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von Krisenhypotheken belastetes Haus bangenden Petitbourgeois deutscher Nation zur Auswahl vor: die Klage’sche etwa, mit ihrem „Geist als Widersacher der Seele“, die C. G. Jung’sche, in der die Kalamitäten der echten Einsichten Freuds spinnrig eingesponnen und solcherart konsumierbar waren, die Sprache des Alfred Rosenberg — bis hinunter zum Weltanschauungsschwulst der Mein-Kampf-Sprache, in welcher das Ressentiment eklatant in imperialistische und den Genozid schon vorbereitende Aggression sich transformierte. Es war aber — und dies markiert einen dramatischen, ja durchaus tragischen Moment deutscher Geistesgeschichte — auch eine philosophische Sprache da, in welcher hinter allen etymologisierenden Spielereien, hinter allen leicht durchschaubaren Leerformeln essentielle ontologische und existentielle Probleme gestellt wurden, die sich aber aufs Vertrackteste verknüpften mit antitechnischer und sozialblinder Rancüne gegen eine unaufhaltsame historische Entwicklung: die Sprache Martin Heideggers. Wenn ich hier von Sprache rede, meine ich selbstverständlich mehr und anderes als ein Vokabular, eine Diktion, eine Metaphorik; es geht mir um ein ganzes geschlossenes geistiges Referenzsystem. In diesem System gibt es keinen Platz für die gesellschaftliche Realität, die ein Heidegger-Schüler wie Herbert Marcuse zum Gegenstand so radikalen, konsternierenden, wenngleich seinerseits gelegentlich in einen neoromantischen Irrationalismus ausweichenden Nachdenkens gemacht hat; und kein Raum bleibt für die Vernunft, von der Heidegger mit einer gewissen Renitenz immer wieder sagt, daß sie gar nichts vernehme, wie er das etwa tut in dem Satz: „Das Denken ist kein Mittel fürs Erkennen, das Denken zieht Furchen in den Acker des Daseins ...“ Man muß sich nur einmal vergegenwärtigen, wie unmöglich es wäre, daß ein Philosoph wie Jean-Paul Sartre, der wahrhaftig nicht untrainiert ist in ontologischen Gehversuchen, je einen derartigen, in solch allgemeiner Form in der Tat unsinnigen Satz niedergeschrieben hätte. Heidegger, inmitten ontologischer Tiefe, scheut niemals zurück vor der irrationalistischen Trivialität. Die hohe Sprache seiner Philosophie hat allerwegen eine verhängnisvolle Tendenz, sich mit der inferioren Sprache impotenter Blut-und-Bodenpoesie zu vermengen. Heidegger hat unleugbar eine Anzahl phänomenaler Grundtatsachen der menschlichen Existenz aufgefunden und beschrieben: Angst, Tod, Sorge. Er hat aufs suggestivste dargelegt, wie das wirkliche Leben ein Leben zum Tode ist. Vom „Vorlaufen“ in den Tod hat er gesprochen, vom todesverhafteten Menschen, dem das Seiende gleichgültig wird, da er sich doch schon zur Heimkehr ins Sein entschlossen hat. Ihm ist der neue Begriff der Existenz zu danken, der uns den Menschen erhellt, wie er sich in die Zukunft entwirft. Und er hat den großartigen, wenn natürlich auch logisch anfechtbaren und am Ende von der Psychologie, die Heidegger verachtet, doch noch einholbaren Satz gesagt: „Die Angst offenbart das Nichts.“ Ohne Heidegger hätte es keinen Sartre gegeben, keinen Marcuse; es gibt keinen ernsthaften anthropologischen Versuch in dieser Zeit, der nicht irgendwo, irgendwie auf Heidegger verwiese, Heidegger verpflichtet wäre. Martin Heideggers tragisches philosophisches Schicksal, das zugleich paradigmatisch ist für eine bestimmte deutsche Geistesverfassung, besteht in einer Irrung und einem Versagen: er hat die Fakten menschlicher Grundbefindlichkeit nicht zu trennen vermocht von streng eingrenzbaren historischen Konditionen des deutschen Kleinbürgertums und er hat, im Gegensatz zu Sartre, sich und sein Denken niemals überschritten, hat vielmehr, im Gegenteil, sich immer tiefer und auf stets irreversiblere Weise