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Im März 1934 veröffentlichte Deutschlands damals maßgebender Philosoph, Martin Heidegger, im Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens, Der Alemanne, eine Darstellung seines Verhaltens nach einem an ihn ergangenen Ruf an die Universität Berlin. Da heißt es: „Ich komme dabei zu meinem alten Freund, einem 75jährigen Bauern. Er hat von dem Berliner Rufin den Zeitungen gelesen. Was wird er sagen? Er schiebt langsam den sicheren Blick seiner klaren Augen in den meinen, hält den Mund straff geschlossen, legt mir seine treu bedächtige Hand auf die Schulter und — schüttelt kaum merklich den Kopf. Das will sagen: unerbittlich Nein.“ Diese Zeilen erscheinen charakteristisch für einen Heidegger, den die Welt nur wenig kennt. Sie weiß zwar, diese Welt, die Heidegger zu Marx in Beziehung setzt, die Kolloquien über Sein und Zeit veranstaltet, in Paris so gut wie in Kalifornien, von dem durch die Philosophiegeschichte bereits sanktifizierten Denker Heidegger, jedoch hat sie keine Ahnung von Heidegger, dem schlechten Literaten, dem nicht zu Ende gediehenen Blut- und Boden-Dichter, dessen ziemlich inferiore Sprache im Akte einer Existenzerhellung besonderer Art analysiert zu werden hat im Hinblick auf Heideggers politisches Tun und Lassen. Die Bauern-Story über die Ablehnung der Berliner Berufung ist nicht nur geprägt von einer ganz und gar überständigen dorfpoetischen Sentimentalität, wenn etwa da die Hand des alten Ökonomen nicht präziser und origineller beschrieben werden kann als durch die Adjektiva „treu“ und „bedächtig“ - sie ist auch von einer ebenso offenbaren wie bestürzenden Unwahrhaftigkeit. Gewiß, wir waren nicht dabei, als der Freiburger Professor über Nutzen und Nachteil der Annahme des Berliner Lehrstuhls meditierte. Wir können keineswegs mit Sicherheit behaupten, daß er nicht, statt die akademischen Möglichkeiten in der Reichshauptstadt zu bedenken, sein dortiges Einkommen zu kalkulieren, die Strapazen eines Umzugs zu erwägen, den greisen Landmann die letzte Entscheidung treffen ließ. Nur die hochgradige Unwahrscheinlichkeit einer dergestalt vollzogenen Entschlußfassung dürfen wir feststellen. Und wir können an dieser Stelle das Wort dem elsässischen Germanisten Robert Minder über lassen, der in seinem kritisch unüberholbaren Essay Hebel und Heidegger aufzeichnet, was er sich hierzu denkt: „Mit Bauern, Handwerkern und anderen Schulkameraden hat auch Albert Schweitzer sich in seinem Heimatdorf auf elsässisch unterhalten. Es wäre ihm im Traum nicht eingefallen, einen unter ihnen zu fragen, ob er einen Ruf nach Oxford annehmen solle oder nicht. Wäre es dennoch geschehen, hätte die verlegene Antwort gelautet: ‚Das mußt Du doch besser wissen als unsereiner.‘“ Auch muß Theodor W. Adorno zitiert werden, der im gleichen Zusammenhang in seinem Pamphlet Jargon der Eigentlichkeit schreibt: „Die Beschreibung des alten Bauern gemahnt an die ausgelaugtesten Clichés von Schollenromanen aus der Zone Frenssens nicht weniger als das Lob der Schweigsamkeit, die der Philosoph nicht nur seinen Bauern, sondern auch sich selbst bescheinigt. Was eine nicht auf muffige Instinkte des deutschen Kleinbürgerkitschs eingestimmte Literatur — zumal der französische Realismus von Balzacs Spätwerk bis Maupassant — zur Kenntnis des Bauern beibrachte, wird ignoriert, obwohl sie in Übersetzungen selbst einem Vorsokratiker zugänglich wäre.