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schlüsselte, orphische Rede von höchster Suggestivkraft, eine metaphorische, die Grenzen gegen die Dichtung hin überschreitende Kunstsprache, von der Heidegger freilich glaubt, es sei die philosophische Sprache schlechthin. — Aufs trefflichste hat Max Bense diese Heidegger-Sprache analysiert in seinem Werk Die Philosophie zwischen den beiden Kriegen, wo es heißt: „Man wird gezwungen, die Sprache nicht deduktiv zu lesen, sondern deskriptiv, und die Zeichen oder Worte ‚bezeichnen‘ nicht im eigentlichen Sinne, sondern machen ‚offenbar‘, enthüllen. Es ist der Unterschied zwischen einer rationalen Sprache, die in ‚Zeichen von etwas‘ spricht. Terminologien pflegen einen rationalen Sinn zu haben; hier indessen sollen sie Ausdruck intuitiver, emotionaler Kräfte sein ...“* Heideggers Sprache, in der Elemente der gnostischen, der Lutherschen, der Hölderlinschen, der Edda-Sprache nachweisbar sind, ist aber gleichwohl - hierauf hat am überzeugendsten Robert Minder verwiesen — die Sprache von Meßkirch, will sagen: die Redeweise einer deutsch-provinziellen Intelligenzia, die um keinen Preis „intellektuell“ hat sein wollen und in der die Metaphorik einer in der Realität schon nicht mehr bestehenden feudal-agrarischen Gesellschaft sich zugleich gegen die abstrakte Begrifflichkeit der philosophischen Fachjargons und wider die Logik der modernen industriellen Welt erhob; es wird später davon zu sprechen sein, wie die mißverständliche und in vieler Hinsicht tragische, nur zehnmonatige liaison dangereuse Heideggers mit dem Nationalsozialismus rückführbar ist auf die provinzielle und von der politischen Realität alsbald dementierte Idee, der Nationalsozialismus gründe in „Blut-und Boden“ oder, in der Redeweise Heideggers: er sei die politische Bewegung, die das Seiende ins Licht des Seins stelle. In wenigen Worten ist an dieser Stelle von der Philosophie Heideggers zu sprechen, die binnen kürzester Frist nach Erscheinen von Sein und Zeit ihre volle Faszination auszuüben begann. Das beruht wohl darauf, daß Martin Heidegger in nicht nur viel vertiefterer, sondern auch radikalerer und eindeutigerer Weise als dies vorher im Irrationalismus der Fall gewesen war, die Vernunft als Erkenntnismittel verwarf, daß er das Instrument der Logik mit verächtlicher Handbewegung als unbrauchbar beiseite schob. Zwischen Heidegger und Denkern, die um sachhaltige Aussagen bemüht sind, solchen, die sich an die doppelte Wahrheitsprüfung von Sätzen durch empirische Verifizierung einerseits, logische Deduktion andererseits halten, gibt es keinerlei Verständigung, nichts war in diesem Sinne fruchtloser als der Versuch des großen Logikers Rudolf Carnap, der einmal einen Kernsatz Heideggers hernahm und ihn mit den Mitteln der Logistik auf sinnloses Gestammel reduzierte. Heidegger seinerseits hat in Was ist Metaphysik? sehr klar die Grenzen zwischen seinem Denken und dem rational-logischen gezogen: „Darum wird jetzt die kaum ausgesprochene Frage nötig, ob denn dieses Denken schon im Gesetz seiner Wahrheit stehe, wenn es nur dem Denken folgt, das die ‚Logik‘ in seine Formeln und Regeln faßt. (Ich will andeuten) daß die Logik nur eine Auslegung des Wesens des Denkens ist, und zwar diejenige, die schon dem Namen nach auf der im griechischen Denken erlangten Erfahrung des Seins beruht. Der Verdacht gegen die Logik“ — Heidegger schreibt hier Logik stets unter Anführungszeichen - „als deren folgerichtige Ausartung die Logistik gelten darf, entspringt dem Wissen von jenem Denken, das in der Erfahrung der Wahrheit des Seins, nicht aber in der Betrachtung der Gegenständlichkeit des Seienden seine Quelle findet. Niemals ist das exakte Denken das strengste Denken, wenn anders die Strenge ihr Wesen aus der Art der Anstrengung emp52 fängt, mit der jeweils das Wissen den Bezug zum Wesenhaften des Seienden innehält. Das exakte Denken bindet sich lediglich in das Rechnen mit dem Seienden und dient ausschließlich diesem.