an sein Seinsdenken verloren. Denn um einen Verlust, der dem sich Verlierenden niemals bewußt sein kann, handelt es sich da gewiß. Deutlicher als jede interpretierende Analyse es vermöchte, bezeugt Heidegger selbst den Verlustcharakter seines Seins-und-Nichts-Denkens, das schließlich im Sinne einer über Vernünftigkeit sich erhebenden Vernunft ein Nicht-Denken wird, wenn er in seiner Schrift Was ist Metaphysik? sagt: „In der Angst liegt kein Zurück weichen vor ..., das freilich kein Fliehen mehr ist, sondern gebannte Ruhe. Dieses Zurück vor ... nimmt seinen Ausgang vom Nichts. Dieses zieht nicht auf sich, sondern ist wesenhaft abweisend. Die Abweisung von sich ist aber als solche das entgleitenlassende Verweisen auf das versinkende Seiende im Ganzen. Diese im Ganzen abweise Verweisung auf das entgleitende Seiende im Ganzen, als welche das Nichts in der Angst das Dasein umdrängt, ist das Wesen des Nichts: die Nichtung. Sie ist weder Vernichtung des Seienden, noch entspringt sie einer Verneinung. Die Nichtung läßt sich auch nicht in Vernichtung und Verneinung aufrechnen. Das Nichts selbst nichtet.“ Hätte nur der Begriff nicht so unerträglich spießbürgerliche Obertöne, man dürfte sagen, daß hier die äußersten Möglichkeiten des Nihilismus erreicht sind, daß das Denken ins Anti-Denken dialektisch umschlägt. Man kann Sätze wie die eben angeführten abtun im Sinne neopositivistischer Sachhaltigkeitsforderung als Leerformeln. Damit ist so gut wie nichts gewonnen, beziehungsweise, wer Heidegger logischen Versagens beschuldigt, handelt ungefähr wie ein Schutzmann, der bei einem Autorennen die Fahrer wegen Schnellfahrens anhält. Heidegger läßt sich nicht von der logischen Seite her angreifen, nur von der existentiellen. Hat man sich aber darauf geeinigt, wird man nicht ohne ein Entsetzen, das auch ich hier heideggerisch wie „Ent-setzen“ schreibe, gewahr, wie hier, wo der Begriff einer „Nichtung“ auftaucht, die, wohlgemerkt, nicht in Vernichtung und Verneinung aufgeht, vielmehr eine gewissermaßen transzendentale Qualität hat, wie hier, wo im gleichen Atemzug mit dem „Ja“ zur Nichtung auch dem Versinken und Entgleiten des Seienden fast mit Wollust zugestimmt wird — wird man, wiederhole ich, mit Entsetzen gewahr, wie ein Denken, welches das Undenkbare doch ergreifen will, am Ende sogar darauf verzichtet, sich an das Denkbare noch zu engagieren und es zu meistern. In vereinfachender umschlagender Form hat dieses Drama der Heidegger-Biograph und Interpret Paul Hühnerfeld formuliert: „Längst und von Anfang an hatte er (Heidegger) den Grund des Geistes, die Vernunft verlassen. Nun bestätigte er (...) daß sich sein Denken in einem imaginären Raum des Nichts vollzieht, einem Raum, den er sich selbst geschaffen hat, einem genialen Hirngespinst“ — den Ausdruck Hirngespinst würde der Verfasser dieses Beitrags nicht angewendet haben: er distanziert sich von ihm und setzt an seine Stelle den Begriff des genialen Nihilismus... doch habe weiter Hühnerfeld das Wort: „Es ist ein Raum, der nur dazu da ist, damit Heideggers Denken sich in ihm entwickeln kann. So wie dieses Denken nur um seiner selbst willen existiert oder besser: um dieser Existenz namens Martin Heidegger willen, der sich den größten und bedeutendsten Exzeß der Introvertiertheit leistet, der je in der deutschen Philosophie möglich gewesen ist.“ An dieser Stelle sei der Bogen zurückgespannt zum zentralen Thema dieser Erwägungen: zu Heideggers Unio mystica mit dem Dritten Reich. Zweierlei ist deutlich auf den ersten Blick: Das Reich der Hitlers und des Todes, das Reich der totalen, nur noch sich selbst verpflichteten Effikazität, das manches schon von dem vorwegnahm, was uns heute aus einem anderen Kontinent als Botschaft zukommt - dieses Reich wußte nichts an55