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sen Zertrümmerung der formalen Logik und des gesunden Menschenverstands, aber er tut es nun ungefähr mit denselben Argumenten, mit denen er auch Hegel zurückweist. Die Frage, ob der Nationalsozialismus Nietzsche nur zu gut verstanden oder im Entscheidenden mißverstanden habe, wird ausgeblendet, drängt sich dann aber doch, geradezu gegen den ausdrücklichen Willen des Autors vor: „woran ich nicht glauben mag, was aber doch nicht gänzlich unvorstellbar ist, daß er (wie der Staatsphilosoph des Dritten Reiches, Alfred Bäumler, nachzuweisen versucht hat) ja gesagt haben würde zum Staat der blonden Raubtiere, ihren kriegerischen Triumphen, ihrem eugenetischen ‚Lebensborn‘. Man verzeihe die Abweichung. Ein äußerst widerwärtiger Gedanke drängte sich mir auf. Ich schrieb ihn hin, lasse ihn aber als Wahrscheinlichkeit keinesfalls gelten, sehe also in Nietzsche nicht den Ahnherrn nazistischer Barbarei, vielmehr eines subjektivistisch-anarchistischen Aufstands gegen die Massen.“ Die Intention Amerys ist es in diesem Essay, die Lehren des Philosophen - fast entschuldigend — auf dessen individuelle Eigenart und besondere Lage zurückzuführen, als Enfremdeter, als Einsamer und Kranker am Rande der Gesellschaft: „Das ganze Werk Friedrich Nietzsches ist ein einziger, allerdings großartig gelungener Versuch der Introspektion, Selbstgestaltung, Selbststilisierung. Wer will, mag geruhig von einer ‚narzißtischen Neurose‘ sprechen, es würde dieser psychologische Begriff dem Werke nichts von seiner ebenso imponierenden wie irritierenden Riesenkontur nehmen. Nietzsche lehrt und spricht vom Übermenschen Nietzsche.“ Nietzsche lehrt und spricht damit allerdings auch von einer bestimmten Auffassung der Gesellschaft und des Staats. Im Übermenschen jedoch einen mythisierten Ausdruck politischer Gewalt zu sehen (und zwar genaugenommen einer Gewalt, die gegebenenfalls auch gegen die Massen handelt, wenn diese sich nicht rückhaltlos unterwerfen), liegt Amerys Intention ganz fern: er rezipiert Nietzsche im Gegenteil als Anarchisten, und hat dabei die „linken“ Nietzsche-Apologeten der Gegenwart, Foucault und Deleuze, vor Augen. Vom Staat ist in seiner Sicht nur die Rede, wenn dieser auch beim Namen genannt wird — wie etwa in Form der Apologie bei Hegel. Daß auch dort von ihm gehandelt werde, wo von „blonder Bestie“ oder später „Wunschmaschine‘“ etwas vorgeschwärmt wird — dieser Gedanke erscheint Amery vermutlich zu spekulativ. Solche bewußt gesetzten Grenzen seiner Nietzsche-Kritik treten nicht nur im Gegensatz zur frühen Verdammung Nietzsches als Präzeptor der äußersten Grausamkeit im Konzentrationslager hervor, sie zeigen sich insbesondere vor dem Hintergrund des Ressentiments-Essays aus Jenseits von Schuld und Sühne. Wenn Ame£ry darin Nietzsches Verhöhnung der Opfer auf unnachahmliche Weise kritisiert hat, seine eigene Lage als Nazi-Opfer im Land der Täter erhellend, dann war das indirekt auch eine stichhaltige Kritik des Übermenschen, der nichts anderes als der positive Ausdruck dieser Verhöhnung ist, als solcher aber aus naheliegenden Gründen diskreditiert. Im Merkur-Aufsatz von 1975 hingegen wird Nietzsche vor allem selber als individuelles Opfer der Gesellschaft betrachtet und seine Philosophie, die sich die Täter zunutze machen konnten, als wahnhafte Kompensation einer miserablen persönlichen Situation entschlüsselt. Nicht zufällig steht ein frühes Werk im Mittelpunkt. Amery folgt somit einer Intention, die ihm bei Heidegger nicht in den Sinn kommen konnte, denn dieser Philosoph - so sieht es Amery — war den Deutschen niemals wirklich entfremdet, er war einsam nur in seiner Hütte, und die lag, ideologisch betrachtet, nicht am Rand der deutschen Gesellschaft sondern in ihrem Zentrum. 