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digen Publikation stellt sich die Frage, welche methodische Vorgangsweise dieser Veröffentlichung prägt. In welcher Hinsicht entspricht ein Vorgehen, bei dem eine maschingeschriebene Abschrift, die seit dreißig Jahren im Archiv liegt, fotokopiert und wie gefunden veröffentlicht wird, einer historischen Untersuchung? Zumindest hätte der Herausgeber jenen Satz von Marc Bloch aus dessen wunderbarem kleinen Text von 1942 “Apologie der Geschichtswissenschaft oder Der Beruf des Historikers‘“ (Klett-Cotta 2002, übersetzt von Wolfram Bayer) beherzigen können: “Anders als viele Anfänger zu glauben scheinen, tauchen die Dokumente nämlich nicht Kraft irgendeines unerforschlichen göttlichen Ratschlusses einfach da und dort auf. Ihr Vorhandensein oder ihr Fehlen in diesem oder jenem Archiv, in dieser oder jener Bibliothek, in dieser oder jener Bodenschicht hängt von menschlichen Ursachen ab, die der Analyse durchaus zugänglich sind, und die Fragen, die mit ihrer Weitergabe stellen, sind alles andere als methodologische Fingerübungen; sie vielmehr in engem Zusammenhang mit dem vergangenen Leben, handelt es sich doch um nichts geringeres als um die Weitergabe der Erinnerung von Generation zu Generation.“ Martin Krist Antwort auf Dominique Lassaigne Als Herausgeber der Tagebuchausgabe E.A. Rheinhardts, die bei Turia+Kant erschienen ist, möchte ich zur Kritik Dominique Lassaignes kurz Stellung nehmen: Nirgends behaupte ich, daß es sich dabei um eine historisch-kritische Ausgabe handle. Vielmehr habe ich explizit darauf verwiesen, daß der Text dem Typoskript Erica de Behrs folgt. Außerdem wird im Buch die Auffindung des Originals — knapp vor Drucklegung — durch Dominique Lassaigne dezidiert angefiihrt. Von ihrer Beschäftigung mit Rheinhardt konnte ich während meiner Arbeit nichts wissen, da Frau Lassaigne bis Jahresbeginn 2003 noch nichts über ihn veröffentlicht hatte. Bei den Treffen mit Frau Lassaigne wurde ihr sowohl von mir als auch vom Verlagsleiter von Turia+Kant die Möglichkeit angeboten, ihre Forschungsergebnisse in die unmittelbar vor dem Druck befindliche Publikation einzubringen. Ihre Einschätzung, die vorliegende Tagebuchausgabe E.A. Rheinhardts sei auf den Literaturseiten der österreichischen Printmedien besprochen worden, stimmt nicht. Denn mit Ausnahme der von ihr angesprochenen Rezension Erich Hackls in der Presse vom 10. Mai 2003 gab es keine weitere Besprechung in Tageszeitungen. Nicht zuletzt deshalb muß ich Frau Lassaignes Annahme, E.A. Rhein86 hardt sei „in den letzten Jahren wieder ins Interesse der Öffentlichkeit gerückt“, leider widersprechen. Die Literatur des Exils ist nach wie vor nur — und ich bedauere dies zutiefst — ein Randthema im Literaturbetrieb. Insofern ist auch der Vorwurf, der Verlag hätte das Buch aus Marketinggründen herausgebracht, nicht haltbar. Bei einer Auflage von 500 Stück und 117 verkauften Exemplaren (Stand 6.10. 2003) erübrigt sich wohl eine solche Diskussion. Und dennoch war diese Publikation wichtig — wichtig für die einzige noch in Wien lebende Verwandte E.A. Rheinhardts, die sich schon seit Jahren darum bemüht, daß wieder ein Buch ihres Großonkels erhältlich ist. Nicht nachvollziehbar ist Lassaignes Kritik an „der detaillierten Präsentation des Lebens von Rheinhardt in Wien“, die ihrer Meinung nach zu sehr der Darstellung der Exfrau von Rheinhardt — Gerty Wolmut - folgt. Doch gerade deren verklärende Sichtweise wurde von mir in mehreren Punkten richtiggestellt: etwa betreffend Rheinhardts schlechte schulische Leistungen oder sein nie abgeschlossenes Medizinstudium. Auch habe ich in meinem biographischen Nachwort auf die