“ Es hat nichts zu tun mit mangelnder Fairness, wenn ich hier gleich eingangs mit Zitaten operiere, die dem heute 79jährigen Philosophen peinlich sein mögen, noch auch mit Respektlosigkeit: der Respekt vor Heideggers denkerischer Leistung ist eine Selbstverständlichkeit auch für den, der keinem einzigen seiner Gedanken zu folgen willens oder meinetwegen fähig ist; die Kategorie der Fairness hinwiederum ist untauglich für jede ernsthafte Ausforschung eines Werkes und einer Persönlichkeit. Man hat Heidegger zu respektieren: darum muss man an jede Zeile, die er schrieb, die höchsten Anforderungen stellen, darum muss sein moralisches Verhalten ohne die mindeste Komplizität dargestellt und nötigenfalls bloßgestellt werden. Fairness ist nur die Ethik des Spiels. Mit Heidegger spielt man nicht. [...] Während sich im Frankreich des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts eine vehement auftretende und kompakte intellektuelle Linke konstituierte, die vom Universitätslehrer, über den freien Publlzisten bis zum Dorfschullehrer reichte, stand, so nicht der Geist schlechthin, dann jedenfalls der akademische Geist Deutschlands geschlossen im Lager der Rechten: in diesem Lager müssen wir uns auch den jungen Privatdozenten Martin Heidegger vorstellen, der um 1920 in Freiburg Studenten an sich zog, und zwar in seiner Eigenschaft als Assistent des berühmten, in überfüllten Hörsälen lesenden Edmund Husserl. 1927 erschien Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit. Mit diesem Werk begann ein ganz neues Kapitel der Geschichte der Philosophie, begann vor allem eine bis dahin unbekannte oder allenfalls nur von den Vorsokratikern geredete philosophische Sprache. „Die Frage nach dem Sinn des Seins soll gestellt werden ...‘“ Wo wäre auf deutschen Universitäten in solch lapidarer Form von dem gesprochen worden, was man die „letzten Dinge“ nennt? Welcher unter den zeitgenössischen Denkern hätte gefragt, so bohrend, so unerbittlich wie dieser? „Jedes Fragen ist ein Suchen. Jedes Suchen hat seine vorgängige Direktion aus dem Gesuchten her. Fragen ist erkennendes Suchen des Seienden in seinem Daß- und Sosein. Das erkennende Suchen kann zum ‚Untersuchen‘ werden als dem freilegenden Bestimmen dessen, wonach die Frage steht. Das Fragen hat als Fragen nach ... sein Gefragtes. Alles Fragen nach ... ist in irgendeiner Weise anfragen bei... Zum Fragen gehört außer dem Gefragten ein Befragtes. In der untersuchenden Frage soll das Gefragte bestimmt und zu Begriff gebracht werden. Im Gefragten liegt dann das eigentlich Intendierte, das Erfragte, das, wobei das Fragen ins Ziel kommt. Das Fragen selbst hat als Verhalten eines Seienden, des Fragers, einen eigenen Charakter des Seins. Ein Fragen kann vollzogen werden als ‚nur-so-hinfragen‘ oder als explizite Fragestellung. Das Eigentümliche dieser liegt darin, daß das Fragen sich zuvor nach all den genannten konstitutiven Charakteren der Frage selber durchsichtig wird.“ Dieses Zitat aus Sein und Zeit steht hier nur zur Exemplifizierung für Heideggers philosophischen Tonfall; dargetan soll werden, wie hier zwar vielleicht ein Jargon gesprochen wird, jedoch keineswegs der gängige Jargon der philosophischen Schulen. Heidegger vermied in Sein und Zeit so wie in allen seinen späteren Werken die philosophische Fachsprache. An deren Stelle setzte er eine ganz spezifische, hinweisende, ver5l