58 Auch bei Hegel wendet Amery außerordentliches Augenmerk auf die Person des Philosophen, auf dessen Verhalten als Bürger — als „Mensch“, sagt Améry. Und die Distanzierung fällt hier fast so deutlich aus wie im Falle Heideggers. Mehr noch als bei Nietzsche bleibt dadurch die Kritik der Werke selber eigentümlich unentfaltet. Ist aber die Auseinandersetzung mit dem Philosophen des Übermenschen nicht zuletzt als eine - relativ zurückhaltende — mit Foucault und Deleuze zu lesen, so richtete sich schon die Kritik an dem „preußischen Staatsphilosophen“ meist indirekt, aber doch ziemlich gereizt gegen die Hegel-Rezeption der sogenannten Frankfurter Schule. Ob es um Hegel oder Adorno geht, immer scheint sich Améry an der Sprache dieser Philosophen zu stoßen. Die Dialektik selbst bezeichnet er als eine „Allüre des Denkens“, wobei er mehr die neutrale französische Bedeutung des Worts für Gangart im Sinn hat, die allerdings durch die pejorative Verwendung des Worts im Deutschen - als ‚auffallendes Gebaren‘ — eine bestimmte Tönung bekommt, der sich Amery gewiß bewußt war, da sie doch dem Jargon entspricht, wie er ihn charakterisieren möchte. Tatsächlich aber ist seine Kritik am „Jargon der Dialektik“ mehr als die Kritik eines Jargons. So wie auch Adornos Studie zum Jargon der Eigentlichkeit über die Kritik modisch gewordener Begriffe hinaus auf genau die Voraussetzungen von Heideggers und Jaspers Philosophie zielte, die es so sehr erleichterten, sie selbst in Jargon zu verwandeln. Den Jargon der Dialektik sieht Amery bedingt durch die unter den Dialektikern grassierende Furcht vor der „Banalität“. Sie aber führt auf ein Problem, das tiefer reicht: „Den dialektischen Denkern sitzt allerwegen die Furcht vor der Banalität im Nacken — etwa der Banalität, Opfer Opfer und Quäler Quäler sein zu lassen, wie sie es beide waren, als geschlachtet wurde.“ Immer wieder kommt Amery auf die intellektuelle Ächtung des Banalen zu sprechen und wendet ein, daß der Status des Opfers und des Täters an sich etwas „Banales‘ habe und auch haben muß - etwas unauflösbar Gegebenes, wovon nicht zu transzendieren ist; etwas, das der Einheit des Ganzen nicht geopfert werden darf. Die Replik, die Ulrich Sonnemann wenig später auf diese Polemik gegen den Jargon der Dialektik folgen ließ, und die Antwort Amerys auf die Replik, machen noch deutlicher, daß es bei aller wissenschaftstheoretischen Munitionierung und persönlichen Verletztheit der Kontrahenten im Kern um diese eine Frage geht. Und doch ist es, als würde Amery Adorno durchaus im Sinn Adornos kritisieren, der ja (als das „Vermächtnis“ Walter Benjamins) unmißverständlich die „Nötigung“ festgehalten hatte, „dialektisch zugleich und undialektisch zu denken“ — und das Beharren auf kategorischer Trennung von Opfern und Tätern muß als Inbegriff des notwendig Undialektischen gelten. Darin liegt vielleicht auch einer der Gründe, warum Adorno selbst auf den Angriff nicht reagierte, zumal er wenige Jahre zuvor sich noch namentlich auf Amerys Essay über die Folter an zentraler Stelle seiner Vorlesungen - in der Kritik der Heideggerschen Ontologie des Todes — gestützt hatte (vgl. Nachwort zu Jenseits von Schuld und Sühne, Werke Bd. 2 S. 673-677). Wie Irene Heidelberger-Leonard in ihrer Amery-Biographie mitteilt, geht auch aus Adornos Briefen an Ernst Fischer hervor, wie viel ihm weiterhin daran lag, daß Amery ihm wohlgesonnen war. Vorabdruck aus: Jean Amery Werke Bad. 6. Stuttgart: Klett-Cotta 2004.