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Nachbarschaft jener, die vom Weimarer Parlament als einer „Quasselbude“ sprachen. Neben der unableugbaren und durch keine nachträglichen Interpretationen aus der Welt zu schaffenden Tatsache, daß Heideggers Irrationalismus, daß seine „große Weigerung“ gegenüber humaner, das bedeutet für die unmittelbare Prä-Naziepoche: demokratischer Forderung des Tages die geistige Grundstimmung für die Machtergreifung durch die Antihumanität vorbereitet hat, wird die populäre Frage „War ich ein Nazi?“ fast unbeträchtlich. Dennoch steht diese Frage hier zur Erörterung und muss, soweit das möglich ist, klar beantwortet werden. An Zeugnissen dafür, daß er es war, fehlt es leider nicht, und als erstes sei hier die berüchtigte Rektoratsrede [von] 1933 erinnert. Sie führte den Titel „Selbstbehauptung der deutschen Universität“ und wurde gehalten „bei der feierlichen Übernahme des Rektorats der Universität Freiburg, am 27. Mai 1933‘. Sie markiert einen der sinistresten Momente nicht der Selbstbehauptung, sondern der Selbstaufgabe des deutschen Geistes: „Die Übernahme des Rektorats ist die Verpflichtung zur geistigen Führung dieser hohen Schule. Die Gefolgschaft der Lehrer und Schüler erwacht und erstarkt allein aus der wahrhaften und gemeinsamen Verwurzelung im Wesen der deutschen Universität (...) die Selbstbehauptung der deutschen Universität ist der ursprüngliche Wille zu ihrem Wesen. Die deutsche Universität gilt uns als die hohe Schule, die aus Wissenschaft (...) die Führer und Hüter des deutschen Wesens in die Erziehung und die Zucht nimmt. (...) Die Studenten sollen sich um die Unerbittlichkeit jenes geistigen Auftrags (kümmern), der das Schicksal des deutschen Volkes in das Gepräge seiner Geschichte zwingt (...) Die vielbesungene ‚akademische Freiheit‘ wird aus der deutschen Universität verstoßen; denn diese Freiheit war unecht (...) Der Begriff der Freiheit des deutsche Studenten wird jetzt zu seiner Wahrheit zurückgebracht. Aus ihr entfalten sich künftig Bindung und Dienst der deutschen Studentenschaft (...) die erste Bindung ist die in die Volksgemeinschaft (...) diese Bindung wird fortan festgemacht (...) durch den Arbeitsdienst. Die zweite Bindung ist die an die Ehre (...) der Nation (...) sie verlangt durch Zucht gestraffte Bereitschaft zum Einsatz bis ins Letzte. Diese Bindung umgreift (...) das ganze studentische Dasein als Wehrdienst. Die dritte Bindung (...) ist die an den geistigen Auftrag des deutschen Volkes. Dies Volk wirkt an seinem Schicksal, indem es die Geschichte in die Offenbarkeit der Übermacht aller weltbildenden Mächte des menschlichen Daseins hineinstellt und sich seine geistige Welt immer neu erkämpft. So ausgesetzt in die äußerste Fragwürdigkeit des eigenen Daseins will dies Volk ein geistiges Volk sein. Es fordert von sich und seinen Führern und Hütern die härteste Klarheit des höchsten (...) und reichsten Wissens. Eine studentische Jugend, die früh in die Mannheit hineinwagt und ihr Wollen über das künftige Geschick ausspannt, zwingt sich vom Grund aus zum Dienst an diesem Wissen. Ihr wird der Wissensdienst nicht mehr sein dürfen die dumpfe und schnelle Ablichtung zu einem ‚vornehmen‘ Beruf (...) Die Fragwürdigkeit des Seins überhaupt zwingt dem Volk Arbeit und Kampf ab und zwingt es in seinen Staat, dem die Berufe zugehören (...) Die drei Bindungen - durch das Volk an das Geschick des Staates im geistigen Auftrag — sind dem deutschen Wesen gleichursprünglich. Die drei von da entspringenden Dienste — Arbeitsdienst, Wehrdienst, Wissensdienst — sind gleich notwendig und gleichen Ranges.