Umstände in den Internierungslagern in Frankreich ab 1939 ausführlich hingewiesen und Rheinhardts Schicksalsweg nachgezeichnet. (Vgl. ZW Nr. 3/2002, S. 15-21). AbschlieBend méchte ich meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, daß Dominique Lassaigne einen Verlag für eine historisch-kritische Edition der Tagebücher E.A. Rheinhardts aus den südfranzösischen Gefängnissen und dem KZ Dachau findet. Vielleicht gelingt es ihr, damit Rheinhardt endlich „den Jahrzehnten des Vergessens“ zu entreißen. E.A. Rheinhardt: Tagebuch aus den Jahren 1943/44. Geschrieben in den Gefängnissen der Gestapo in Menton, Nizza und Les Baumettes (Marseille). Hg. von Martin Krist. Wien: Turia+Kant 2003. 165 S. Joseph Samuel Bloch Medaille an Karl Pfeifer Wir gratulieren Karl Pfeifer zur Joseph Samuel Bloch Medaille. Die feierliche Ehrung fand am Montag, den 24. November, im Jiidischen Gemeindezentrum, 1010 Wien, statt. Begrüßung: Elisabeth Orth; Laudatio: Wolfgang Neugebauer. — Veranstaltet von der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich und vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Helden und Führer In ZW Nr. 2/2003, S. 18, wies Manfred Wieninger auf SS-Runen am Grabmal der Familie Godderidge in St. Pölten hin. Einen ähnlichen Fall von nationalsozialistischer Propaganda auf Grabsteinen berichtet uns unser Leser Ernst Böck (Wien, 30.10. 2003), der sich gezwungen sah, die Zeitschrift Österreich Maritim abzubestellen. In der September-Ausgabe dieser Zeitschrift erschien ein Artikel von Oliver Trulei, „Maria-Theresien-Ordensantrag von Linienschiffkapitän Heinrich Seitz“. Trulei, geboren 1973, ist im Gastgewerbe tätig und Herausgeber des Internetforums „K.u.K. Kriegsmarine“. Erzählt wird in dem Artikel von einem tapferen K.u.K. Linienschiffkapitän, der 1945 einen Vorstoß in den albanischen Adriahafen Durrés (Durazzo) leitete, ein französisches Unterseeboot und einige Handelsschiffe versenkte, überlegenen feindlichen Kräften Paroli bot und unter Verlust dreier Torpedofahrzeuge in den dalmatinischen Heimathafen zurückkehren konnte. Doch das ist noch nicht die Geschichte. Die eigentliche Geschichte ist die vom "unerschrockenen Flotillenkommandanten” über ein Jahrzehnt lang betriebene Bewerbung um den Maria-Theresien-Orden, die höchste militärische Auszeichnung des Kaiserreichs. Sie blieb ihm, wie Oliver Trulei andeutet, ungerechtfertigter Weise versagt. Zuletzt bemühte sich der als Konteradmiral in den Ruhestand getretene Seitz noch 1930 um eine Revision der seinerzeitigen Ablehnung. Seitz war, vom Kaiser offenbar noch zum Edlen von Treffen geadelt und daher nach Abschaffung der Adelsttitel den Namen Seitz-Treffen führend, 1927 der NSDAP beigetreten. So steht es jedenfalls auf seinem in Österreich Maritim abgebildeten Grabstein, selbstredend in Fraktur: Konteradmiral/ Dr. Heinrich/ Seitz-Treffen/ * 15.5. 1870 in Cilli/ + 16.5. 1940 in Graz/ Im Weltkrieg Kommandant/ der Torpedoflotille/ im Durchbruchsgefecht bei/ Otranto am 26. Dezember 1915/ und später bei der ersten/ österreichisch-ungarischen Schlachtschiffdivision./ Seit 26.5. 1927 Mitglied/ der NSDAP. 1933 — 1934/ Gauleiter der NSDAP/ in Steiermark./ Sein Leben war Kampf/ für Großdeutschland. Dazu schreibt uns unser Leser Ernst Böck: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, dürfte sich der Autor gedacht haben, als er ein Foto von dem Grabstein machte, um es in den Artikel einzubauen.“ Auf dem Grabstein ist außerdem eine 1954 verstorbene Steffy Graffl eingetragen, d.h., die 1940 angebrachte Inschrift erhielt sich unbeanstandet in die Zweite Republik hinein. Ob das Grab auf dem St. Leonhard-Friedhof in Graz noch besteht? Konstantin Kaiser