januar 1945 beginnt die sowjetische Armee ihre Offensive, Auschwitz-Monowitz wird zwischen dem 17. und 26. 50 Januar evakuiert. Hans Mayer wird auf den Fußmarsch nach Gleiwitz II, dann auf einem offenen Bahngüterwagen auf das Gebiet von Sachsen getrieben. Zwischen dem 1. und 4. Februar 1945 wird er unter der Häftlingsnummer 108327 nach DoraMittelbau verschleppt. Anfang April wird auch dieses Lager evakuiert, wiederum ein Transport auf offenen Güterwägen, der Dora-Mittelbau am 5. April verläßt, diesmal nach Bergen-Belsen. Am 15. April schließlich wird Bergen-Belsen von den Engländern befreit. Ein Jeep fährt ein in die Unterwelt. Ein M.P. Sergeant mit roter Mütze, rötlichblondem Bärbeißer-Schnurrbart, läßt sich durch einen Lautsprecher vernehmen: Von diesem Tage an steht das Lager unter dem Schutz der Streitkräfte Seiner Britischen Majestät. Bei dem Gedanken überkommt ihn, selbst 25 Jahre später, immer noch ein Gefühl der Dankbarkeit. 642 Tage hat er in deutschen KZ-Lagern verbracht. So viel zu den Fakten. Wo auch immer Hans Mayer/Jean Améry sich auf seine persönlichen Leiderfahrungen besinnt, in der Fiktion von 1945 oder in den 20 Jahre später verfaßten Essays, kristallisiert sich eine deutliche Hierarchisierung des Grauens. Neben der unauslöschlichen Signatur der Folter für die Identität des Individuums, nimmt sich die Lagererfahrung eher wie „Massenschicksal“ aus. So heißt es schon in dem „Brief ins Ungewisse“, gewissermassen dem Vorwort zu dem Romanfragment „Reise um den Tod“: Du wirst es mir bitte erlassen, Dir die elende Odysee meines armen Lebens seit Beginn dieses Krieges zu erzählen. [...] Sie ist Massenschicksal, Dir längst bekannt aus Zeitungen, |... ] Standard-Schicksal [...] geeignet für den politischen Propaganda-Roman, geprägt von groben surrealen, sogenannten Elementar-Gefühlen, die mich auch durch die Tatsache, daß ich sie selbst erlebt, nicht veranlassen werden, mich für sie zu interessieren. Über „Propaganda-Romane“ mit „grobe(n) Elementar-Gefühle(n)“ ist der Intellektuelle Althager weit erhaben, sein Lebensmotto sieht er vielmehr in der Losung: „Kultur ist Differenzierung‘“, daran hat auch seine Auschwitz-Erfahrung nichts ändern können, denn schließlich „betraf (sie) E. A. nur als Zeitgenossen, sie reichte nicht sehr tief hinab in sein seelisches Geschick.“ Sein sich Abgrenzen-Wollen von den so summarischen Darstellungen von Leichenbergen hat zweifellos mehrere Ursachen. Sicherlich spielt, wie schon erwähnt, das soziale Klima der unmittelbaren Nachkriegszeit eine wesentliche Rolle. Von den befreiten jüdischen KZ-Insassen wollte man nichts wissen, sie sollten froh sein, daß sie überlebt hatten, im übrigen hatte man genug eigene Sorgen. Diese Abwehrhaltung — obwohl de facto eine unüberwindliche Kränkung für die Betroffenen - kam den Überlebenden bei aller Ambivalenz in einem gewissen Grade entgegen. Denn auch sie mußten sich zunächst darum bemühen — sie hätten gerne die Möglichkeit gehabt, sich mitzuteilen, stattdessen machte man sie mundstill —, sich eine Zukunft aufzubauen. „Wir waren alle beteiligt an der Verdrängung der Vergangenheit, die früheren Häftlinge freilich weniger als die Freigebliebenen, und die früheren Täter am meisten. Uns allen war der Boden zu heiß, und fast alle haben wir uns auf Neues verlegt [...]“, so Ruth Klüger in weiter leben. Vorabdruck aus: Irene Heidelberger-Leonard: Jean Amery. Revolte in der Resignation. Stuttgart: Klett-Cotta Februar 2004. - Aus Platzgründen mußte auf die Quellenangaben und Anmerkungen verzichtet werden.