“ Was wir in diesem Zitat vernehmen, ist nicht einmal der von Adorno stigmatisierte Jargon der Eigentlichkeit, sondern der schlechte und unrechte Nazijargon: „Geistige Führung“, ,,Gefolgschaft‘, immer wieder „deutsches Wesen‘ — das ist kein philosophisches Vokabular, noch auch ein denkerisches. Ähnliches hätte unter Umständen sogar ein Kurt Ziesel zustande gebracht, und man ist fassungslos bei der Evokation der Tatsache, daß es eben weder Ziesel noch Kolbenheyer waren, die diese Rektoratsrede hielten, sondern ein tatsächlich zeitprägender Denker von Kraft, Tiefe und Originalität. Es hat leider keineswegs sein Bewenden mit dieser unglückseligen, gar nicht subtilen, vielmehr ganz offenbar brutalen, ja.an manchen Stellen geradezu vulgären Rede gehabt. Es gibt noch die Heideggerschen Kampfaufrufe zugunsten des NS-Regimes. Einer davon, den der Philosoph gelegentlich der Märzwahlen von 1933 abfaßte, als schon der Terror nicht mehr übersehen hat werden können, begann kurzerhand mit „Deutsche Männer und Frauen“: „Die abgelebte Scheinkultur ist zusammengestürzt. Wir haben uns losgesagt von der Vergötzung eines boden- und machtlosen Denkens.“ So hieß es in der Rektoratsrede bereits ganz resolut im Stile des Völkischen Beobachters. An anderer Stelle, anläßlich einer Kundgebung im Freiburger Universitätsstadion, wird, wie Robert Minder es sagt, „gerasselt“, und zwar so: „Wir sind entschlossen (...) den schweren Weg zu gehen, den wir durch die Verantwortung vor der Geschichte ...“‘ — Und ich unterbreche hier mit der dringlichen Frage, was eine solche Verantwortung denn eigentlich zu bedeuten hat: den Judenboykott, der damals an der Tagesordnung war? den Angriffskrieg, auf den alles hinauslaufen mußte und auch hinauslief? — ,,Wir sind entschlossen, den schweren Weg zu gehen, den wir durch die Verantwortung vor der Geschichte zu gehen gezwungen sind (...) Es gibt nur den einen Willen zum vollen Dasein des Staates. Diesen Willen hat der Fiihrer im ganzen Volk zum Erwachen gebracht und zum einzigen Entschluß zusammengeschweißt (...) In dem, was unser Wille will, folgen wir nur dem überragenden Wollen unseres Führers. In seine Gefolgschaft treten, heißt ja: unerschütterlich und unausgesetzt wollen, daß das deutsche Volk als Volk der Arbeit seine gewachsene Einheit, seine einfache Würde, seine echte Kraft wiederfinde. Dem Mann dieses unerhörten Willens, unserem Führer Adolf Hitler, ein dreifaches: Sieg Heil!“ Es muß vorläufig genug sein mit diesen Zitaten, die in der Tat ja den Eindruck bewirken könnten, als wäre Martin Heidegger ein gewöhnlicher Irgendnazi gewesen oder schlimmer: ein übler Opportunist. Er war es nicht. Der nachdrückliche Verweis darauf, daß man ihm nicht einfach derlei Exzesse einbrennen darf wie ein unverlierbares und ihn für immer kennzeichnendes Brandmal, daß es vielmehr nötig ist, auszusprechen, wie kurz seine nazistische Exaltiertheit, diese allertraurigste Verlorenheit an ein bloß Seiendes, gewährt hat, muß jedoch immerhin gekoppelt werden mit der Erinnerung an die Umstände, unter denen dergleichen von Deutschlands Magus ausgesprochen wurde, Umstände, die für ihn keineswegs mildernd sind. Wir sprechen von den Frühlings- und Sommermonaten des Jahres 1933. Da mußte man nicht Mein Kampf gelesen haben, um Bescheid zu wissen. Noch weniger war es nötig, sich durch gesellschaftskritische Analysen in der Art der HorkheimerAdorno-Bloch’schen klar geworden zu sein über den Fundamentalcharakter des seinen kitschigen Revolutionsfilm abspielenden Regimes, in dem die Efficiency der Schwerindustrie, ein offenbarer Gangsterradikalismus und das träumerische Provinzlerressentiment ungut vereinigt waren. Zu solcher analytischer Kärnerarbeit ist ohnehin ein Vorsokratiker nicht willens und gewiß auch nicht fähig. Es genügte damals ein bißchen gesunder Menschenverstand und eine humane Charakteranlage zur Er53