“ Hört man die Verächtlichkeit heraus, mit der da vom „Rechnen mit dem Seienden“ — mit der Erscheinungswelt — gesprochen wird? Es ist die Hoffart des intellektuellen Bauern-Verherrlichers gegenüber dem rechnenden Krämer, das Ressentiment des Land- oder Provinzbewohners gegen die urban-industrielle und kommerzielle Welt, in der nun freilich mit dem „Seienden“ gerechnet werden muss, auf die komplizierteste und scharfsinnigste Weise, in der man auch dann nur wenig anzufangen weiß mit einer Meditation über das „Sein“, dessen Undefinierbarkeit Heidegger selbst zugibt. Es ist klar, daß dieser Irrationalismus, daß diese Absage an die Vernunft aus dem Resonanzboden der deutschen geistigen Tradition, für welche die Romantik mehr Relevanz hatte als die Klassik, das Dionysische mehr als das Apollinische, tiefen und langanhaltenden Widerhall hervorrufen mußte. Doch kann es nicht sein Bewenden haben mit dem irrationalistischen Vorzeichen, soll die Wirkung Heideggers dem modernen Bewußtsein deutlich gemacht werden. Was schwerer wog als der Irrationalismus, ist die scharf sich von jeder üblichen Erkenntnistheorie abhebende existentielle Fragestellung, die in ihrer eigenen Terminologie in die letzten emotionellen Schichten des Rezeptors — des deutschen Rezeptors — eindrang. Die dunkle Schwermut, mit der dieser Denker von der Seinsverlassenheit des Menschen sprach, von seiner Verlorenheit, seiner Geworfenheit, war gänzlich neu und unerhört. Die Klage darüber, daß der Mensch an das Seiende verfallen ist, mußte eine nach dem Absoluten, weil von der Relativität alles Wirklichen und vor allem des politisch Wirklichen enttäuschte akademische Jugend aufhorchen machen. Das Tragische des Heideggerschen Denkens oder meinetwegen: das Götterdämmerungshafte, Wagnerianische, das dem Menschen zum Sein gerade nur den Weg durch die Angst freigibt, wobei der Weg zum Sein dann allerdings ins Nichts mündet — es vorband sich mit einer deutschen Epochenstimmung, in der man die konkreten Ängste, die ökonomische Existenzsorge, verzweifelt ins Philosophische zu sublimieren sich bemühte. [...] Gewiß: Heidegger war kein Lagarde, kein Möller van den Bruck, noch weniger ein Alfred Bäumler, ein H. St. Chamberlain oder gar ein Rosenberg; die Größenordnung, innerhalb welcher man ihn auszunehmen hat, die Höhe seiner gedanklichen Operationen allein verbietet derartige Vergleiche. Dennoch ist mit aller nötigen Deutlichkeit und nach einer Respektbezeugung, die hier gewiß mehr ist als eine vulgäre Absicherung gegen den Vorwurf ressentimentgeladener Groschen-Polemik, die folgende Feststellung zu machen: Martin Heidegger, gerade weil er existentielle Probleme aufwarf und also den Menschen in seiner Totalität ansprach und nicht nur ein logisch trainiertes Gehirn, ist einer der Hauptverantwortlichen für die Sozialblindheit der akademischen Jugend Deutschlands. Seine radikale Hinwendung zum Sein, in das wir in unserer Existenz „hinausstehen“, ist die herrische Verleugnung erfahrener, sozial zu gestaltender Realität. Die von ihm im Anschluss an Kierkegaard verkündete existentielle Freiheit ist der Widerspruch der sozialen und ökonomischen Freiheit, um die in jenen Tagen der Kampf schon ging. Sartre hat später verstanden, sich der Seins-Faszination zu entziehen und die „Kehre“ in die Welt des Gesellschaftlichen zu vollziehen, Heidegger, indem er es verächtlich ablehnte, politischen Kleinkram überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, stand auf einsamem Gipfel, zugleich aber schon in der trostlosen